Abtreibungen in Kroatien: Kann ein Baby mit Hirntumor „würdevoll leben“?

Abtreibungen im ehemaligen Jugoslawien werden extrem unterschiedlich gehandhabt. Aber immer geht es gegen die Frau. Zwei Beispiele aus Kroatien und Montenegro.

Eine Frau beim Frauenarzt (Symbolbild)
Eine Frau beim Frauenarzt (Symbolbild)imago/Aleksey Semykin

Einen ganzen Monat lang versuchte die Kroatin Mirela Čavajda, ihr Recht auf Abtreibung durchzusetzen. Bei der Untersuchung in der 26. Schwangerschaftswoche war ihr mitgeteilt worden, dass der Fötus an einem bösartigen Hirntumor leide, dass die Überlebenschancen minimal und die Heilungschancen nach der Geburt gleich null seien.

Der einzig logische Schritt für sie wäre zu diesem Zeitpunkt eine Abtreibung gewesen. Doch damit beginnt der kompliziertere Teil dieser Geschichte. Mirela Čavajda wandte sich an vier Kliniken in Zagreb, die Stadt, in der sie lebt, aber sie erhielt jedes Mal die Antwort, dass keine Abtreibung möglich sei.

Slowenien: Die einzige Möglichkeit, sich sein Recht auf Abtreibung zu holen

Das entsprechende, 1978 verabschiedete kroatische Gesetz ist eigentlich eindeutig: Nach der 10. Woche darf eine Schwangerschaft nur dann abgebrochen werden, wenn eine Störung der körperlichen und geistigen Gesundheit des Kindes sowie der Gesundheit der Mutter vorliegen. Die Untersuchung, der sich Čavajda unterzogen hatte, hatte genau dieses Szenario offenbart. Dennoch wollten die Kliniken keine Abtreibung durchführen.

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Mirko Radonji
Zum Autor
Ilija Đurović (1990) ist ein Schriftsteller aus Montenegro, der seit acht Jahren in Berlin lebt und arbeitet. Er schreibt Lyrik, Prosa, Theaterstücke und Drehbücher. Seine Bücher wurden in Montenegro und Serbien veröffentlicht. Einen Ausschnitt seines Romans in englischer und deutscher Übersetzung können Sie hier lesen: https://stadtsprachen.de/de/text/sampas/?Deutsch

Zuerst informierten sie die Patientin falsch über ihre Rechte. Dann erklärten sie, dass sie den Eingriff nicht vornehmen könnten, weil alle verfügbaren Gynäkologen aus Gewissensgründen abgelehnt hätten. So kam Čavajda in die Situation, einen Fötus mit einem bösartigen Tumor austragen zu müssen, bei dem die Überlebenschancen gleich null waren.

Einer der wenigen Tipps, die sie in den Zagreber Kliniken erhielt, war der, nach Slowenien zu fahren und den Eingriff dort vornehmen zu lassen. Čavajda aber reiste nicht nach Slowenien, sondern ging in Kroatien an die Öffentlichkeit und erzählte ihre Geschichte. Das war, wie sich herausstellte, die einzige Möglichkeit, für ihr Recht zu kämpfen. Es bedurfte mehrerer Wochen eines schockierenden öffentlichen Kampfes, in denen sie vor laufenden Kameras Einzelheiten über den Gesundheitszustand ihres Kindes, ihren aktuellen psychischen Zustand und ihre Situation darlegte, bis ihr Recht auf Abtreibung endlich respektiert wurde.

Der Fall öffnete die „Büchse der Pandora“

Zuvor wurde die Debatte darüber, ob ihre Entscheidung „moralisch“ sei, öffentlich geführt. Selbst der kroatische Gesundheitsminister Vili Beroš äußerte sich über den Gesundheitszustand des Kindes. Doch mit juristischer Hilfe und öffentlicher Unterstützung wurde schließlich von vielen Seiten bestätigt, dass Čavajda die Voraussetzungen für einen Schwangerschaftsabbruch erfülle. Dennoch werde der Eingriff nicht in Kroatien durchgeführt, sondern Čavajda müsse nach Slowenien reisen. NGOs und Privatpersonen haben dafür Geld gespendet.

Der Fall öffnete die „Büchse der Pandora“ in der kroatischen Gesellschaft und rief heftige Reaktionen aus dem gesamten politischen Spektrum hervor. Während Čavajdas öffentlichem Kampf gingen mehrere Organisationen auf die Straße und forderten, dass sich dieser Fall nicht wiederholen dürfe und dass die Möglichkeit der Verweigerung aus Gewissensgründen für Ärzte in solchen Fällen abgeschafft werden müsse.

Die Aussagen der kroatischen Ärzte sind zynisch

Gleichzeitig jedoch fand in den Straßen von Zagreb ein „Marsch fürs Leben“ statt, der von einer Gruppe organisiert worden war, die bessere „Rechte für ungeborene Kinder“ fordert. Die Gruppe will eine Änderung des Gesetzes von 1978 erreichen, weil es veraltet sei und das „Recht auf Leben“ abschaffe. Diese Gruppe unterstützt auch Gynäkologen, die sich auf die Abtreibungsverweigerung aus Gewissensgründen berufen. Manche dieser Ärzte sprechen auch auf den Kundgebungen.

Die Aussagen dieser Ärzte und Redner sind besonders zynisch, vor allem wenn sie behaupten, dass Čavajdas ungeborenes Kind „ein würdiges Leben verdient, egal wie lange es dauern wird“. Es ist schwer vorstellbar, dass ein Neugeborenes mit einem Hirntumor, das, wenn es überhaupt lebend geboren wird, das Leben seiner Mutter gefährden könnte, ein würdevolles Leben haben kann.

Ultraschallbild eines Fötus (Symbolbild)
Ultraschallbild eines Fötus (Symbolbild)imago/Ute Grabowsky

Die Abtreibungsfrage ist im gesamten ehemaligen Jugoslawien problematisch

Doch die Teilnehmer des „Marsches fürs Leben“ kämpfen genau dafür. Ihr Gedankengut sagt viel darüber aus, wie sehr bestimmte politische und soziale Bewegungen das Recht der Frauen auf die Entscheidung, ein Kind zu bekommen oder nicht, kontrollieren wollen. Es zeigt sich, dass Bewegungen wie der „Marsch fürs Leben“ von der politisch rechten Seite organisiert und sehr oft auch von der Kirche unterstützt werden, die in Kroatien sowohl in der Gesellschaft als auch in der Politik sehr einflussreich ist.

Die Abtreibungsfrage ist im gesamten ehemaligen Jugoslawien problematisch. Überqueren wir für einen Moment die südliche Grenze Kroatiens und begeben uns nach Montenegro, wo es ein Phänomen gibt, das als Kehrseite der Medaille des kroatischen Falles betrachtet werden kann. Denn während in Kroatien der Zugang zu Abtreibungen immer schwieriger wird, warnt man in Montenegro seit etwa zehn Jahren vor der großen Zahl „selektiver Abtreibungen“, vor allem zum Nachteil weiblicher Kinder. Laut Daten aus dem Jahr 2019 kommen auf 110 Jungen durchschnittlich 100 Mädchen, während das natürliche Verhältnis 102 oder 103 Jungen auf 100 Mädchen beträgt. Nach Angaben des montenegrinischen Bildungsministeriums besuchten im Jahr 2020 35.719 Jungen und 32.787 Mädchen die Grundschulen, das sind fast 3000 Jungen mehr als Mädchen.

Das Abtreibungsrecht in Montenegro

Wie kommt es zu diesen Zahlen? In den patriarchalischen Teilen der montenegrinischen Gesellschaft wird das männliche Kind immer noch als wertvoller angesehen als das weibliche. Ein männliches Kind ist eines, das als Erbe den Familiennamen weiterführen, das Haus bewachen und das Land in einem etwaigen Krieg verteidigen wird. Für ein weibliches Kind hingegen gibt es in den traditionellen Gemeinschaften den Begriff „das Abendessen von jemand anderem“. Das bedeutet, dass ein weibliches Kind, wenn es heiratet, „das Haus verlässt“ und in eine fremde Familie kommt. In vielen Teilen traditioneller Gemeinschaften hört man, dass der Vater auf die Frage, wie viele Kinder er habe, nur die Zahl der männlichen Kinder angibt, während er die weiblichen nicht erwähnt.

Aus diesem Grund ist die illegale Abtreibung weiblicher Kinder in Montenegro schon seit Langem ein Thema. Das Netzwerk dafür ist gut ausgebaut. Auch in Montenegro gilt eigentlich das Gesetz, dass die Abtreibung eines gesunden Fötus nach der 10. Woche verboten ist. Da das Geschlecht bis dahin nicht bestimmt werden kann, verweisen manche Gynäkologen ihre Patientinnen an bestimmte Kliniken in Serbien, die bereit sind, einen invasiven Test durchzuführen, um das Geschlecht des Kindes vor der 10. Woche herauszufinden.

Die Rolle der Kirche in Montenegro

Wenn das Geschlecht weiblich ist, haben Frauen, die dies wünschen, danach noch Zeit für eine Abtreibung. Aber auch nach Verstreichen der zehn Wochen sind manche Gynäkologen bereit, Abtreibungen illegal durchzuführen, und zwar zu einem höheren Preis als „normale“ Abtreibungen. So erklärt es sich, dass es in bestimmten „geheimen“ Kliniken möglich ist, Abtreibungen noch im fünften Schwangerschaftsmonat zu organisieren.

Interessanterweise hat sich die Kirche in Montenegro seit Beginn der Kampagne zur Verhinderung der selektiven Abtreibung weiblicher Kinder nicht explizit für das Recht auf Leben eingesetzt und die Familien nicht aufgefordert, ihre weiblichen Kinder zu schützen, obwohl sie regelmäßig erklärt, dass eine Abtreibung in jedem Stadium ein Mord und eine „schreckliche Sünde“ sei. Offensichtlich ist die Kirche als streng traditionelle Gemeinschaft, die sich ausschließlich auf eine männliche Hierarchie stützt, auch der Meinung, dass das männliche Kind wichtiger sei als das weibliche, sodass sie die herrschende Praxis stillschweigend billigt.

Die wilde „Balkan-Mentalität“ ist eine Ausrede

Das Problem ist in beiden Fällen, in Montenegro und Kroatien, gesellschaftspolitisch bedingt. Während in der kroatischen Gesellschaft, in der die katholische Kirche und rechtsgerichtete politische Kräfte stark miteinander verbunden und einflussreich sind, eine Abtreibung angeblich „die Abschaffung des Rechts des ungeborenen Kindes auf Leben“ darstellt und kirchlich-moralischen Grundsätzen zuwiderläuft, wird in Montenegro, wo die orthodoxe Kirche ebenfalls mit Vertretern traditioneller Werte Hand in Hand geht, das patriarchalische Narrativ nicht schwächer. Das heißt: Obwohl Abtreibung eine Sünde ist, kann eine Frau als weniger wertvoll angesehen oder sogar abgelehnt werden, wenn sie keinen „echten Erben“ zur Welt bringt, was einige Frauen zu selektiven Abtreibungen zwingt, damit sie sich in ihrer Gemeinschaft behaupten können.

Um nun nicht in die Klischee-Falle zu tappen und all das auf ein Konstrukt der „wilden Balkan-Mentalität“ zurückzuführen, sei daran erinnert, dass sich Kroatien einem weltweiten Trend des Widerstands gegen das Recht auf Abtreibung angeschlossen hat. Während Čavajdas Kampf andauerte, stimmte der Oberste Gerichtshof in den USA für die Abschaffung des Rechts auf Abtreibung.

Der angebliche „Kampf für das Leben der Nation“

Auch Polen steht seit Langem an der Spitze der „Anti-Abtreibungs-Internationalen“ im Kampf für das „Recht auf Leben des ungeborenen Kindes“. Es ist klar, dass es in diesen Fällen politischer Praktiken bedarf, um den Ruf nach religiöser Moral und „traditionellen Werten“ zu entmystifizieren und zu zeigen, dass es einen offensichtlichen politischen Wunsch gibt, die Kontrolle über die Rechte anderer Menschen, in diesem Fall die Rechte der Frauen, zu behalten.

Dabei wird dieser Kampf gern als „Kampf für das Leben der Nation“ dargestellt. Es ist ermutigend, dass in Kroatien die Proteste gegen die öffentliche Dämonisierung von Mirela Čavajda gut begründet und viele Menschen sich der politischen Dimension des Problems bewusst waren. Auch in Montenegro wurden in den letzten Jahren einige Maßnahmen ergriffen, um die Zahl der selektiven Abtreibungen zu verringern und Wege zu finden, die Situation zu ändern. Während diese Kämpfe weitergehen, wollen wir hoffen, dass keine Frau die gleiche Tortur durchmachen und ihre Privatsphäre derart dem „öffentlichen Gericht“ aussetzen muss wie Mirela Čavajda.

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