Warum Brandenburger ihr Abwasser selbst entsorgen wollen - aber nicht dürfen

Seit Jahren fordern „Abwasserrebellen“ mehr Kleinkläranlagen, die Wasser in der Landschaft halten. Doch der Staat pocht auf den Anschluss ans Abwassernetz.

Dürre in Brandenburg
Dürre in Brandenburgdpa/Kevin Dettlaff

Kürzlich sagte Ministerpräsident Dietmar Woidtke angesichts der Dürre in einem Interview mit dem Handelsblatt: „Heute leiten wir einen Großteil unseres geklärten Abwassers in Flüsse ab, das dann in Richtung Nord- und Ostsee abfließt. Dabei müssten wir es eigentlich in der Region halten.“ Welch späte Erkenntnis angesichts der frühen Mahnungen und leidvollen Erfahrungen vieler Brandenburger.

Ein Septembermorgen 2008 bleibt für die Bewohner von Briesensee (Dahme-Spreewald) ein Schandfleck in Brandenburgs Demokratiegeschichte. Ein Dutzend Polizisten erschienen mit Amtsdirektor Bernd Boschan vor dem Grundstück von Doris Groger, der stellvertretenden Bürgermeisterin. „Abwasserfreies Grundstück“ stand auf einem Schild, „Zutritt verboten, gefährliche Hunde“ auf einem anderen.

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Doris Groger, ihr Sohn und Freunde hatten das Grundstück mit einem mannshohen Zaun gesichert, hinter dem Gartentor versperrten Glasflaschen den Zutritt. Eine Festung aus Wut und Angst. Briesensee, 70 Kilometer südöstlich von Berlin, kämpfte schon seit Jahren gegen den Anschlusszwang des Abwasserverbandes. In Straubitz, mehr als zehn Kilometer entfernt, war wie überall im Land eine große Kläranlage errichtet worden. Auch für Briesensee. Deren Kosten und Schulden nun alle tragen sollten über für diese Entfernung unmenschliche Anschlussgebühren.

Riesige Kläranlagen, die das Wasser aus der Landschaft saugen

Doch Doris Groger hatte früh auf ihrem Grundstück eine Pflanzenkläranlage errichten lassen, für die der Erbauer Frank Hildebrand 2003 sogar den Brandenburger Umweltpreis bekommen hatte. Nun war sie die Letzte im Dorf, die dem Satzungszwang des Abwasserverbandes und Rechtsdruck des Amtes widerstanden hatte. Bereits 2000 hatte sie sich mit drei weiteren Frauen für einen Hungerstreik entschieden, waren vom benachbarten Damsdorf und aus Sachsen-Anhalt Frauen und Männer mit dem Fahrrad nach Brüssel aufgebrochen. Einige kämpften schon seit 1992 gegen gigantische Pläne westdeutscher Kläranlagen-Anbieter, die das Wasser aus der Landschaft saugen.

Noch nie hatte es eine Demo über eine solche Entfernung gegeben. Achthundert Kilometer bei Sonne, Wind und Regen in elf Etappen. Nur, um eine einfache Beschwerde an die EU-Kommission zu übergeben: Statt Anschlusszwang mehr Kleinkläranlagen und keine Einmischung der Landespolitik in die kommunale Selbstverwaltung.

Der Empfang in Brüssel war knapp und wenig herzlich. Nur die Bürgermeisterin der Gemeinde Druxberge aus dem Norden der Magdeburger Börde kam zu Wort: „Eigentlich erhoffen wir uns, dass die EU unsere Beschwerde liest, prüft und handelt.“ Getan hat sich danach nichts. Die vielen Proteste wären namenlos geblieben und längst vergessen, hätten nicht Kamerateams der Umweltredaktion OZON vom ORB, später RBB, und vor allem die westdeutschen Filmemacher Volker Hoffmann und Klaus Overhoff alles akribisch dokumentiert. Noch heute sind ihre aufwühlenden Filme unter „Tatort Briesensee“ im Netz zu sehen.

So auch die Ereignisse am 10. September 2008. „Von mir und meinem Grundstück geht keine Gefahr aus“, sagte die alleinerziehende Mutter zum Amtsdirektor, „deshalb haben sie auch kein Recht, es zu betreten … Wenn sie mit Gewalt aufs Grundstück wollen, müssen Sie mich gewaltsam wegräumen.“ Doch Amtsdirektor Bernd Boschan berief sich auf Gesetze und Beschlüsse, die Polizistinnen und Polizisten packten zu. Doris Groger, Oberschullehrerin und stellvertretende Bürgermeisterin, wurde mit einem Kabelbinder gefesselt, zu Boden gerungen und unter Schmerzen und Protest in einen Polizeitransporter getragen. Immer wieder rief sie: „Das ist verboten, was Sie machen, Sie verletzen die Gemeinderatsbeschlüsse von Briesensee!“

„Die rechtsstaatlichen Grundprinzipien des Staates infrage gestellt“

Einen Tag blieben sie und ihr Sohn in Gewahrsam, bis sieben Bauarbeiter quer durch ihr Grundstück einen Graben geschaufelt und das Haus ans Abwassernetz angeschlossen hatten. Das war nur ein Höhepunkt ihrer Odyssee. Es folgten Rechnungen, Klagen und im September 2008 disziplinarische Konsequenzen. Denn Amtsdirektor Boschan hatte das Schulamt wissen lassen, Frau Groger habe „öffentlich die rechtsstaatlichen Grundprinzipien des Staates infrage gestellt“.

Der Extremfall Briesensee blieb nicht der einzige in Brandenburg. Auch im Fürstenwalder Ortsteil Rauen war es ein trockener Tag 2008. Seit Jahren lieferten sich Barbara und Thomas Plenzke einen erbitterten Kampf mit dem Abwasserzweckband der Spreestadt gegen einen Zwangsanschluss an die öffentliche Kanalisation. Der Ärger begann schon 1999, als auch in Rauen eine zentrale Abwassertrasse geplant und eine große Kläranlage gebaut wurde. Für andere im Ort war das ein Segen, für die Plenzkes, deren 3000 Quadratmeter großes abseits liegendes Grundstück erschlossen werden sollte, wurde es zum Fluch.

1986 hatte ihnen die DDR-Wasserwirtschaftsdirektion Oberhavel eine vorbildliche Nutzwasser-Rückgewinnungsanlage genehmigt. Weil das Wasser schon damals im Sommer knapp war an diesem etwas höher gelegenen Ort. Das geklärte kühlende Nass in Plenzkes Teich war dem Verband seit Anbeginn ein Dorn im Auge. Es folgten über Jahre unzählige Bescheide, Auflagen, Zwangsandrohungen. Als das Ehepaar einlenkte und aus seiner Sicht alles technisch Erforderliche auf eigene Kosten für den Zwangsanschluss getan hatte, verweigerte der Zweckverband Mitte April 2008 die Abnahme. Verbandseigene Monteure sollten den Anschluss noch einmal erstellen. Die Lage eskalierte, auch hier rückte die Polizei an.

Barbara und Thomas Plentzke bekamen, nervlich und gesundheitlich angeschlagen, noch eine Anzeige ins Haus. Sie hätten mit Unterstützung von Freunden und Bekannten einer Vollstreckungsbeamtin den Zutritt verwehrt. Das Gericht sprach das Ehepaar zum Glück frei, weil es von einer rechtswidrigen Zwangsmaßnahme des Abwasserzweckverbandes ausging. Erst im Juni 2011 stellt auch das Amtsgericht Lübben ein Verfahren gegen Doris Groger ein. Die Staatsanwaltschaft hatte ihr ebenfalls Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und anderes vorgeworfen.

Herzversagen nach einem Polizeieinsatz

Weitere Namen von Brandenburgerinnen wie Anita Petri und Ingrid Feuerherd sollten im Gedächtnis bleiben. Weil sie Ähnliches erlebten. Anfang Dezember 2009 starb in Petershagen-Eggersdorf nach einem Polizeieinsatz der 58-jährige Eberhard Paul an Herzversagen. Er galt als prominenter Vertreter der Brandenburger Bürgerinitiativen gegen den Zwangsanschluss. Eine Gerichtsvollzieherin hatte am Morgen mithilfe zweier Beamter die Forderung des örtlichen Verbandes durchgesetzt und mit Festnahme gedroht, ein Haftbefehl lag vor.

Gegenüber den Potsdamer Neuesten Nachrichten (PNN) machte damals die hinterbliebene Ehefrau die Polizisten und die Justizbedienstete für den Tod ihres Mannes verantwortlich. „Sie haben meinen Mann gedroht, dass er ins Gefängnis kommt, wenn er nicht bezahlt“, so Dietgard Paul. „Dann hat er 4000 Euro bezahlt, ist ins Haus gekommen und zusammengebrochen.“

Bis heute sind viele Kontroversen geblieben: Im Februar 2022 hatte in der Gemeinde Klepzig bei Wiesenburg der einstige Vizebürgermeister Hartmut König ausnahmsweise Erfolg. Er muss für sein Grundstück nicht länger die mobile Abwasser-Abfuhr bestellen, sondern durfte seine eigene Kleinkläranlage endlich in Betrieb nehmen. Die Gemeinde dagegen sah wegen der wegfallenden Gebühren das Wohl der Allgemeinheit gefährdet. Doch der Kreis Potsdam-Mittelmark wies den Widerspruch der Kommune gegen die wasserrechtliche Erlaubnis ab.

Früh genug hatten nach der Wende westdeutsche Kommunalpolitiker und Umweltexperten ihre ostdeutschen Kollegen vor der mächtigen Kläranlagenindustrie gewarnt. Doch der geringe Anschlussgrad am Ende der DDR in den Kleinstädten und Dörfern verlangte rasches Handeln. Dafür gab es unter Brandenburgs erstem Umweltminister Matthias Platzeck reichlich Fördermittel und viel Technikbegeisterung.

Mit weitreichenden Folgen. Das gereinigte Wasser bleibt nicht da, sondern fließt seitdem über Vorflut, Bäche, Flüsse, Elbe und Oder meerwärts davon. 1998 verfasste Platzecks eigener Umweltbeirat eine mahnende Broschüre unter dem Titel „Abwasser in der Landschaft anstatt Abwasser teuer entsorgen“. Die Autoren, der Flensburger Energieexperte Ulrich Jochimsen, Initiator des Potsdamer Netzwerkes Dezentrale EnergieNutzung e.V. und der Fachmann für Wasserkreisläufe, Professor Wilhelm Ripl (im März dieses Jahres verstorben), vom Berliner Systeminstitut Aquaterra e.V. warnten vor dem Abführen des geklärtes Wassers aus den Landschaften.

Mehr als 90 Prozent des Klärwassers fließt weg aus Brandenburg

2008, zehn Jahre später, am Tag des Polizeieinsatzes gegen Doris Groger, waren Professor Ripl und Ulrich Jochimsen aus Solidarität mit nach Briesensee gekommen und standen erschüttert unter den hilflosen Zuschauern. Wilhelm Ripl sagte: „Brandenburg ist das beste Beispiel, wo man das am weitesten getrieben hat, … die Bodenfruchtbarkeit eines ganzen Landes, eines Staatsgebietes ins Meer spült. Das heißt, wir sind dabei mit unseren gesetzlich geschützten Maßnahmen auf dem Sektor der Wasserwirtschaft das Land zu verwüsten.“

Längst ist allen Experten klar: Mehr als 90 Prozent des aus Wiesen und Feldern durch Melioration abgeführten und aus Kläranlagen stammenden Wassers fließt weg aus Brandenburg! Es ist die Quadratur des wichtigsten Kreislaufes der Erde: Schützen wir per Gesetz das knapper werdende Grundwasser, aus dem vor allem unser Trinkwasser stammt, vor den verbleibenden Schadstoffen im geklärten Abwasser? Versickern also nicht. Oder gibt es doch Möglichkeiten, in dünn besiedelten Gebieten die Grundwasservorräte wieder aufzufüllen? Abwasser aus Großkläranlagen zu verregnen? Mehr Kleinkläranlagen zuzulassen? Damit im Klimawandel Moore, Tümpel, Teiche und kühlende Luftfeuchtigkeit bleiben. Und zugleich die Ackerböden wichtige Nährstoffe wie Calcium, Kalium, Magnesium zurückbekommen?

Hartmut Sommerschuh lebt als Autor in Potsdam. Von November 1989 bis 2016 war er im ORB, später RBB-Fernsehen Redaktionsleiter und verantwortlicher Redakteur der Umweltsendereihe „OZON“.

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