Liebe Klima-„Aktivisten“: Eure Aktionen werden euch nicht ans Ziel bringen!

Die Aktionen der „Letzten Generation“ sorgen für viel Unmut. Unser Autor meint: Die Aktivisten wählen den falschen Weg! Er plädiert für andere Strategien.

Klimaschutz-Demonstranten der Gruppe „Letzte Generation“ spritzen eine ölartige Flüssigkeit auf die Fassade am Kanzleramt.
Klimaschutz-Demonstranten der Gruppe „Letzte Generation“ spritzen eine ölartige Flüssigkeit auf die Fassade am Kanzleramt.dpa/Paul Zinken

Gefühlt jeden Tag geschieht dasselbe: Als Vorkämpfer für eine Abkehr von unserer klimaschädlichen Lebensweise kleben sich Unterstützer der „Letzten Generation“ mit ihren Händen auf Straßenkreuzungen oder mit ihren Köpfen an wertvolle Bilder und bewerfen sich und die Kunst, oder neuerdings auch Gebäude, wahlweise mit Lebensmitteln oder Farbe.

Die „Aktivisten“ legitimieren ihre Aktionen damit, dass sie auf den lebensbedrohlichen Klimawandel aufmerksam machen und aufrütteln wollen. Doch mit ihren Aktionen schießen sie ein Eigentor.

„Öl sparen statt bohren“ steht auf der Hand einer Demonstrantin der Gruppe „Letzte Generation“, die sich auf dem Asphalt festgeklebt hat.
„Öl sparen statt bohren“ steht auf der Hand einer Demonstrantin der Gruppe „Letzte Generation“, die sich auf dem Asphalt festgeklebt hat.dpa/Paul Zinken
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Keine Frage: Die Klimaproblematik ist ein ernstes und sehr dringliches Thema, dass uns alle angeht. Hier ist jeder gefragt, seine persönliche Lebensweise zu überdenken und zu handeln. Und die Politik ist dringend gefragt, die entsprechenden Rahmenbedingungen für eine nachhaltigere Lebensweise zu schaffen. Sie muss dabei aber auch darauf achten, dass die Rettung des Klimas nicht den Untergang des sozialen und gerechten Miteinanders bedeutet. Und ja, mir geht dies alles auch viel zu langsam und ich bin enttäuscht, dass auch eine Regierung unter Beteiligung der Grünen zu wenige Akzente setzt, sich dafür aber in den Untiefen der Bürokratie, des Föderalismus, der Ideologie oder schlicht der strukturellen Rahmenbedingungen allzu oft verheddert.

Doch zurück zu den Klebe- und Farbbeutelaktionen. Der ursprüngliche Zweck, dem die Aktionen bei aller Kritikwürdigkeit angemessen scheinen, war das Erlangen von Aufmerksamkeit. Und diese gab es. Bei den ersten Klebeaktionen wurde hoch und runter berichtet. Doch offenbar haben die Initiatoren die Informationsökonomie nicht verstanden. Das „Aufmerksamkeitspotenzial“ wiederholter Straßenblockaden hat stark abgenommen und ist eher zu einem „Aufregungspotenzial“ geworden. Damit sinkt der Wert solcher Aktionen für die Klimabewegung, effizient auf ihr wichtiges Anliegen aufmerksam zu machen. Im Gegenteil, man schadet sogar dem eigentlichen Anliegen.

Klimaschutz-Demonstranten der Gruppe „Letzte Generation“ sitzen an der Ausfahrt Halenseestraße der Stadtautobahn.
Klimaschutz-Demonstranten der Gruppe „Letzte Generation“ sitzen an der Ausfahrt Halenseestraße der Stadtautobahn.dpa/Paul Zinken

In einer weiter gefassten Betrachtung erzeugt die schlichte Wiederholung der Klebeproteste inzwischen nur noch wenige Erträge. So verspielen die Klima-Kleber gesellschaftlichen Kredit. Denn die Zustimmung für ihr Anliegen, das zeigen Umfragen regelmäßig, ist in der breiten Gesellschaft durchaus vorhanden. Vielleicht in den Augen der Aktivisten bislang nicht in ganz so großem Ausmaß wie gewünscht, aber immerhin. Die Straßenblockaden mitsamt den hölzern vom Zettel abgelesenen Forderungen werden aber inzwischen eher als lästig wahrgenommen.

In den Hauptnachrichten erscheinen Berichte inzwischen vor allem dann, wenn ein Lkw-Fahrer „ausrastet“ und handgreiflich wird oder eben wenn ein Rettungsfahrzeug behindert wird. Auf diese Weise Aufmerksamkeit zu erlangen, kann doch aber nicht die Strategie sein. Eine konstruktive inhaltliche Auseinandersetzung, auf die es doch eigentlich ankommen sollte, findet kaum statt. Der Wunsch, möglichst viele für die Klimaproblematik zu sensibilisieren, schlägt somit grandios fehl. Oder einfacher ausgedrückt: Liebe Klima-Kleber, so wird das nichts, denn ihr seid außerhalb eurer eigenen Blase nicht sexy.

Zwei Umweltaktivisten der Gruppe „Letzte Generation“ stehen in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden an dem Gemälde „Sixtinische Madonna“ von Raffael.
Zwei Umweltaktivisten der Gruppe „Letzte Generation“ stehen in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden an dem Gemälde „Sixtinische Madonna“ von Raffael.dpa/Sebastian Kahnert

Kein Verständnis für Staus und blockierte Rettungsfahrzeuge

Der aufgebrachte Autofahrer, der zu spät zur Arbeit oder nach Hause kommt oder seine Kinder nicht rechtzeitig aus der Kita abholen kann, jubelt einfach nicht darüber, gerade Teil einer – wenn auch wichtigen – Initiative zur Weltrettung zu sein. Und dies können die meisten Unbeteiligten ganz gut nachvollziehen. Wenn dann noch Personen zu Schaden kommen, weil Rettungsfahrzeuge ebenfalls im Stau stecken, ist für viele endgültig der Punkt erreicht, an dem das im Grundsatz oftmals vorhandene Verständnis in Unverständnis umschlägt.

Aus der Perspektive der knappen Ressource Aufmerksamkeit tun die Kleber der Klimabewegung also keinen Gefallen. Worum geht es dann? Wenn es wirklich das Ziel der „Letzten Generation“ ist, die Menschen vom Klimaschutz zu überzeugen, dann sollte es doch in ihrem Interesse sein, ihr Thema der breiten Masse möglichst gut „zu verkaufen“, und so möglichst viele Unterstützer zu finden. Doch findet man Zuspruch für seine Anliegen, wenn man mit seinen Aktionen verlässlich größere Teile der Bevölkerung verprellt?

Die Kaskade immer ähnlicher Klebe- oder Farbwurfaktionen ist zudem ziemlich langweilig. Auch dadurch nimmt die Aufmerksamkeit ab. Da hilft es auch nichts, wenn man sich nicht länger an Straßen, sondern an Kunstwerke klebt. Glauben die Aktivisten wirklich, dass durch das Festkleben an einen Vermeer ein Umdenken der breiten Gesellschaft in Sachen Verbrauch, Konsum und Klimaschutz stattfindet? Und besonders dann, wenn vorher nach gleichem Muster schon ein Raffael und ein Monet zum Ziel wurden? Es nervt nur noch – und zwar nachhaltig. Denn wenn man zukünftig ein Museum besuchen will, steht der humanistischen Bildung zunächst eine flughafenähnliche Sicherheitsschleuse inklusive Röntgenapparat und Warteschlangen im Wege. Der spontane, genussvolle Kunstgenuss scheint Vergangenheit, im Unterbewusstsein bleibt hängen: Daran sind die „Klimaidioten“ schuld.

Lina Schinköthe, Klimaaktivistin der Organisation „Letzte Generation“ steht vor der Parteizentrale der FDP zwischen Polizeibeamten. Zuvor wurde die Parteizentrale mit Farbe besprüht.
Lina Schinköthe, Klimaaktivistin der Organisation „Letzte Generation“ steht vor der Parteizentrale der FDP zwischen Polizeibeamten. Zuvor wurde die Parteizentrale mit Farbe besprüht.dpa/Kay Nietfeld

Vor allem aber verscherzt man es sich durch solche Aktionen mit den Menschen – Kunstliebhabern und Bildungsbürgern –, die empirisch eigentlich bereits in besonderem Maße Unterstützer des eigenen Anliegens sind. Ist es nicht viel wichtiger, die eher skeptischen Menschen zu überzeugen, die nicht in Berlin-Mitte oder in Potsdam wohnen und sich sowieso für Kunst, Kultur und Klimarettung interessieren? Müsste man nicht eher mit den Schwedter PCK-Mitarbeitern direkt in einen Dialog treten? Oder mit den Fließbandarbeitern in den Automobilfabriken in Süddeutschland? (Die Vorstandsvorsitzenden hat man ja offenbar bereits überzeugt, sie springen mit einer großen Portion Gratismut nur allzu gern auf den Zug des Zeitgeistes auf und stilisieren sich selbst gern zu Fahrrad fahrenden Klimarettern.)

Andere gesellschaftliche Probleme dürfen nicht vergessen werden

Dass die Menschen in unserem Land den Klimaschutz als gesellschaftlich höchst dringliche Aufgabe durchaus in sehr signifikantem Umfang ernst nehmen, zeigt sich in vielen wissenschaftlichen Analysen, beispielsweise in Publikationen des Umweltbundesamtes. Die Wichtigkeit des Themas ist gerade in den letzten Jahren noch einmal deutlich gestiegen. Das sind gute Voraussetzungen für echte Transformationen hin zu einer klimafreundlicheren Lebensweise. Die Menschen stehen im Prinzip bereits dahinter! Dies vehement und zügig anzugehen, ist Aufgabe der Politik. Wenn es nun einigen (zu denen auch ich zähle) nicht schnell genug vorangeht und die Politik hier regelmäßig versagt, ist also allenfalls das Festkleben an der Wand des Umweltministeriums oder des Kanzleramtes angemessen. Man würde also jene ärgern, die ihren Job nicht tun, ihrem Auftrag nicht gerecht werden, der ihnen per Mandat von der Gesellschaft ja bereits erteilt wurde.

Klimaschutz-Demonstranten der Gruppe „Letzte Generation“ blockierten alle Zufahrten sowie den Kreuzungsbereich am Frankfurter Tor.
Klimaschutz-Demonstranten der Gruppe „Letzte Generation“ blockierten alle Zufahrten sowie den Kreuzungsbereich am Frankfurter Tor.dpa/Paul Zinken

In den Studien, auch in denen des Umweltbundesamtes, wird aber ebenfalls deutlich, dass es neben der Klimarettung weitere Themen gibt, deren Wichtigkeit ähnlich oder deutlich höher eingeschätzt wird. Hierzu zählen die soziale Gerechtigkeit, die Probleme im Bildungswesen und der Zustand des Gesundheitssystems. Dies kann man anders sehen und kritisieren. Hierüber kann und sollte man debattieren. Doch dies einfach ignorieren, wie die Klimaaktivisten es tun, und auf die eigene Meinung als alleingültige pochen, kann man nicht. Sicher, es ist wichtig, nicht den Fehler zu machen, das eine gegen das andere aufzuwiegen. Dies tun ja leider schon die entsprechenden Ressorts der Regierung in ihren Kompromissen, die teils eher mit dem Taschenrechner ausgehandelt zu sein scheinen als inhaltlich. Hier bedarf es zukünftig eher einer klimapolitischen konzertierten Aktion als des Streites zwischen Ressorts mit anschließendem Basta des Kanzlers.

Was können die Klima-Kleber also tun? Die Menschen davon zu überzeugen, dass die Klimarettung eines der Topthemen mit allerhöchster Priorität ist, und dafür zu sorgen, dass dies auch in der öffentlichen Aufmerksamkeitsspirale so bleibt, erreicht man nicht durch die Wiederholung von Aktionen in geringer Variationsbreite. Und auch nicht durch Eindimensionalität in inhaltlichen Diskursen unter Ausblendung der Komplexität der gesellschaftlichen, strukturellen und auch natürlichen Realitäten.

Wenn es den Aktivisten ernst ist, werden sie wohl in den sauren Apfel beißen müssen und konstruktive Vorschläge erarbeiten müssen. Und sich für diese dann Mehrheiten organisieren – innerhalb der demokratischen Willensbildungsinstitutionen wohlgemerkt. Mehr noch, diese Vorschläge müssen unter den Bedingungen stetigen gesellschaftlichen Wandels und sich ändernder Gemengelagen immer wieder neu adjustiert werden. Wie schnell ein neues Thema alle anderen vollständig überlagern kann, sieht man gerade beim Ukraine-Krieg. Überzeugungsarbeit und inhaltliche Auseinandersetzung sind aber natürlich deutlich anstrengender, als sich ein paar Stunden auf den Asphalt oder neben ein Bild im Museum zu kleben.

Denis Huschka ist promovierter Soziologe und arbeitet als freier Autor und Strategieberater. Er hat als Geschäftsführer zweier Sachverständigenräte der Bundesregierung die Sphären der Wissenschaft und Politik verknüpft.

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