Die dunkle Seite der Backstreet Boys: Sollte man noch auf ein Konzert gehen?

Mitglied Brian Littrell ist Trump-Fan und wirbt für eine rechte Plattform. Heute tritt die Boyband in der Berliner Mercedes-Benz-Arena auf. 

Die Backstreet Boys bei einem Auftritt in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá.
Die Backstreet Boys bei einem Auftritt in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá.dpa/colprensa/Camila Díaz

Seit 25 Jahren gehören die Backstreet Boys zu den beliebtesten Popbands der Welt. Auch wenn die Zeit der großen Hits vielleicht vorbei ist, sind sie erneut rund um den Globus auf Tour, die sie unter anderem durch die USA, in die Niederlande, nach Brasilien, Australien und im Herbst auch für 13 Konzerte nach Deutschland führen wird, zwei davon in der Mercedes-Benz-Arena in Berlin.

Trotz ihres Alters (Kevin Richardson, der älteste der fünf, ist immerhin inzwischen 50) sind die Backstreet Boys immer noch sehr gefragt. Auch die Skandale um zwei ihrer Mitglieder hat ihr Ruf weitgehend unbeschadet überstanden.

Sie sind in der Öffentlichkeit erstaunlich wenig bekannt und online nur zu finden, wenn man gezielt danach sucht. So lässt sich beispielsweise in der englischsprachigen Wikipedia nichts dazu finden, dass es Vergewaltigungsvorwürfe gegen Nick Carter gab, nicht einmal unter dem Reiter „Legal issues“. Sollte das Verhalten ihrer Idole für Fans nicht mehr Gewicht haben – vor allem, wenn es darum geht, sie finanziell und moralisch durch Konzertbesuche zu unterstützen?

Brian Littrell auf dem rechten Netzwerk Parler

Für erstaunlich wenig Aufregung sorgte außerdem die öffentliche Unterstützung von Brian Littrell für Ex-Präsident Donald Trump. Am Tag vor dessen Amtseinführung am 20. Januar 2017 veröffentlichte das US-amerikanische Klatschportal TMZ ein exklusives Video von dem Sänger. In diesem sagt Littrell, er habe „the guys“ (also die anderen vier Mitglieder der Backstreet Boys) gebeten, bei der Inauguration von Trump zu spielen. Diese hätten aber abgelehnt.

„Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich da gewesen.“ Auf das Nachhaken des Reporters, ob er damit wirklich einen Auftritt meine, bestätigt Littrell: „Natürlich!“ Und fügt hinzu: „Das ist Liebe, Mann, das ist Amerika. Wir sind die großartigste Nation auf dem Planeten […] Er wird unser Präsident sein und so viele großartige Dinge für dieses Land tun.“

Das Video endet mit der Aussage, dass er Vertrauen habe in Trumps „Charakter und Glauben“ – und „seine Eier“. Sein Vertrauen in den Präsidenten, so suggeriert das Video, ist offenbar vor allem in der vermeintlichen Männlichkeit Trumps begründet.

Nun könnte man Brian Littrell zugutehalten, dass er diese Aussage noch vor dem Amtsantritt Trumps tätigte. Doch auch zu dem Zeitpunkt hatte er während seines Wahlkampfes unter anderem Mexikaner als „Vergewaltiger“ bezeichnet, war das „Grab ’em by the pussy“-Video geleakt worden, hatte er mehrfach versprochen, die Mauer an der US-mexikanischen Grenze zu verstärken, und Putin als „starken Führer“ bezeichnet.

Jene, die die Social-Media-Präsenz seiner Frau Leighanne Littrell kennen, dürften von Brians Unterstützung für Donald Trump weniger überrascht sein. Anders als ihr Ehemann, der sich mit politischen Aussagen öffentlich meistens zurückhält, fiel Leighanne seit vielen Jahren mit queerfeindlichen, muslimfeindlichen und rassistischen Aussagen auf.

Sie teilte und postete Beiträge, in denen sie sich eindeutig als pro-Trump positioniert, die Authentizität des George-Floyd-Videos infrage stellt und Covid als Schwindel darstellt. (Ihr Twitter-Account ist inzwischen gelöscht, die Inhalte ihrer Facebook-Seite auch, aber ihre Posts sind online gut dokumentiert.)

Nun kann ihre Überzeugung natürlich nicht ohne Weiteres Brian Littrell zugeschrieben werden. Aber sie ist ein starkes Indiz dafür, wie es um seine Einstellung bestellt ist – immerhin sind sie seit sehr langer Zeit zusammen, lernten sich 1997 beim Dreh des Musikvideos zu „As Long As You Love Me“ kennen und heirateten im Jahr 2000.

Spätestens seit dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 dürfte es an seiner rechten und verschwörungsnahen Gesinnung kaum Zweifel mehr geben. Drei Tage danach meldete Brian Littrell, dass er jetzt im sozialen Netzwerk Parler zu finden sei. Auf Parler, das mit dem Slogan „Where Free Speech Thrives“ wirbt, posten vor allem Rechtspopulist*innen und Corona-Leugner*innen, zu den bekanntesten User*innen gehören Steve Bannon, Ivanka Trump, Jair Bolsonaro und Martin Sellner.

Die meisten von ihnen haben inaktive Accounts, mutmaßlich weil die Reichweite nicht so hoch ist wie auf konventionelleren Plattformen. Melania Trump allerdings kündigte im Februar 2022 an, Parler zu ihrer Social-Media-Heimat zu machen.

Einen Tag bevor Brian auf Twitter und Facebook dazu aufrief, ihm auf Parler zu folgen (auf Facebook mit einem kurzen Video, in dem er das Gesicht zu einem fast schuldbewussten Grinsen verzieht, wie ein Mensch, der sich seiner Grenzüberschreitung bewusst ist), wurde die App aus dem Google Play Store gelöscht, am selben Tag zog Apple nach – eben aufgrund der Mobilisierung zum Sturm auf das Kapitol. Leighanne Littrell war erneut wenig zurückhaltend mit ihrer Meinung und schimpfte auf Twitter über „Zensur“ durch „Mainstream-Medien“, „Riots“ von Antifa und „Black Lives Matter“-Aktivist*innen, die ihrer Meinung nach für den Sturm auf das Kapitol verantwortlich seien.

Kein #MeToo für Nick Carter

Die Vorwürfe gegen das Bandmitglied Nick Carter liegen bereits einige Jahre zurück. Im November 2017, wenige Wochen, nachdem die #MeToo-Bewegung ihren Anfang nahm, veröffentlichte Melissa Schuman, Sängerin der Popband Dream, die Anfang der Nullerjahre mäßige Erfolge hatte, einen Blogpost, in dem sie Nick Carter vorwarf, sie 15 Jahre zuvor vergewaltigt zu haben. Auslöser für diesen Blogpost war das Bekanntwerden eines anderen Vorwurfs gegen Carter einige Tage zuvor, laut dem er 2006 eine 20-jährige Frau sexuell missbraucht haben soll.

Es ist nicht das erste Mal, dass der „Backstreet Boys“-Sänger Medienberichten zufolge gewalttätig gegenüber Frauen gewesen sein soll: Schon 2004 kursierten Gerüchte, er habe seine damalige Freundin Paris Hilton geschlagen.

Beistand bekam Sängerin Schuman von Nick Carters jüngerem Bruder Aaron, der allerdings seit Jahren primär durch Negativschlagzeilen in der Presse auffällt, öfter Wuttiraden auf seinen Social-Media-Accounts postet, sich zudem zu Alkohol- und Drogenmissbrauch bekannte. Mehrfach bezichtigte Aaron Carter auf Twitter und Instagram seinen Bruder des gewalttätigen Verhaltens.

Gegen Nick Carter, der sämtliche Vorwürfe Schumans abstritt, kam es nie zu einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft, weil die mutmaßliche Straftat bereits 2013 verjährt war. Und nicht nur legal, auch in der Öffentlichkeit blieben für Nick Carter etwaige Folgen aus. Viele seiner Fans schlugen sich auf seine Seite, benutzten den Hashtag #HisSideToo, um ihm ihre Unterstützung zu zeigen, und bedrohten Melissa Schuman. Danach versandete das Thema.

Einen Freund an QAnon verloren

So wie auch die PR-Agentur der Backstreet Boys sehr gute Arbeit zu leisten scheint – sonst hätten die Vorwürfe vor allem gegen Carter wahrscheinlich höhere Wellen geschlagen und wären auf Wikipedia zu finden –, so ist natürlich auch öffentlich nicht mit vielen Reaktionen der anderen Boys zu rechnen. Littrell bezeichnete Melissa Schuman ein knappes Jahr später – wieder im Klatschportal TMZ – als „fame seeker“, sonst hörte man medial nichts.

Auch über Littrells Trump-Unterstützung äußerten sich die Backstreet Boys nur verhalten. Brians Cousin Kevin Richardson tweetete, vielleicht als Reaktion darauf, wenige Tage später zwei Artikel mit den Kommentaren „interesting read <3“. In dem einen aus der englischsprachigen Cosmopolitan geht es um Verschwörungstheorien und Pro-Trump-Rioter, der andere, ebenfalls aus der Cosmopolitan, trägt den Titel „I Lost a Best Friend to QAnon“.

Darin berichtet die Autorin, wie sie ab Trumps Präsidentschaft 2016 ihre gute Freundin wegen konträren politischen Sichtweisen verlor, indem sie immer mehr Themen vermieden, bis die Freundin schließlich die rechtsextreme Verschwörungsgruppe QAnon für sich entdeckte.

Nick Carter äußerte sich auch in den Tagen nach dem 6. Januar 2021 nicht zur Politik (was er generell so gut wie nie tut), während sich AJ McLean eindeutig positionierte, indem er ein Foto postete, auf dem er eine Tasse, die Joe Biden und Kamala Harris zeigt, in der Hand hält. Und Howie D. Dorough hoffte wenige Tage nach Brians und Kevins Tweets sehr kryptisch mit einem Foto eines Sonnenuntergangs auf „sunnier days ahead“.

Doroughs Wunsch ist in Erfüllung gegangen: In den gut 15 Monaten, die seither vergangen sind, drangen keine etwaigen internen Zwists an die Öffentlichkeit. Überraschender ist aber, dass weder die Vorwürfe gegen Nick Carter noch die politische Einstellung von Brian Littrell für viel Aufmerksamkeit sorgten.

Viele Fans sind mit den Backstreet Boys erwachsen geworden

In den USA berichteten die größeren Medien über beide Fälle, aber beides ebbte schnell wieder ab. Und in Deutschland wurden die Vergewaltigungsvorwürfe zwar von Spiegel, FAZ und Frankfurter Rundschau kurz aufgegriffen, aber nicht weiterverfolgt, während über Brian Littrells Nähe zu QAnon nur die Hamburger Morgenpost schrieb.

Viele Fans der Backstreet Boys halten der Band seit Jahrzehnten die Stange, sind mit ihr erwachsen geworden. Sich von der Gruppe zu distanzieren, ist kein einfaches Unterfangen. Es stellt sich aber die Frage: Ab wann sollte man das eigene Fantum überdenken?

Ist es möglich, trotz der mutmaßlichen sexualisierten Gewalt durch Carter und der nachweisbaren Unterstützung Trumps durch Littrell die Band weiterhin kritiklos zu feiern? Eins steht fest: Um informierte Entscheidungen zu treffen – zum Beispiel, ob man wirklich ein Konzert besuchen möchte –, ist es nötig, über diese Vorwürfe Bescheid zu wissen.

Erst so kann jede*r für sich selbst beantworten, ob es möglich ist, in diesem Fall die Kunst von den Künstlern zu trennen.

Bisher zumindest kommen die Backstreet Boys in jeder Hinsicht mit ihrem Verhalten durch. Der Großteil der Fans, der die Vorwürfe kennt, weist die Anschuldigungen von der Hand und unterstützt seine Stars in den sozialen Medien; die Wahrscheinlichkeit, dass diejenigen, die sich nicht näher mit der Band beschäftigen, noch nie von Melissa Schuman oder Littrells Parler-Account gehört haben, ist zudem sehr hoch.

Und so tut die dunkle Seite der Backstreet Boys ihrem Erfolg keinen Abbruch: Auf der Homepage der Mercedes-Benz-Arena, wo die beiden Konzerte im Herbst in Berlin stattfinden sollen, sind jetzt schon kaum noch Tickets zu bekommen.

Isabella Caldart ist Journalistin, Lektorin und Social-Media-Redakteurin. Auf www.novellieren.com bloggt sie über Literatur und Popkultur.

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