Berlin: Eine Frau schwimmt oben ohne und schlägt große Wellen
Als Lotte Mies im Dezember das Schwimmbad Kaulsdorf betrat, erhielt sie zunächst Hausverbot. Ihr „Vergehen“: Sie trug kein Oberteil. Sie protestierte - und hatte Erfolg.

Obwohl sich Lotte vorher erkundigt hatte, ob das Schwimmen oben ohne okay sei, kam es zu einer „Hände wedelnden“-Auseinandersetzung mit dem Personal, in deren Verlauf Lotte aufgefordert wurde, das Bad zu verlassen. Auch die herbeigerufene Polizei wollte ihr nicht zu ihrem Recht verhelfen.
Denn verboten war das eigentlich nicht. Die Haus- und Badeordnung der Berliner Bäder-Betriebe schreibt lediglich das Tragen „handelsüblicher Badekleidung“ vor. Darauf berief sich Lotte und erhielt Hausverbot von jener Bademeisterin, die zuvor grünes Licht gegeben hatte. Lotte Mies hat protestiert.
Und sie weiß, wovon sie spricht. Sie hat selbst jahrelang als Rettungsschwimmerin in einem Berliner Freibad gearbeitet. Aktuell begleitet sie Kinder zum Schwimmunterricht. Eine Ausbildung als Schwimmlehrerin steht demnächst an. Nach dieser „demütigenden Erfahrung im Schwimmbad“, wie sie selbst sagt, wandte sie sich an die Ombudsstelle der Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung und hatte Erfolg.
Diese stellte klar, dass Frau Mies die Haus- und Badeordnung richtig ausgelegt habe: Es gebe keine geschlechtsspezifischen Vorschriften in Bezug auf die Badebekleidung. Allerdings sei die Hausordnung in den Bädern teilweise unterschiedlich ausgelegt worden. Nach einer Empfehlung der Ombudsstelle teilten die Berliner Bäderbetriebe mit, dass das Schwimmen und Sonnenbaden „oben ohne“ zukünftig für alle Personen gleichermaßen erlaubt sei.
Berliner Zeitung: Frau Mies, wie kam es zum Eklat? Lag ein Kommunikationsproblem vor?
Lotte Mies: Ganz sicher nicht. Ich habe per E-Mail nachgefragt, ich habe mit der Bademeisterin telefoniert. Sie hat mir die Entscheidung freigestellt und dann so ein Stress. Ich wollte mich empowern, ich kam mit einem guten Gefühl und verließ die Schwimmhalle mit einem schlechten Gefühl, dass allein meine Brüste eine Ordnungswidrigkeit darstellen.
Bevor Sie aus dem Schwimmbad eskortiert wurden, hat Sie das Personal aufgefordert, ein Oberteil anzuziehen, wenn Sie bleiben möchten. Warum haben Sie das nicht einfach getan?
Das hätte ja bedeutet, dass ich nicht selbstbestimmt über meinen Körper entscheiden darf. Wenn Männern etwas erlaubt ist, Frauen hingegen nicht, dann ist das nicht nur ungerecht, sondern sexistisch.
Damit konnten Sie das Personal nicht überzeugen?
Nicht einmal die Polizei. Die sollte doch eigentlich wissen, was im Gleichbehandlungsgesetz und im Grundgesetz steht. In beiden ist Gleichberechtigung fest verankert und die endet ganz bestimmt nicht vor dem Eingang des Hallenbads Kaulsdorf.
Die Schwimmhalle in Kaulsdorf nahm das Hausverbot inzwischen zurück und erlaubte es Ihnen, oben ohne zu schwimmen, solange andere Badegäste sich nicht gestört fühlten.
Das ist ein Witz. Damit würde ich ja den Leuten recht geben, die die weibliche Brust sexualisieren und über meinen Körper bestimmen wollen. Diese Leute sollten sich fragen, warum sie sich belästigt fühlen? Gleiche Rechte zu fordern, kann doch keine Belästigung sein.
Ihre Geschichte hat deutschlandweit und darüber hinaus große Wellen geschlagen. Selbst die BBC hat berichtet. Inzwischen hat sich auch die Senatsverwaltung für Justiz eingeschalten und mitgeteilt, dass oben ohne baden für jede/n möglich sei, unabhängig vom Geschlecht. Erfolg auf ganzer Linie oder Etappensieg?
Ganz klar Etappensieg. Es geht ja nicht nur um die Berliner Bäder. Freiräume, die für Männer selbstverständlich sind, sollten auch für Frauen selbstverständlich sein. Also Hallenbäder, Freibäder, Strände, Grünanlagen, Parks usw. Ich habe nicht vor, Restaurants oder Kinos oben ohne zu besuchen. Das verbietet sich ja schließlich auch für Männer.
Wenn ich da an betrunkene, männliche Touristengruppen von einer unbedeutenden Insel im Nordatlantik außerhalb der EU denke … So viel ich weiß, haben die sogar Hausverbot im Berghain.
Ach … (Runzelt die Stirn, lacht und winkt ab.)
Wie sind die Reaktionen auf Ihr Engagement und auf die Entscheidungen von Ombudsstelle, Bäder-Betriebe und Berliner Justiz?
Ich habe sehr viele positive Nachrichten erhalten, von Frauen, die das auch so empfinden und mir danken, dass ich mich dafür einsetze. Es gibt aber auch einige negative Reaktionen, Hasstiraden, Gewaltandrohungen.
Gewaltandrohungen?
Ja, diese unerträgliche Täter-Opfer-Umkehr: „Du bist doch selbst daran schuld, wenn du vergewaltigt wirst. Du provozierst doch sexuelle Gewalt.“ Das geht bis hin zu einer konkreten Morddrohung.
Was war das für eine?
Nein, ich möchte mich nicht dazu äußern, solang die Ermittlungen der Polizei laufen.
Was sagen Sie den Leuten, die „zivilisierte“ Kritik üben, weil sie beispielsweise ihre religiösen Gefühle verletzt sehen?
Ich bin ja selbst mit diesem Geschlechterbild sozialisiert worden. Aber irgendwann fing ich an, zu hinterfragen, wo kommt das eigentlich her? Warum sind bestimmte Dinge für Männer selbstverständlich, die für Frauen tabu sind. Und ich habe für mich entschieden, die gleichen Rechte wie Männer in Anspruch zu nehmen. Und natürlich möchte ich religiösen Menschen gegenüber nicht respektlos erscheinen. Aber Fakt ist, die Menschenrechte und auch das Grundgesetz stehen über Bibel, Koran, Thora und Co., zumindest in der profanen Welt.
Was sagen Sie den Frauen, die sich damit nicht identifizieren können?
Es geht ums Können, darum, dass sich Frauen genauso frei bewegen dürfen wie Männer, nicht ums Müssen. Gleiche Rechte für alle!
Sie sind Teil des feministischen Kollektivs „Gleiche Brust für alle“?
Ja, wir engagieren uns gegen die Sexualisierung und Diskriminierung der weiblichen Brust. Es kann doch nicht sein, dass körperliche Unterschiede zwischen Frauen, Männern, transgender, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen zu Unterschieden bei der Wahrnehmung von Rechten führen?
Es geht nicht nur um die weibliche Brust?
Es ist wichtig zu verstehen, dass Gleichberechtigung keine Frage des Standpunktes ist, sondern ein Menschenrecht. Und es ist ein Akt der Diskriminierung, wenn man dem einen Menschen Rechte zugesteht, die man dem anderen aufgrund zweier X-Chromosomen vorenthält. Die Frage ist doch, in was für einer Gesellschaft wollen wir leben?
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