Lehramtsstudium in Berlin: „Es ist viel Praxisnähe verloren gegangen“
Viele Lehramtsstudenten kritisieren ihre Ausbildung als praxisfern. Unsere Autorin, ehemalige Schulleiterin, denkt: Früher war die Lehrerausbildung besser.

Der folgende Beitrag ist eine Antwort auf „Lehramtsstudium in Berlin: ‚Erster Abschluss in der Tasche und von nix ’ne Ahnung‘“.
Ich habe vollstes Verständnis für die inhaltlichen Schilderungen der Verfasserin. Ich selbst war 42 Jahre im Schuldienst an zwei verschiedenen Grundschulen in Schöneberg und in Treptow-Köpenick. 35 Jahre war ich Schulleiterin, auch an beiden Schulen.
Meine Ausbildung in den 70er-Jahren absolvierte ich an der damals noch existierenden Pädagogischen Hochschule (PH) in Berlin-Lankwitz. Einen Numerus clausus gab es nicht. Dafür aber ganze Semester lang Übungen zur Unterrichtsplanung, zur Lernzielformulierung, Erziehungswissenschaften und Psychologie. Im vierten Semester gingen wir an die Schulen, eine Hälfte wurde an der Grundschule absolviert, die andere an einer Oberschule. Beratung und Begleitung gab es von den Lehrerinnen und Lehrern, aber auch von den Professoren der PH.
Wir haben ganze Übungsreihen zu unterschiedlichen Themen erprobt, in Psychologie lernten wir umfassend den geschickten Umgang mit den zukünftigen Schülerinnen und Schülern.
Es ist nicht so, dass wir von Beginn an alles richtig machten und alles wussten. Aber verglichen mit den Absolventen späterer Jahre ist an den Unis doch viel Praxisnähe verloren gegangen. Wie oft habe ich jungen Lehrerinnen und Lehrern Ratschläge zur Bewältigung unterschiedlichster Aufgaben oder Probleme geben können. Und wie oft staunten diese über meine Erfahrungen. Dass die durch die Praxisjahre immer umfangreicher werden, sollte bei allen Pädagogen und Pädagoginnen so sein. Aber ich hatte von Anfang an ein gewisses Repertoire, das mir hilfreich meine Arbeit erleichterte.
„Ich bedaure die heutigen Berufsanfänger“
Ich habe nie verstanden, warum die Pädagogische Hochschule damals abgeschafft und so gering geschätzt wurde. Was nützt eine wissenschaftliche Ausbildung, wenn jeglicher Praxisbezug zum Schulalltag fehlt. Ich bedaure die heutigen Berufsanfänger, aber noch mehr die Kinder, die zumindest in meinem Umfeld und an unterschiedlichen Schulen unterschiedlicher Regionen wenig pädagogisch und wenig individuell unterrichtet werden.
Anscheinend sind Lehrerinnen und Lehrer damit heutzutage überfordert. Und die Belastung des Kollegiums erlaubt eher selten bis nie die von der Senatsverwaltung gewünschte kollegiale Beratung und Unterstützung. Leidtragende sind die Schülerinnen und Schüler, besonders an den Grundschulen, die ja eigentlich die Aufgabe haben, das Fundament für gelingendes Lernen zu legen.
Ich bin inzwischen seit gut vier Jahren im Ruhestand, aber mein Herz brennt noch immer für die Bildung der Grundschulkinder, für Ermutigung und Hilfestellung, um erfolgreich im Rahmen der individuellen Möglichkeiten sein zu können, was nicht im Gegensatz zum Regeln-Beachten und -Einhalten steht. Kinder sollen selbstbewusst und zielstrebig werden. Dafür brauchen sie unsere Unterstützung. Die wiederum braucht Zeit des pädagogischen Personals, das aber seit Jahren oft mehr als ausgelastet und an der kräftemäßigen Grenze arbeitet.
Mehr Lehrpersonal und kleinere Klassen sind sicher nicht unberechtigte Forderungen, aber bessere Vorbereitung auf die Unterrichtspraxis würde vielen jungen Kolleginnen und Kollegen das Leben leichter machen und vielleicht auch den Beruf wieder erstrebenswerter.
Renate Tomas ist ein Pseudonym. Der Name der Autorin ist der Redaktion bekannt.
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