Corona-Debatte: Die Kultur hat sich während der Pandemie unterworfen

Ja, es gab Künstler, die am Anfang der Corona-Zeit die Maßnahmen kritisch hinterfragt haben. Aber es waren zu wenige. Ein Gastbeitrag.

Kunstinstallation des Künstlers Dennis Josef Meseg am Gendarmenmarkt in Berlin, 2021
Kunstinstallation des Künstlers Dennis Josef Meseg am Gendarmenmarkt in Berlin, 2021Benjamin Pritzkuleit

Dieser Text ist Teil der Serie „Corona-Debatte“. Alle Texte dazu finden Sie hier.

Welche Aufgabe hat die Kunst? Welche Rolle spielt sie in der Gesellschaft? Und welche Aufgabe hat sie heute noch in Bezug auf gesellschaftliche Prozesse?

Das ist die Frage, die mich seit Beginn der Pandemie umtreibt: Warum wird vonseiten der Kunst und der Künstler über einen so langen Zeitraum geschwiegen? Warum enthält man sich (bis auf einzelne Ausnahmen) jeglicher kontroversen Betrachtung der Situation und der anhaltenden Entwicklungen in unserem Land?

Bis heute finde ich keine zufriedenstellende Antwort. Nur eine Überzeugung hat sich über die letzten Jahre festgesetzt und verankert: Die Kunst hat im Sinne der Gesellschaft und gesellschaftlicher und menschlicher Werte die Aufgabe, stattfindende Prozesse aufzugreifen und zu reflektieren. Möglicherweise so zu spiegeln, dass Provokationen zu Empörung und kontroversen, gerne auch hitzigen Diskussionen führen. Und diese Aufgabe hat sie weder ernst genommen noch erfüllt. Sie ist gescheitert.

#allesdichtmachen und die positiven Folgen

Das stärkste und demnach wertvollste Kunstwerk, das ich in den vergangenen zweieinhalb Jahren in Deutschland wahrgenommen habe, war die Kampagne #allesdichtmachen. Als solches ist die Aktion der Künstler zu begreifen: als gelungenes Kunstwerk.

Es hat in die Wunde gestochen und Reaktionen hervorgerufen. Es hat Emotionen an die Oberfläche gespült, die offensichtlich schon länger da waren und nun mit etwas Abstand angeschaut werden konnten.

Eine gewünschte erwachsene Herangehensweise im Umgang mit diesen Reaktionen blieb jedoch aus, und es erstaunte umso mehr, welche Formen des Hasses und der Verachtung in unserem Land – in dem „Respekt“, „Toleranz“ und „Akzeptanz von Minderheiten“ in Diskussionen so hochgehalten werden – in der gelebten Welt zutage traten.

Infobox image
Niklas Berg
Zur Autorin
PHILINE CONRAD ist Schauspielerin, Schriftstellerin und Malerin. Geboren in Köln entdeckt sie 2010 das Theater an der studiobühne köln. Nach Abschluss ihres Studiums zu Geheimdiensten, Whistleblowern und Wikileaks zieht sie 2012 nach Berlin, spielt am Maxim Gorki Theater, am Hebbel am Ufer und im Heimathafen Neukölln. 2014 beginnt sie mit dem Schreiben und eine Schauspielausbildung, die sie 2016 abschließt. Seit 2017 schreibt sie Theaterstücke, Hörspiele, Drehbücher und für verschiedene Magazine. Von 2015 bis 2018 spielt sie an verschiedenen Theatern in Köln und Berlin, ihr Stück „Lulla-Bye for a Mother“ gewinnt 2019 den Literaturpreis Nordost, und 2020 wird ihr Hörspiel „Das Geschenk“ vom WDR produziert. 2021 gründet sie die Künstlerinitiative Kunst ist Leben und produziert 2022 das Hörspiel „Geistige Gefangenschaft“. Weitere Infos im Netz unter: www.philineconrad.com

Einige Künstler haben ihre Aufgabe ernst genommen

Zur gleichen Zeit und noch vor Bekanntwerden der Kampagne #allesdichtmachen entschloss ich mich als Reaktion auf meine anhaltende Frage, wo die Künstler bleiben, nach kritischen Kollegen Ausschau zu halten und eine Künstlerinitiative zu gründen. Die Intention war, couragierte Kollegen zu vernetzen, die es wagten, ihre Gedanken laut auszusprechen und Restriktionen, Jobverluste, Ächtung und Berufsverbote in Kauf zu nehmen – zusätzlich zum gesellschaftlichen Ausschluss, wenn man sich gegen die forcierte Maßnahme entschied, die als einzige Lösung für die Pandemie angepriesen wurde.

Das Netzwerk Kunst ist Leben besteht bis heute, das dritte Festival für Frühjahr 2023 ist in Planung – und es weitet sich aktuell über die Landesgrenzen hinaus aus.

Ja, es gibt sie, die angstfreien, selbstbewussten und vor allem freien Künstler wie Roger Waters, Eric Clapton, Busta Rhymes, Danny Rampling, Nena, Volker Bruch, Julia Neigel, Dietrich Brüggemann.

Sie haben ihre Aufgabe als Künstler ernst genommen, sich in den Sturm und gegen den Strom gestellt.

Es fehlten eine profunde Debatte und entwarnende Töne

Sicher gibt es mehr, ich habe sie gerade nicht alle namentlich greifbar. Die Zahl aber bleibt dennoch erschreckend überschaubar. Ganz zu schweigen von einzelnen Institutionen, Theatern, Konzerthäusern, Veranstaltern, Kulturstätten, Museen – wo selbst wenn sie sich kritisch positionieren wollten, einzelne Mitarbeiter keine Chance hatten, ihrer Stimme Kraft und Ausdruck zu verleihen. Sie wurden unter dem Druck der restlichen Belegschaft zum Schweigen gebracht. Das wurde mir in vielen Gesprächen mit Kollegen, die an Häusern angestellt sind, bestätigt.

In der gesamten Debatte und der derzeitigen wahrnehmbaren Polarität von „Wir brauchen eine Aufarbeitung“ und „Jetzt sind wir ja durch, schauen wir nach vorne“ ist es wichtig anzumerken: Egal wie man zu den medizinischen Prognosen und Schreckensszenarien steht, die seit Frühjahr 2020 von den Medien aufrechterhalten wurden – es gab kaum beruhigende Worte zu hören wie: „Bewahren Sie Ruhe. Wir werden mit Vorausschau überlegen, was die besten Entscheidungen für alle sind.“

Nein, es wurde losgeschossen.

Menschen wurden in eine emotionale Schockstarre versetzt

Und von da an war das ganze Land im Schockzustand. Über zweieinhalb Jahre. Befeuerung mit Schreckensszenarien, überall das Bild der Apokalypse, das Spiel mit der Angst vor dem Tod. Was ein emotionaler Schockzustand mit der Psyche, der seelischen Gesundheit und dem mit Geist und Gedanken verbundenen Körper macht, wissen wir. Wir konnten es auch vor 2020 schon in psychologischen Studien und Wissenschaftsmagazinen lesen.

Menschen sitzen vor einer ehemaligen Bäckerei am Alexanderplatz, die in ein Theater umgewandelt wurde. Berlin, 2021.
Menschen sitzen vor einer ehemaligen Bäckerei am Alexanderplatz, die in ein Theater umgewandelt wurde. Berlin, 2021.Sebastian Wells/Ostkreuz

Oft hört man heute den folgenden Satz als Rückschau auf die Zeit: „So eine Situation gab es noch nie. Man konnte es nicht besser wissen.“ Da widerspreche ich. Mit aller Klarheit. Doch. Es gab schon viele Situationen, in denen Menschen kollektiv in eine emotionale Schockstarre versetzt wurden. Es gab schon viele Situationen, in denen klar war, dass bestimmte von der Politik befeuerte und gesteuerte Dynamiken keinen guten Ausgang für die Gesellschaft und das menschliche Miteinander haben würden.

Aber man wollte nicht hinsehen. Wollte es nicht erkennen, während es geschah. (Das von einem Whistleblower im Mai 2020 geleakte Papier aus dem Bundesinnenministerium wurde bewusst übersehen und ignoriert.) Man dachte, es wird von allein wieder alles gut werden. Wenn alles vorbei ist, werden wir alle gemeinsam aufatmen und daran anknüpfen, wie es früher war.

Dass dies nicht möglich ist, merken wir jetzt.

Unser Land, unsere Gesellschaft ist gespalten

Ich möchte an dieser Stelle anmerken: Meine Absicht ist hier nicht, die Gefährlichkeit des Virus einzuschätzen. Ich möchte allein Beobachtungen von außen schildern, komplexere Prozesse beschreiben, als die wenn man selektiv auf nur eine Sache fokussiert ist. Denn egal wie man zu den medizinischen Einschätzungen steht – unser Land, unsere Gesellschaft ist gespalten.

Wir müssen einsehen, dass viele Dinge, die uns versprochen oder zweifellos prognostiziert wurden, nicht eingetroffen sind. In die eine und in die andere Richtung. Am Ende wurden Menschen mit verbaler und auch realer Härte unter Druck gesetzt, die verordneten Maßnahmen zu befolgen und sich einer Zwangsmaßnahme zu unterziehen. Hinterfragen war nicht gestattet.

Und: Wir wurden belogen. Es wurde uns von dem noch amtierenden Gesundheitsminister gesagt: Das Mittel ist „mehr oder weniger nebenwirkungsfrei“ (ab Min. 43:50).

Heute wissen wir aus diversen Beiträgen, beispielsweise vom MDR und auch dem ZDF: Das ist keineswegs der Fall. Die Zahl und auch die verschiedenen Schweregrade von Impfschäden sind nicht zu leugnen. In einem Beitrag vom ZDF vom 4. Dezember 2022 wurde die Zahl 6000 genannt (ab Min. 5:19). Wie lange wird es dauern, bis diesen Menschen geholfen wird? Und wie viele werden noch dazukommen? 

Wenigsten werden sie heute ernst genommen. Das war nicht immer so.

Heute werden Veranstaltungen abgesagt, Konzerte finden nicht statt

Doch zurück zur Kunst: Sie hat geschwiegen. Sie hat zugesehen, beobachtet, vielleicht geahnt – denn das ist ihr Job. Aber sie hat nicht gemahnt. Oder zu wenig. Besonders das wäre ihr Job. Sie war still. Sie war, wie vonseiten der Politik bezweckt, abgestellt.

Heute werden Veranstaltungen abgesagt, Konzerte finden nicht statt, Theater- und Opernsäle sind nur halb gefüllt. Die Kultur hat sich unterworfen, hingenommen, akzeptiert. Das war noch nie ihr Wesen. Es widerspricht ihrer Natur. Heute wundert man sich und analysiert, was die Gründe dafür sein könnten. Doch wer ehrlich zu sich ist und es eingestehen kann, gibt zu: Es war absehbar.

Ja, eine Rückschau ist unabdingbar

Ganz zu schweigen von der Bedeutung und Wichtigkeit von Kunst, Kultur, Musik und dem gemeinsamen Erleben für das gesellschaftliche Miteinander, für Verbundenheit, für Freuden und für Trost in schweren Zeiten.

Es waren schwierige Zeiten. Wir brauchten Trost. Ihn in der Kunst und Kultur zu finden, war verboten. Und nebenbei bemerkt: auch in den Kirchen.

Im Lockdown blieben Opernhäuser und Theater zu, Aufführungen waren nur noch digital zu erleben.
Im Lockdown blieben Opernhäuser und Theater zu, Aufführungen waren nur noch digital zu erleben.Britta Pedersen/dpa

Ich möchte mich an dieser Stelle gerne einreihen unter die vielen couragierten Kollegen, die bereits an unterschiedlichsten Stellen eine Forderung formuliert haben: Es muss eine Aufarbeitung geben. Wir müssen zurückschauen.

Für die Kunst bedeutet das: Wir müssen das Tabu brechen. Wir müssen wieder diskutieren, uns auseinandersetzen, offen und unmoralisch, hitzig und kontrovers.

Und bitte nicht persönlich. Die große Mehrheit in diesem Land hat nicht das Interesse, dass Menschen sterben. Im Gegenteil. Die große Mehrheit der an Diskussionen jeglicher Art Beteiligten hat den Wunsch, etwas konstruktiv zur Gesellschaft beizutragen. Und dazu gehört: seine Meinung, seine Gedanken offen und frei zu äußern. Diesen Vorwurf also können wir aus jeder aufkommenden Diskussion von nun an mal verbannen.

Ja, eine Rückschau ist unabdingbar.

Vielleicht könnte mein Hörspiel etwas dazu beitragen, das mithilfe von Crowdfunding und wunderbarer und unterstützender Kollegen in Eigenproduktion entstanden ist und das versucht, die gesellschaftlichen Phänomene und Ereignisse der letzten zweieinhalb Jahre aufzugreifen und aufzuzeigen.

Es wäre vielleicht ein Anfang.

Denn es steht die Frage im Raum: Wie werden wir reagieren? Besser: Wie werden wir handeln, wenn sich ein solches Szenario eines Tages wiederholt?

Wie wird sich die Kunst dann verhalten? Wird sie dann überhaupt noch existieren?

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.

Dieser Beitrag unterliegt der Creative Commons Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nicht kommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.

Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de