„Woher kommen deine Eltern?“: Ich komme aus Berlin, reicht das nicht aus?
Wie spricht man Menschen mit anderer Hautfarbe korrekt an? Unsere Autoren, Mutter und Sohn, sind unterschiedlicher Meinung. Ein Gespräch.

Vor einigen Tagen schrieb ich in einem Text über meine Unsicherheit, Menschen mit anderer Hautfarbe korrekt anzusprechen, dass meine Kinder mich in dieser Hinsicht zuweilen kritisieren. Mein 22-jähriger Sohn, dessen Vater als Kind aus dem kambodschanischen Bürgerkrieg nach Deutschland gekommen war, ein Krieg, in dem seine Eltern und acht seiner insgesamt zwölf Geschwister durch die Roten Khmer umgekommen sind, ärgerte sich über meinen Text und fühlte sich falsch verstanden. Ein Gespräch über Identität, Zugehörigkeit und die Frage „Woher kommen deine Eltern?“.
Can: Hallo, Mama, ich habe deinen Text in der Berliner Zeitung gelesen. Ich bin etwas verwundert und fühle mich von dir falsch verstanden. Du stellst mich und meine Geschwister als die arroganten Abiturienten dar, die die Umwelt retten, gendern und nebenbei noch die Sprache ihrer Eltern korrigieren müssen. Privilegierte Teenager, bei denen politische Korrektheit über allem steht, die sich aber damit bisher nur theoretisch auseinandergesetzt haben. Meine Überzeugungen haben sich jedoch nicht durchs Lesen oder im Diskurs mit anderen Nicht-Betroffenen gebildet. Und das weißt du doch am besten. Dachte ich.
Weißt du noch, wie mich jemand an meinem ersten Schultag als Afrikaner bezeichnet hat? Oder die Eltern beim Fußball, die meinten, dass ich südamerikanisch aussehen würde? Oder wie oft einfach festgelegt wurde, dass ich Chinese bin, weil sie keine anderen Länder in Asien kannten? Wenn mich damals jemand gefragt hat, wo ich herkomme, hatte ich einen auswendig gelernten Satz im Kopf: „Mein Vater kommt aus Kambodscha und meine Mama aus Deutschland.“
Keine besonders gute Antwort, da ich ja lediglich erkläre, wo meine Eltern geboren sind, während ich zu einem Elternteil gar keinen Kontakt habe, zu meinem Vater, der aus einem Land kommt, das ich überhaupt nicht kenne. Und wenn mich jemand fragt, wo ich herkomme, möchte er doch eigentlich Informationen über mich gewinnen und nicht über meine Eltern. Ich habe mit der deutschen und mit der kambodschanischen Kultur relativ wenig zu tun. Jedenfalls nicht mehr als mit den Bräuchen und Sitten, die mir meine Berliner Freunde gezeigt haben, deren Vorfahren einst aus der Türkei, dem Iran, der Dominikanischen Republik, Nigeria, Ghana, Palästina oder Indonesien kamen.
Ich habe nicht gesagt, dass du Menschen mit anderer Hautfarbe nicht als Schwarze bezeichnen darfst. Aber es geht nicht um das Wort. Menschen sollten nicht durch Merkmale wie die geografische Herkunft oder die Hautfarbe beschrieben werden, auf die sie selbst gar keinen Einfluss haben und die somit für ihre Identität vielleicht gar nicht relevant sind.

„Zu deiner Identität gehört doch auch, wie Menschen dich spiegeln“
Rahel: Doch, leider sind diese Merkmale noch immer relevant. Ich erinnere mich daran, dass du dich in den Fußballvereinen in Pankow immer fremd gefühlt hast. Du warst dort der einzige Junge mit dunklerer Haut und schwarzen Haaren. Man sah dir die Herkunft deines Vaters an. Und erinnere mich gut daran, wie du nach dem ersten Trainingstag bei den Reinickendorfer Füchsen, wo viele Jungs mit nicht-deutschen Wurzeln trainierten, glücklich nach Hause kamst und erklärtest, dass du zum ersten Mal nicht danach gefragt wurdest, woher deine Eltern kommen, sondern nur nach deinem Namen.
Ich erinnere mich auch an die abwertenden Kommentare in deiner Schule wegen deines Aussehens, deiner Herkunft. Insofern stimmt es nicht, dass die Hautfarbe oder die Herkunft deiner Eltern keinen Einfluss auf deine Identität haben. Zu deiner Identität gehört doch auch, wie die Menschen in deiner Umgebung dich spiegeln, auch wenn das mitunter verletzend für dich ist und du das nicht wahrhaben willst.
Can: Du hast recht, zu meiner Identität gehört auch, wie Menschen in meiner Umgebung mich gespiegelt haben. Aber meine Persönlichkeit wurde doch nicht durch die Nationalität beeinflusst, die mir zugeordnet wurde, sondern durch die Diskriminierung, die ich dadurch erfahren habe. Dass jemand zu mir gesagt hat, dass ich Thailänder sei, hat nicht dazu geführt, dass ich mich thailändisch fühle.
Aber es hat dazu geführt, dass ich mich anders fühle als mein weißes Gegenüber, obwohl wir am gleichen Ort aufgewachsen sind. Und dieses Gefühl gehört zu mir und auch zu vielen anderen Berlinern, denen es ähnlich ergangen ist. Deswegen habe ich mich bei den Reinickendorfer Füchsen auch so wohlgefühlt. Es war nicht wichtig, woher unsere Vorfahren kamen. Wichtig war, dass wir anders waren und deshalb gleich.
Rahel: Dein Vater, der als zehnjähriger Junge von einer deutschen Familie aufgenommen wurde, gemeinsam mit seiner jüngeren Schwester, war damals der einzige Ausländer in einem schleswig-holsteinischen Dorf. Jahrelang hat er in seiner Umgebung nur deutsch sprechen müssen, seine einzigen kambodschanischen Verwandten lebten in Hamburg und er konnte sie nur selten besuchen.
Erst als dein Vater zur Lehre nach München ging, hatte er kambodschanische Freunde und konnte seine Muttersprache regelmäßig sprechen. Schreiben konnte er sie nicht – er war sieben, als die Roten Khmer ihn in ein Lager sperrten, wo es keine Schule gab. Als ich ihn kennenlernte, war ich erschrocken, weil er gerne über sich sagte, er sei ein „asiatischer Reisfresser“. Vermutlich wollte er damit rassistischen Bezeichnungen zuvorkommen. Der Frage „Woher kommen deine Eltern?“ liegt ja auch oft eine negative Wertung zugrunde.
Ich dagegen habe diese Frage nie so wahrgenommen. Erst nach deinem Ärger über meinen Text habe ich intensiver darüber nachgedacht. Ich hatte nie richtig verstanden, warum ich die Frage „Woher kommst du?“ nicht stellen soll. Im Unterschied zu dir fand ich sie nie unangenehm. Aber ich bin weiß und privilegiert, darüber hätte ich gründlicher nachdenken sollen. Wenn mir jemand diese Frage stellt, gibt es dabei normalerweise kein unausgesprochenes Vorurteil. Auch nicht, wenn mich jemand als „Weiße“ oder „Deutsche“ bezeichnet. Es ist aber eine andere Frage, wenn sie dir oder deinen Freunden gestellt wird und wenn euch damit von vornherein bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden.
Allerdings gab es doch Situationen, in denen diese Frage auch für mich keine neutrale gewesen ist. Ich erinnerte mich daran, als ich Anja Reichs Artikel in dieser Zeitung las, in dem sie über einen Neuköllner Jungen schreibt, mit dem sie sich verbunden fühlte in seinem Trotz, nicht nur Palästinenser zu sein, sondern eben auch Deutscher. Sie fühlte sich erinnert an die Zeit nach der Wiedervereinigung, als sie oft das Gefühl hatte, ihre ostdeutsche Herkunft verstecken zu müssen.
Ich fand mich in ihrer Beschreibung wieder, ich habe mich auch oft minderwertig gefühlt, wenn mich jemand, der in Westdeutschland, im richtigen Deutschland, geboren war, nach meinem Geburtsort fragte. Wie ich die unterschwelligen Zuschreibungen spürte, die in dieser Frage mitschwangen. Du dahingegen hast dich über diesen Artikel aufgeregt. Meintest du, unsere Erfahrung der Diskriminierung dürfe man nicht gleichsetzen mit der eurigen?

„Das heißt, du siehst dich als Berliner?“
Can: Ich habe den Text von Anja Reich kritisiert, weil sie schreibt, dass sie sich mit dem Jungen aus der Neuköllner High-Deck-Siedlung verbunden fühlt. Und dass es in der Einwandererstadt New York, wo sie lange gelebt hat, ganz normal wäre zu fragen, wo man herkommt. Und hier ist der Unterschied: Weder der Junge aus Neukölln noch ich sind eingewandert. Wir sind hier groß geworden, ohne uns das jemals ausgesucht zu haben. Wir sind Berliner, wir kommen von hier. Uns müsst ihr die Frage nicht stellen. Vor allem nicht, während die Rechten in unserem Land versuchen, die Identität der Silvester-Randalierer so lange zu durchsuchen, bis man was anderes als das Deutsche findet.
Rahel: Das heißt, du siehst dich als Berliner? Und nicht als Deutscher und nicht als Kambodschaner? Obwohl du beide Pässe besitzt?
Can: Ich besitze die deutsche und kambodschanische Staatsangehörigkeit, das stimmt. Mit meiner Geburt wurde ich einem Gebiet zugeordnet, in dem alle dort geborenen Menschen theoretisch die gleichen Rechte und Pflichten haben. Deshalb fühle ich mich aber nicht automatisch mit ihnen verbunden. Natürlich entsteht durch die Nähe zueinander auch eine gemeinsame Sprache und Kultur. Diese Nähe findet sich aber doch nicht zwischen den gesamten Staatsbürgern oder nur innerhalb der von Menschen geschaffenen Nationalgrenzen.
Denn so vieles, was zu Deutschland gehört, ist mir fremd. Mit den größten Bundesländern Bayern, NRW und Baden-Württemberg habe ich wirklich gar nichts zu tun. Wenn unbedingt eine geografische Bezeichnung für meine Identität gefunden werden muss, dann doch eine, die mich am genauesten beschreibt. Und wenn man die Orte, die einen größeren Einfluss auf mich hatten, auf die kleinste gemeinsame Fläche reduziert, ist das Berlin. Deshalb bin ich gerne Berliner.
Rahel: Das erinnert mich an die Aussage eines peruanischen Freundes, der der Meinung ist, dass Heimat im Sinne von Herkunft in den heutigen Gesellschaften keine Rolle mehr spielt. Dass „Heimat“ da wäre, wo man Freunde besitzt, wo man die gleichen Erfahrungen teilt.
Vielleicht ist das ja aber auch eine Frage, die die Generationen unterschiedlich beantworten. Dein Vater ist nach über 30 Jahren in Deutschland nach Kambodscha zurückgekehrt. Ich glaube, er hat sich hier trotz allem nicht zugehörig gefühlt. Heute lebt er in einem Dorf an der kambodschanisch-thailändischen Grenze.
Für mich bedeutete das Ende der DDR auch einen Bruch meiner Identität. Plötzlich war das Land verschwunden, in dem ich aufgewachsen bin, die Erfahrungen meiner Kindheit und Jugend galten plötzlich nicht mehr. Ich hatte oft das Gefühl, meine Herkunft würde misstrauisch beäugt. Ich musste mich an andere Regeln, Normen und Werte gewöhnen, was mir zum Teil bis heute nicht gelungen ist. Allerdings war ich mit der Erfahrung des Verlusts meiner Heimat nicht allein, ich teilte sie mit 17 Millionen anderer Menschen in diesem Land.
Aber aus dieser Erfahrung heraus konnte ich deinen Vater verstehen, der unter dem Verlust seiner Heimat 30 Jahre gelitten hat und nicht anders konnte als zurückzugehen. Das alles spielt aber für dich keine Rolle mehr, glaube ich.
Can: Ja, ich finde, dass die eigenen Erfahrungen einen doch am meisten prägen. Noch mehr als Menschen, mit denen man aufgewachsen ist. Daher finde ich es unlogisch, eine Person zuerst nach der Herkunft ihrer Eltern zu fragen, um sie einzuordnen. Zumal dann ja nicht nur nach deren Herkunft, sondern auch nach der Herkunft ihrer Freunde, Lehrer und Klassenkameraden gefragt werden müsste.
Wenn man versucht, einen Menschen einzuordnen, sind viele Faktoren zu berücksichtigen. Es müssten viele Fragen gestellt werden, deren Antworten nur gemeinsam ein aussagekräftiges Bild ergeben. Daher ist es vollkommen in Ordnung, die Frage „Woher kommen deine Eltern?“ irgendwann zu stellen, wenn man versucht, jemanden kennenzulernen. Sie sollte bloß nicht als erste und einzige gestellt werden. Denn dadurch enthält die Frage ja lediglich die Botschaft: „Warum siehst du anders aus als die meisten in diesem Land?“
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