Die alltägliche Verzweiflung: Ältere Menschen werden systematisch gemobbt

Wo sind die Alten? Sie werden aus Berlin verdrängt, sagt eine Betroffene, ihnen blieben nur Häkelgruppen oder Brandenburg. Hier macht sie ihrem Ärger Luft.

Jugendliche auf dem Tempelhoferfeld
Jugendliche auf dem TempelhoferfeldBerliner Zeitung/Markus Wächter

Berlin-Da ich selbst seit Jahren in jeglichem Bereich von Altersdiskriminierung betroffen bin, ist es mir ein Bedürfnis, in meinem Schmerz, in meiner Trauer, Wut, Verzweiflung und Ohnmacht über dieses Tabuthema zu schreiben. In der Hoffnung, dass die Gleichbehandlung von älteren Menschen in unserer Gesellschaft vielleicht doch eines Tages eine Selbstverständlichkeit ist.

Beim Lesen eines Artikels über das systematische IMobben von älteren Mitarbeitern im Konzern IBM, den dabei so genannten „Dino-Babies“, kam bei mir alles wieder hoch. Was beim Altersmobbing bei der Arbeit passiert, lässt sich nämlich auch auf andere Mobbings übertragen. Ein Richter hatte jedenfalls geurteilt, dass die Werbung mit „Wir sind ein junges Team“ altersdiskriminierend ist, da es schon impliziert, dass man nur junge Bewerber möchte. Medienberichten zufolge wird bei IBM mit ähnlichen Praktiken aber munter weitergemobbt.

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Die Stadt Berlin macht dasselbe, indem sie ohne Unterlass beteuert, dass wir eine junge Stadt beziehungsweise ein junger Bezirk (Kreuzberg) sind, was eine Ausgrenzung älterer Bewohner bedeutet. Auch die Presse spricht selbstverständlich von einem jungen Kiez, Widerspruch gibt es nicht.

Jeder muss sich zwangsläufig fragen, wo denn die Alten geblieben sind, nun, sie wurden und werden gegangen mit diesem Druck, dieser perfiden Manipulation. Wie sich auch beim massenhaften Wohnungsmobbing zeigt. Wie lautete doch die Begründung meiner Eigentümer? Nun: „Weil wir ein junges Paar sind und uns sicher sind, dass sie dies verstehen.“ Ich glaube, dass in keiner anderen Stadt, womöglich weltweit, Altersdiskriminierung so ausgeprägt ist wie in dieser.

Bei Frauen wird noch mehr Druck aufgebaut

Der Druck, schließlich doch nach Brandenburg zu gehen, ist vor allem bei armen Älteren groß und wird unverhohlen ausgesprochen von Behörden, Politikern, Eigentümern und auch von Teilen der Gesellschaft. Bei Frauen wird wegen ihres Alters noch mehr Druck aufgebaut, da sie zum einen noch weniger respektiert, zum anderen meist auch ärmer sind. Hinzu kommt, dass bei Frauen das Geben und nicht das Nehmen als selbstverständlich erachtetet wird, gemäß der ewigen Übermutterrolle.

Geht es um andere Diskriminierungen, so gibt es immer viel Solidarität aus Bevölkerung und Politik. Es gibt Demos, Kundgebungen, Solidaritätsbekundungen, Beratungsanlaufstellen und so fort. Doch bei Altersdiskriminierung, und dies wird auch in dem erwähnten Artikel so benannt, gibt es eben keine Hilfe und Solidarität. Oder hat schon mal jemand eine Demo oder Kundgebung gegen Altersdiskriminierung in der Stadt gesehen? Durch das Schweigen wird das Thema jedenfalls in die Nichtexistenz gedrängt.

Die Opfer von Altersdiskriminierung schämen sich, ziehen sich zurück, sind isoliert. Und jeder weiß, dass die Beschämung der Opfer, die Schuldzuweisung an die Opfer, das sogenannte Victim Blaming die Macht der Täter ist. Bei den gemobbten Alten sind die üblichen Mobbingsymptome auszumachen: Depression, Burn-out, Psychosomatik, Suizid, Herzinfarkt, posttraumatische Belastungsstörung. Das Therapieangebot des Bezirks und Senats wiederum besteht aus: Kaffeekränzchen, Häkelgruppen, gemeinsamem Singen oder eben Altersheim oder Brandenburg.

Backlash des Patriarchats greift durch

Was nicht sein soll, ist nicht. Der Backlash des Patriarchats greift durch. Die Monokulturen sind unübersehbar, insbesondere in Kreuzberg, der Wiege der Revolution, von Gleichstellung, Vielfalt, Sozialengagement usw. Dies war nicht schon immer so. Einst wurde Kreuzberg unter Milieuschutz gestellt, worauf gerade danach das zu schützende Milieu (die ausgeglichene Vielfalt) am meisten weggemobbt wurde. Da immer Einzelne herausgepickt werden, nie alle gleichzeitig, schauen die anderen weg und hoffen, dass der Kelch an ihnen vorübergeht. So wird erwartet, dass die Schwächsten für die verfehlte Wohnungspolitik bezahlen und sich verändern.

Aber in Brandenburg, wohin man gerne Alt und Arm verdrängen will, will man auch nur noch junge Start-ups und junge Familien. Das Gesetz des Stärkeren ist allgegenwärtig, Darwinismus pur. Wer nicht mehr zum Bruttosozialprodukt beiträgt, wird nicht mehr umgarnt. Als Rentenabzocker wird man wahrgenommen, als diejenigen, die zwar ihr Leben lang gearbeitet haben, aber nun nicht mehr gebraucht werden, da sie nicht mehr als Präsentationsobjekt dienen für eine moderne junge Stadt.

Bei mir fing es in den 50ern an mit Altersmobbing in der Arbeit. Ich war völlig geschockt. Dann kam es zu Altersmobbing bei Ärzten und Therapeuten. Die Krankenkasse sagte, eine Kur für mich wäre unwirtschaftlich für die Krankenkasse. Ich hatte zuvor noch nie eine Kur in Anspruch genommen, war ja auch fit. Nach dem Altersmobbing war ich sehr unfit.

Auch viele Behandlungen, die man bei Jüngeren noch gemacht hätte, werden bei älteren Menschen nicht mehr vorgenommen, „bedenken sie ihr Alter“ heißt es vonseiten der Ärzte gern mal. Nun, die chronisch Kranken sind bei Ärzten nun mal nicht sehr beliebt, bringen nicht so viel ein wie andere in einem gewinnorientieren, kommerziellen Gesundheitssystem. Eine Ärztin sagte tatsächlich zu mir, sie würde keine Alten behandeln, darauf habe sie keine Lust.

Wohin also mit der Ausschussware, ausgedient, kaputtgeschuftet, alles gegeben und nichts dafür bekommen? Wer fällt als Erster durchs Netz? Alles verlangsamt sich im Alter, man möchte ruhen, ausruhen, aber nein, der Druck, mitzuhalten, ist groß. Und wer jung, dynamisch ist, kann es sich nicht vorstellen, wie es später werden könnte. Erfahrung zählt sowieso nirgends mehr und Zeitzeugen will hier auch keiner, die stehen dem neu erschaffenen Weltbild doch gehörig im Wege. Seit 2020 werde ich bei der Antidiskriminierungsstelle abgewiegelt, denn dort muss es einen konkreten Fall geben durch Behörden, nicht durch Politiker, obwohl Behörden das weiterleiten, was Politiker wollen.

Überhaupt die Politiker: Wenn man die reden hört, so sprechen sie nicht mehr von Bürger:innen  oder Einwohner:innen, sondern es wird nur noch von jungen Start-uplern und jungen Familien gesprochen, für die man was tut, als gäbe es die anderen einfach nicht. Meine Spezies wird nicht mehr angesprochen. Warum sollte ich also noch wählen gehen, wenn ich nicht mehr existiere.

Das Victim Blaming beziehungsweise Altersblaming wirkt jedenfalls flächendeckend, sodass selbst Freunde sagen, na, dann geh doch. Als hätten sich alle damit abgefunden und ziehen sich wie gewollt beschämt zurück und weichen und kämpfen nicht. In einem Interview hat eine alte Frau aus einem Altersheim mal erklärt, es fühle sich für sie so an, als gehöre sie zu einer unsichtbaren Personengruppe. Wie wahr.

Diese plötzliche Hilfsbereitschaft ekelte mich an

Bei Corona hat sich die Stadt aber plötzlich auf die Alten besonnen und sie waren auf einmal wichtig, alle mussten gerettet werden, wogegen sonst am schnelleren Sterben gearbeitet wurde. Plötzlich sollten die Jungen den Älteren helfen und für sie einkaufen, diejenigen, die sonst nur an die eigene Bequemlichkeit denken. Diese plötzliche Hilfsbereitschaft, weil von oben verordnet, hat mich nur noch angeekelt.

Zwar wird der Mindestlohn erhöht, damit das immer teurer werdene Leben und die teuren Mieten bezahlt werden können, aber die Rentner sollten dankbar sein, wenn die Rente nicht noch gekürzt wird. Die entsprechende Politik ist ja auch selbst nicht von Altersarmut betroffen. Es ist immer wieder dieselbe Spirale: Wenn es mal abwärts geht, geht’s exponentiell abwärts.

Ein anderes Konfliktfeld ist das Klima. Es wird zwar in Berlin versucht, CO₂-neutral zu werden, es soll aber keine Klimaanpassung geben, manchmal wird davon geredet, aber da es nicht die Jungen und Gesunden sind, die die Sommerhitze nicht mehr aushalten (2018 gab es ca. 500 Hitzetote laut RKI in Berlin), wird dieser Teil einfach weggeschwiegen. Ein Oberarzt der Charité meinte bei einer Veranstaltung zum Klima, dass ihm in heißen Sommern die Patienten nur so unter den Händen wegsterben. Jeder weiß, dass Hitzewellen zunehmen werden.

Wie viele Tote braucht es, damit es ein Skandal ist?

So hat doch eine Politikerin vor einigen Jahren gesagt, als ich auf die Überhitzung der Stadt hinwies, es würden Kältekammern in der Charité eingerichtet werden. Doch nichts ist passiert. Es wird weiter alles zugebaut, Bäume verschwinden, was zur noch schnelleren Überhitzung der Stadt beiträgt und damit zum noch schnelleren Sterben Schwächerer. Wie viele Tote braucht es, damit es ein Skandal ist?

Ein weiteres sehr großes Isolierungsfeld der Nichtteilhabe der Senior:innen ist die Digitalisierung. Viele Ältere fühlen sich in diesem Zusammenhang überfordert, haben Angst vor Datenmissbrauch. In den Impfzentren wurde man regelrecht traktiert mit der Frage nach einer E-Mail-Adresse. Wenn Sie keine haben, hieß es, können Sie hier nicht geimpft werden. Oder nutzen Sie doch einfach die E-Mail-Adresse eines anderen beziehungsweise laden Sie sich doch einfach eine App auf Ihr Smartphone. Dass solcher Druck ausgeübt wird, wird von der Antidiskriminierungsstelle einfach geleugnet. Was nicht sein soll, ist nicht.

Alte Menschen wollen nicht um Hilfe betteln

Aber alte Menschen wollen nicht immer um Hilfe betteln, sondern autonom leben. Es gibt auch kein Gesetz, das zu Smartphone und Internet zwingt. Der moralische Druck ist aber sehr groß, oft auch aggressiv. Da Ältere ohne Internet andere Medien haben als Jüngere, führt dies zu einer regelrechten Informationsparallelwelt. Immerhin: So bleibt den Alten wenigstens das Cybermobbing erspart.

Es gibt bestimmt noch unendlich viele Beispiele, woran sich die nach dem Recht des Stärkeren funktionierende Gesellschaft und die Altersdiskriminierung zeigen. Eine auf Egoismus ausgerichtete Gesellschaft ist das, für die der Gott das Bruttosozialprodukt ist, eigentlich ideal. Das alles wird von der Politik gehypt und unterstützt. Durchs schnellere Sterben erledigt sich das Rentenproblem von ganz alleine. Was sehr dabei hilft, ist, es nicht als solches zu benennen. Im Tabu gärts am besten.

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