Die Merz’sche Masche: Wie der CDU-Chef es schafft, dass sich alles um ihn dreht
Friedrich Merz bekam viel Kritik für seine Aussagen zur Silvesternacht. Unser Autor denkt: Merz benutzt Neukölln nur für seine eigene Agenda. Eine Polemik.

Welche Partei verschärfte das Asylrecht nach den rechtsradikalen Angriffen in Rostock-Lichtenhagen? Welche Partei war gegen die Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts, die es Menschen ermöglichen sollte, die Staatsbürgerschaft zu erlangen, auch wenn kein „deutsches Blut“ durch ihre Adern fließt? Welche Partei ging Unterschriften sammeln „gegen Ausländer“ und gegen die doppelte Staatsbürgerschaft? Welche Partei reimte, sie wolle lieber Kinder statt Inder? Welche Partei möchte bis heute nicht wirklich einsehen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist?
Wer in den 1990ern und 2000ern aufmerksam die Politik verfolgt hat, kennt die Antwort. Lange bevor es die AfD gab, hatte Rassismus einen festen Platz in der deutschen Politik dank der CDU. Die CDU machte eine „Deutschland den Deutschen“-Politik. Das würde die CDU so nie sagen, weil andere sich das „Deutschland den Deutschen“ zu eigen gemacht haben, von denen sich die CDU gerne distanzieren würde, es bleibt aber dieselbe rechtsgerührte Soße.
Die CDU möchte definieren, was Deutschland ist, aber noch viel mehr möchte sie definieren, was ein echter Deutscher ist. Wenn man nach der Definition der CDU geht, bin ich kein Deutscher, weil kein deutsches Blut durch meine Adern fließt, und auch wegen meines Namens und meines Phänotyps würde sich jeder CDU-Politiker gezwungen fühlen, mich zu fragen, woher ich komme, woher ich eigentlich komme.
Ich persönlich habe nichts gegen die Frage, je nachdem, welche Motivation dahintersteckt. Gegen Neugier habe ich nichts, gegen Fremdmachung schon, und weil die Definition der CDU sehr streng und stark eingrenzend ist, wer deutsch ist und wer nicht, macht sie vor allem eines: Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind oder hier leben, fremd.
In Neukölln ist Furchtbares passiert. Weil ich in Neukölln aufgewachsen bin und ein Großteil meiner Familie dort lebt, hat mich die Silvesternacht sehr beschäftigt und beschäftigt mich noch immer. Es gibt keine Rechtfertigung für die Geschehnisse, aber gewiss Gründe, die durch Festnahmen, Forderung nach Abschiebungen und Fremdmachung nicht beseitigt werden.

Die Alternative zur Alternative
Dank des CDU-Chefs reden wir aber nicht über diese Gründe, sondern über Herkunft, wieder einmal. Nein, Herkunft ist kein Grund für mangelnden Respekt vor dem Leben anderer. Dem CDU-Chef sind die Gründe aber auch egal, ihm ist Neukölln egal. Er möchte bloß sein Produkt verkaufen: die Alternative zur Alternative für Deutschland, die CDU.
Merz zeigt in CDU-Tradition, wie man unreflektiertes, rassistisches Wissen verbreiten kann, ohne dafür Rassist genannt zu werden. Er rechtfertigt seine rassistische Äußerung, so wie es Rassisten tun, indem er von zahlreicher Zustimmung für seine Worte spricht. Was rassistisch ist und was nicht, das handelt Merz über Social Media mit seinen Followern aus. Ein wahrlich demokratischer Akt von ihm.
Merz ist ein Millionär, sozialisiert im Sauerland, der vielleicht mal durch Neukölln fahren musste, um zum BER zu kommen, aber ansonsten überhaupt keine Berührungspunkte mit diesem Ort hat. Das fehlende interkulturelle und soziale Verständnis, die unreflektierte Überpriviligiertheit und das daraus resultierende fehlende Bewusstsein für gesellschaftliche Zusammenhänge erlauben einem Merz kein Verstehen und erst recht keine konstruktiven Gedanken zu Neukölln oder anderen gesellschaftlichen Themen.
Merz macht, was die CDU immer schon getan hat und was die AfD ganz sicher nicht selbst erfunden hat: auf komplexe Fragen der Gegenwart und der Zukunft sehr einfach, einfältig und gestrig antworten, inklusive der Bereitstellung eines Feindbilds. Konzept- und Inhaltslosigkeit sind feste Bestandteile des politischen Profils der CDU, ideal verkörpert durch Merz.
Im Fall von Neukölln sind die anderen schuld, die Migranten, die Nicht-Deutschen, die hier nicht-deutsche Probleme machen. Transmenschen sind schuld, dass „Frauen“ in Zukunft Angst haben werden, auf Toilette zu gehen, und an der Verrohung der Gesellschaft sind die „Woken“, die Gutmenschen, schuld, die nicht mehr bereit sind, Intoleranz zu tolerieren. Auch das Merz’sche Narrativ vom terroristischen Klimaaktivisten zeigt, wie Merz in CDU-Manier Feinbilder zeichnet, um vom eigentlichen Thema abzulenken.
Wir reden in Bezug auf Neukölln nicht über Ressourcenmangel, über politische Bildung an Schulen und in den Communities, wir reden nicht über den würdelosen Umgang mit Transmenschen in der Bürokratie und innerhalb unserer Gesellschaft, wir reden nicht über rassistisches Wissen, das in Deutschland frei und jeden Tag durch alle Gesellschaftsteile zirkuliert und auch nicht über den europäischen Rechtsruck.
Wir reden auch nicht über die Klimakatastrophe, denn sobald sich Merz zu einem Thema äußert, geht es nicht mehr um das Thema, sondern um Merz, und während ich das hier schreibe, fällt mir auf, wie ich ebenfalls auf diese Masche reingefallen bin. Mist.
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