Die Spur zweier Rubensbilder: Der Fall Rosa und Jakob Oppenheimer
Die Staatsgalerie Stuttgart präsentiert mit großer Geste eine Rubens-Sonderausstellung – auf den Fahnen und Plakaten ausgerechnet Kunst aus umstrittener Quelle.

Stuttgart - In der berüchtigten Zwangsversteigerung des Auktionshauses Graupe in Berlin 1935 kamen zwei Gemälde des Malers Peter Paul Rubens unter den Hammer. Sie gingen an einen Unternehmer mit Firmensitz in Göppingen. Die jüdischen Vorbesitzer des Bildes, Jakob und Rosa Oppenheimer, starben in der Verfolgung. Jakob Oppenheimer in einem französischen Lager 1941, Rosa Oppenheimer in Auschwitz 1943.
Die Gemälde hießen „Veronica Spinola Serra“ und „Maria Giovanna Serra mit Großmutter“, Rubens malte sie 1604 und 1605. Es ist ungewöhnlich, wie die Staatsgalerie Stuttgart sie jetzt zu Stars einer aktuellen Rubens-Ausstellung macht, im Saal dicht nebeneinander gehängt. Vermutlich zum ersten Mal seit der Zwangsversteigerung 1935 sind die Gemälde in dieser Form wieder als Einheit zu sehen. Jahrzehntelang hingen sie in verschiedenen Museen des Landes, Stuttgart und Karlsruhe.
Flucht aus Berlin im April 1933
Umso mehr ist es an der Zeit, an die fragwürdige Geschichte dieser Raubkunst zu erinnern.
Jakob und Rosa Oppenheimer leiteten die Galerie Van Diemen aus der Markgraf-Gruppe, die ab 1919 in Berlin schnell einen großen Namen gewann. Die Galerie firmierte an bester Adresse Unter den Linden mit einer Dependance in New York. Zuerst waren Jakob und Rosa Oppenheimer Angestellte der Galerie, ab 1929 übernahmen sie die Galerie ganz. Schon zu Beginn der NS-Herrschaft, im April 1933, mussten sie fliehen. Rosa Oppenheimer wurde im Nachtzug noch aufgehalten, um ihr den Schmuck abzunehmen. Die Sammlung ihrer Galerie wurde 1935 zwangsversteigert. Die New Yorker Dependance van Diemen verschmolz 1935 mit der Galerie Lilienfeld.
Der größte Teil des Vermögens war verloren. Rosa und Jakob Oppenheimer emigrierten nach Frankreich, lebten zuerst in Paris, dann Nizza, wo sie unter Schwierigkeiten wieder an den Kunsthandel anzuknüpfen versuchten. 1941 wurde Jakob Oppenheimer verhaftet und in ein Lager bei Nizza gesteckt, wo er im selben Jahr starb. Seine Frau in Nizza fürchtete, bald ihrem Mann zu folgen.
Der Historiker Serge Klarsfeld berichtet, dass die Razzien in Nizza 1943 besonders brutal waren. Die Gestapo holte die Menschen nachts im Schlafanzug oder nackt aus ihren Betten, egal ob Alte, Kranke, Kinder oder Schwangere. Der Leiter der Razzien in Nizza, SS-Mann Alois Brunner, arbeitete nach dem Krieg für den Verfassungsschutz.
Er stirbt im Sammellager, sie in Auschwitz
Rosa Oppenheimer wurde 1943 bei einer der Razzien verschleppt. Sie kam zuerst in das berüchtigte Sammellager Drancy bei Paris und dann nach Auschwitz, wo sie noch im selben Jahr ermordet wurde.
Die Rechtslage nach dem Krieg war eindeutig: Die Behörden ordneten die Rückgabe der Raubkunst an die Erben der Oppenheimers an. Doch das ist nie geschehen. Als die Nachfahren im Jahr 2000 die Kunsthalle Karlsruhe kontaktierten, lehnte Kunsthallenchef Klaus Schrenk mit einem Gutachten zu eigenen Gunsten alle Forderungen ab. Anja Heuss, später für die Staatsgalerie Stuttgart angestellt, schrieb damals das Gutachten. Klaus Schrenk veröffentlichte 2001 einen Bericht dazu.
Die beiden Rubensbilder waren 1935 in der Berliner Zwangsversteigerung an einen privaten Sammler aus Süddeutschland verkauft worden, der im Gutachten von Schrenk noch namenlos bleibt: Es war Conrad Bareiss, Chef von Spinnereifabriken bei Göppingen. Bareiss hatte die Firmenerbin geheiratet, besaß einen amerikanischen Pass und einen Wohnsitz in der Schweiz, was später half, die Kunstwerke einer Rückgabe in Deutschland zu entziehen. Er hatte alles außer Landes gebracht. Rückforderungen lehnte er ab – unter anderem mit der kühnen Behauptung, er hätte nach der Zwangsversteigerung 1935 noch Zehntausende Reichsmark zusätzlich bezahlt, wofür es keine Belege gab.
Das letzte Zeugnis zum Fall, so geht aus dem Bericht von Klaus Schrenk hervor, soll ein wortkarger Brief des Anwaltes der Erben vom 18. Oktober 1954 an die Wiedergutmachungsbehörde sein, in dem die Rückgabeforderung aufgegeben wurde – eine außergerichtliche Einigung ohne Angaben zum Inhalt. Es fand keine Rückgabe statt, es ist keine konkrete Entschädigung belegt.

1400 Objekte wurden zwangsversteigert
Dem Museum Karlsruhe genügte das, um die Nachfahren Oppenheimer 2001 abzuweisen.
Weshalb gaben die Nachfahren so schnell auf? Das Museum interpretierte die außergerichtliche Einigung 1954, damals sei bereits Entschädigung gezahlt worden, man wisse zwar nicht, wie viel (und ob überhaupt), doch es sei in jedem Fall ausreichend. Schon 1954 trat Conrad Bareiss ähnlich auf, er habe doch schon 1935 freihändig 70.000 RM zusätzlich bezahlt, weit über den offiziellen Zuschlag hinaus, aber leider keine Belege dafür.
Im Bericht der Kunsthalle Karlsruhe 2001 fehlen die Quellenangaben, mit der sich der Verzicht der Erben 1954 in den Archiven überprüfen lässt. Auf Nachfrage bei der Kunsthalle im Dezember 2018 gab es nicht mehr Informationen, es dauerte Jahre, bis die Staatsgalerie Stuttgart jetzt eine erste Signatur dazu in einem Berliner Archiv nannte. Das Gutachten von 2001 ist noch unter Verschluss.
Die Macht liegt bei demjenigen, der über die Bilder faktisch verfügt – so ist das bis heute.
Für die Familien der Verfolgten blieb in vielen Fällen nach 1945 ein Ermüdungskampf mit teuren Anwälten. Im Fall Oppenheimer waren es mehr als 1400 Objekte, die allein 1935 zwangsversteigert wurden. Bei großen Sammlungen wurden Nachfahren nach 1945 teils mit einem Kuhhandel über den Tisch gezogen – „verzichtet auf einzelne Werke und wir kommen euch bei anderen entgegen“ –, manchmal konnten Nachfahren mit Falschaussagen zur Aufgabe gebracht werden. Weiß man nichts über den Inhalt einer Einigung aus den 1950er-Jahren, ist ihre Aussagekraft zweifelhaft.
Dass die Regelungen in den 1950er-Jahren unzureichend waren, wurde der Familie Oppenheimer von amerikanischen Museen bei weiteren Fällen der Graupe-Auktion bestätigt.
Conrad Bareiss hielt an den Rubensbildern fest, bis er 1958 starb. In den Jahren 1964/65 kam es dann zum Verkauf der Bilder an die Museen in Stuttgart und Karlsruhe. Verkaufte man hier mit dem Schatten der Raubkunst diskret an Museen, die selbst tief in die NS-Zeit verstrickt gewesen waren? Die Kunsthalle Karlsruhe wurde lange geprägt von Kurt Martin, in der NS-Zeit eine Schlüsselfigur der Raubkunst im Südwesten, unter anderem ab 1940 als Bevollmächtigter für die Beschlagnahmung von „volksfeindlichem und reichsfeindlichem Vermögen“. In der Nachkriegszeit war er weiter Direktor des Museums.
Als sich die Erben Oppenheimer dann im Jahr 2000 an die Museen wandten, konnten diese keine Belege zur Entlastung im eigenen Haus finden und nahmen erstmals Nachforschungen nach anderen Quellen auf. Das Ergebnis bleibt fragwürdig.
Ein drittes Rubensbild
Heute melden sich wieder die Nachfahren zu Wort, die Enkelin von Rosa Oppenheimer in Argentinien und Urenkel Stephen P. in der Nähe von Washington D.C., der umfangreiches Material zur Verfügung stellte, so Audioaufnahmen der Töchter von Rosa und Jakob Oppenheimer. Jetzt lassen sich erstmals viele Details der Geschichte ergänzen.
Rosa Oppenheimer wurde 1943 bei einer Razzia in Nizza aus dem Krankenhaus gezerrt, ohne Schuhe, im Nachthemd, zum Lastwagen getrieben. Sie warf ihren letzten Besitz, den sie am Körper trug, ihre Perlen, in Verzweiflung auf die Straße, damit die Nazis ihn nicht bekommen.
Am 28. Oktober 1943 ließ Adolf Eichmann den Zug mit 1000 Juden aus Frankreich nach Ausschwitz abfahren, darin Rosa Oppenheimer und Arno Klarsfeld, den Vater von Serge Klarsfeld. Konvoi Nr. 61. Im Zug waren auch 125 Kinder. 613 Menschen aus dem Zug wurden in die Gaskammern geschickt. Von den 103 Frauen, die als arbeitstauglich ausgewählt wurden, überlebten am Ende nur drei.
Die Dokumente der Nachfahren enthalten eine Überraschung: Ein drittes Rubensbild ging in der Zwangsversteigerung 1935 an Conrad Bareiss, später in den USA wurde dieser Fall vorbildlich aufgeklärt und entschädigt. Das Museum San Diego forschte 2004 mit den Nachfahren gemeinsam zum Fall und kam zum Schluss, dass die Regelung in den 1950er-Jahren unzureichend war – die Nachfahren wurden neu entschädigt.
Der Abschlussbericht aus San Diego ist erstaunlich, denn die Experten gaben sich große Mühe, an ihre internationalen Kollegen zu appellieren, ihre Erfahrungen in verwandten Fällen zu nutzen – ein Zeichen an Stuttgart und Karlsruhe?
2009 folgte in Kalifornien ein weiterer Erfolg: Gouverneur Arnold Schwarzenegger war es eine Ehre, weitere Bilder aus der Graupe-Auktion 1935 an die Nachfahren zurückzugeben. Etwas von diesem Format kann man der Landesregierung Baden-Württemberg nur wünschen. Die neue Koalition in Berlin will die Restitution gesetzlich stärken. Auch die zuständige Ministerin in Stuttgart, Theresia Bauer (Grüne) versprach, Restitution voranzutreiben. Hier kann sie zeigen, dass sie es ernst meint.

„Der Fall ist nicht abgeschlossen“
Von den Museen Stuttgart und Karlsruhe kamen jetzt erste Reaktionen: Pia Müller-Tamm, Direktorin in Karlsruhe suchte das persönliche Gespräch, war tief berührt und sieht ebenfalls offene Fragen, denen nachgeforscht werden muss, während die Staatsgalerie Stuttgart schriftlich und kühl mit juristischem Kommentar betont, der Fall sei abgeschlossen.
Jetzt bekommen die Nachfahren Unterstützung von Elizabeth Royer, Mitbegründerin des europäischen Zweiges des Holocaust Art Restitution Projects und der Art Restitution Association in Paris: „Der Fall ist nicht abgeschlossen“, sagt sie.
Joo Peter ist Autor des Geschichtsprojektes Time Echo (http://time-echo.de). Er hat sich wiederholt mit Restitutionsfällen beschäftigt.
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