Eine Kritik an der Kritik von Herfried Münkler an dem Manifest für Frieden

Der Politologe Herfried Münkler hat das Friedensmanifest von Wagenknecht scharf kritisiert. Mathematikprofessor Matthias Kreck ist Erstunterzeichner und reagiert.

Eine Friedensdemo in Berlin, ein Bild vom Juli 2022
Eine Friedensdemo in Berlin, ein Bild vom Juli 2022Markus Waechter/Berliner Zeitung

Der Berliner Politologe Herfried Münkler hält das jüngste Friedensmanifest von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht für „verlogenes, kenntnisloses Dahergerede“. Matthias Kreck ist Erstunterzeichner und schrieb die Redaktion der Berliner Zeitung an mit der Bitte, auf die Kritik des Berliner Politologen in einem Gastbeitrag zu antworten.


Herfried Münkler ist ein sehr anerkannter Politologe. Trotzdem erlaube ich mir, sein Interview im Kölner Stadtanzeiger vom 13. Februar 2023 kritisch zu hinterfragen. Auch wenn ich nicht Autor des Manifests bin und, wenn ich es formuliert hätte, manches anders und anderes geschrieben hätte, hat er mich als einen der Erstunterzeichner mit angesprochen. Insofern steht es mir nicht nur zu, sondern ich fühle mich sogar von ihm aufgerufen, meine Kritik an seiner Kritik zu äußern.

Ich will vorweg klarstellen, dass ich auf manche Vorwürfe („verlogen“, „kenntnisloses Dahergerede“, „gewissenlos“) nicht eingehen möchte. Ebenso auf den Vorwurf einer „Komplizenschaft mit dem Aggressor“ Putin. Es ist evident, dass dies den Autorinnen, den ca. 500.000 Unterzeichnern und auch mir persönlich nicht gerecht wird.

Stattdessen will ich die Punkte aufgreifen, die einer ernsthaften Beschäftigung zugänglich sind. Ich mache das, indem ich nacheinander Stellen in dem Interview zusammenfasse und kommentiere.

Eine Auseinandersetzung mit Münklers Thesen

1.) Münkler sagt: „Die Idee des Pazifismus, wie sie seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts in internationale Vertragssysteme überführt wurde, beruht auf dem Verbot des Angriffskriegs. Die Verteidigung gegen einen Aggressor bleibt selbstverständlich zulässig. Das Manifest aber nivelliert fortgesetzt die Kategorien von Angriff und Verteidigung. Pazifismus ist dann nichts anderes als Unterwerfungsbereitschaft. Das war er eigentlich nie, und was wir in diesem Papier vorgeführt bekommen, ist das Ende einer politisch ernstzunehmenden Friedensbewegung.“

Infobox image
Copyright: Neven Allgeier
Zur Person
Matthias Kreck wurde am 22. Juli 1947 in Dillenburg geboren. Er ist ein deutscher Mathematiker, der sich mit algebraischer Topologie und Differentialtopologie beschäftigt. Er war von Oktober 2006 bis September 2011 Direktor des Hausdorff-Research-Instituts für Mathematik an der Universität Bonn und Professor am dortigen Mathematischen Institut.

Das kann man, um es vorsichtig auszudrücken, anders sehen. Z.B. sagt der Wikipedia-Artikel über Pazifismus: „Pazifismus ist eine weltanschauliche Strömung, die jeglichen Krieg als Mittel der Auseinandersetzung ablehnt und den Verzicht auf Rüstung und militärische Ausbildung fordert. Diese Bewegung setzt auf Soziale Verteidigung und zivilen Ungehorsam als geeignete Mittel gegen bewaffnete Besetzungen.

Wenn von „jeglichem Krieg“ die Rede ist, dann wird eben nicht nur der Angriffskrieg abgelehnt, sondern auch der Verteidigungskrieg. Die Formulierung Münklers, „Die Verteidigung gegen einen Aggressor bleibt selbstverständlich zulässig“, ist aus pazifistischer Sicht zu unpräzise. Richtig wäre gewesen: Die soziale Verteidigung und ziviler Ungehorsam gegen einen Aggressor bleiben selbstverständlich zulässig. Aber durch den Kontext ist klar, dass gemeint ist, ein Verteidigungskrieg sei mit der Idee des Pazifismus vereinbar, was eindeutig nicht der Fall ist. Damit fällt der von Herrn Münkler erhobene Vorwurf von „erkenntnislosem Dahergerede“ auf ihn zurück, wenn er elementare Definitionen nicht kennt.

Im Übrigen kommt das Wort Pazifismus in dem Artikel gar nicht vor. In meinen Augen handelt es sich nicht um ein pazifistisches Manifest. Das wird z.B. deutlich, indem sich das Manifest, obwohl ihm das dauernd vorgeworfen wird, gar nicht grundsätzlich gegen Waffenlieferungen wendet, es wird lediglich ein Stopp der „Eskalation von Waffenlieferungen“ gefordert. Was damit gemeint ist, ist angesichts des lauten Nachdenkens auf ukrainischer Seite über Kampfjets und nun über – durch die Uno verbotene – Streubomben klar. Das wollen die Autorinnen und Unterzeichner in der Tat nicht. Das ist etwas ganz anderes, als zu fordern, dass die Ukraine nur auf soziale Verteidigung und zivilen Ungehorsam setzen soll, was eine pazifistische Position wäre.

2.) Auf die Frage, „Aber ‚rote Linien‘ bei den Waffenlieferungen wurden doch tatsächlich überschritten, etwa durch die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine?“, antwortet Herr Münkler: „Auch das ist eine Verfälschung der Wirklichkeit mit sprachlichen Mitteln. ‚Rote Linien‘ suggerieren die Überschreitung einer zuvor gezogenen Grenze. Wahr ist: Die Bundesregierung selbst hat nie von ‚roten Linien‘ gesprochen, sondern die Lieferung bestimmter Waffensysteme ausgeschlossen.“

Der Text spricht für sich selbst, wie kann man von Verfälschung mit sprachlichen Mitteln sprechen, wenn man die Formulierung „Waffensysteme ausgeschlossen“ verwendet, um daraus zu schließen, dass nie von roten Linien gesprochen wurde? Die Gesellschaft für deutsche Sprache definiert den ursprünglichen Sinn von „roter Linie“ als „Markierung von Absperrung und Abgrenzung“. Ob absperren oder ausschließen: Hier scheint mir kein großer Unterschied vorzuliegen, es geht genau um die Überschreitung einer Grenze.

3.) Das zentrale Thema des Manifestes ist die Aufforderung an den Kanzler: „Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen.“ Darauf angesprochen sagt Herr Münkler: „Hätte es in Deutschland etwas mehr vergleichende Kriegsforschung gegeben, käme man womöglich nicht zu der schlicht falschen Alternative ‚Krieg oder Diplomatie‘, wie das Manifest sie aufmacht.“

Von einer suggerierten Alternative, „Entweder Krieg oder Diplomatie“, lese ich in dem Manifest nichts. Es wird darauf hingewiesen, dass „der höchste Militär der USA, General Milley ..., von einer Pattsituation (spricht), in der keine Seite militärisch siegen und der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden kann“. Das lese ich so, dass es sinnvoller ist, auf Verhandlungen zu setzen. Da hilft auch keine vergleichende Kriegsforschung, da genügt der gesunde Menschenverstand.

4.) Ob die beiden „Barrieren“, die Herr Münkler gegen die Gefahr eines Nuklearkrieges ins Feld führt, als ausreichend angesehen werden, ist nicht klar. Diese Barrieren sind: „die Drohung der Nato, darauf mit einem – konventionellen – Vernichtungsschlag gegen die russischen Streitkräfte in der Ukraine zu antworten“ und „die zweite und vielleicht entscheidende Barriere, die Putin über den Einsatz von Atomwaffen noch nicht einmal nachdenken lässt, ist die Macht Chinas.“

Man ist erstaunt, dass Herr Münkler weiß, was Putin denkt. Aber viel entscheidender, eine Barriere ist eine Schranke und jeder weiß, dass Schranken durchbrochen werden können. Und wieso Russland auf einen konventionellen Vernichtungsschlag gegen die russischen Streitkräfte nicht mit taktischen Atomwaffen reagieren würde, darauf fällt mir der Schlager ein: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“. So zynisch das klingen mag. Und ob China bei einem solchen konventionellen Schlag, der die russischen Streitkräfte in der Ukraine vernichten soll, nicht großes Verständnis für eine Gegenwehr mit taktischen Atomwaffen hätte, scheint mir zumindest diskussionswürdig.

5.) Zusammenfassung: Die Kritik von Herrn Münkler hält einer wissenschaftlichen Analyse nicht stand. Und wenn er dem hochverehrten Kollegen Habermas als Reaktion auf dessen sehr nachdenklichen Artikel in der Süddeutschen Zeitung wünscht, dass er „etwas mehr Politikwissenschaftler“ wäre, dann stellt sich angesichts der wissenschaftlichen Fehler, auf die ich in diesem Artikel hinweise, die Frage, ob Kollege Münkler den Grundkurs über gute wissenschaftliche Praxis besuchen sollte.

Gastbeiträge müssen nicht die Meinung der Redaktion widerspiegeln.

Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.

Dieser Beitrag unterliegt der Creative Commons Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nicht kommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.

Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de