Früher wurden in der Dorfkneipe wilde Feste gefeiert, jetzt geht keiner mehr hin
Die Dorfgaststätte ist eine aussterbende Spezies, wie eine Reise durch Brandenburg beweist. Doch es gibt Hoffnung auf ein Revival.

Dass Dorfgaststätten, oft „Dorfkrug“ genannt, eine aussterbende Spezies sind, lässt sich bei jeder Fahrt über das Land beobachten. Dabei war die Dorfgaststätte einmal das kulturelle Zentrum des dörflichen Lebens, hier spielten sich alle Treffen, alle Feiern und Konzerte ab. Sogar kleine Dörfer mit wenigen Hundert Einwohnern hatten immer mindestens eine, manchmal sogar mehrere Kneipen. Wie viele dieser Gasthöfe in Brandenburg aber inzwischen außer Betrieb sind oder abgerissen wurden, kann niemand genau sagen.
„Informationen zur Anzahl der geschlossenen Gasthöfe liegen im Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz nicht vor“, teilt Frauke Zelt vom Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz mit. Sie sagt aber auch: „Dörfer sind die Basis des ländlichen Lebens. Dort kann man unmittelbar die Entwicklungen der ländlichen Räume erleben.“ Mit LEADER-Fördermitteln, so Zelt, wurden bis Ende 2021 1900 Projekte im ländlichen Raum in Brandenburg gefördert, mit insgesamt 632 Millionen Euro. Doch nur ein kleiner Teil davon fiel für den „Erhalt und Ausbau von dörflichen Gaststätten und Cafés“ ab, nämlich vier Millionen Euro, verteilt auf 37 private Projekte.
Lunow, ein Dorf mit rund 1000 Einwohnern, dicht an der polnischen Grenze, liegt sehr abgeschieden. Trotzdem hat sich die älteste Kneipe des Dorfes, die Gaststätte Quilitz, seit über 100 Jahren hier erhalten. „Wir führen das Gasthaus jetzt in der vierten Generation“, sagt Wirt Andreas Quilitz (52) nicht ohne Stolz. Und zwar im historischen Hause, wo er seit 2003 hinter dem Tresen steht. 1913 eröffnete sein Urgroßvater die Gaststätte, seitdem ist sie ununterbrochen in Betrieb. Zu Hochzeiten, erinnert sich Quilitz, gab es in Lunow einmal fünf Kneipen und zwei Cafés. Wie die alle gefüllt wurden, kann er sich aber auch nicht erklären. Vielleicht, weil es früher keine Fernseher gab.
Zu DDR-Zeiten übernahm der Konsum die Gaststätte Quilitz, „da kostete ein Bier 45 Pfennig“, so Quilitz. Natürlich gibt es im Quilitz auch einen „Saal“, der wurde gerade renoviert und hat sogar eine Bühne mit einem 100 Jahre alten Klavier, das immer noch funktioniert. Der Saal fasst 65 Personen, so viele waren aber lange nicht mehr da.
Als Erich Mielke zu Gast war
Überhaupt ist das Quilitz heute nicht mehr das Quilitz, das es einmal war. „Früher waren die Stammgäste jeden Tag da und haben getrunken“, so Quilitz. Die alten Gäste sterben nach und nach, und die jüngeren kommen eher zum Essen. Deswegen baute Quilitz auch die Küche aus und konzentriert sich jetzt auf Gäste, die zum Essen kommen. Damit lässt sich mehr Geld verdienen als nur mit dem Ausschank. Und weil mittlerweile fast die Hälfte der Gäste aus Berlin kommen, gibt es jetzt auch vegetarische Gerichte, die sind in Mode bei den Großstädtern. „Viele Lunower haben leider Angst, vorbeizukommen“, spielt Quilitz auf die letzten zwei Jahre an. Dabei hat er sogar vor dem Haus eine Terrasse eingerichtet, mit Blick über die Dorfstraße. Wie es weiterläuft, kann Quilitz auch nicht sagen – im Moment öffnet er nur am Wochenende. Aber aufgeben, das wird er auf keinen Fall.
In Joachimsthal steht der alte Heidekrug noch, er nennt sich jetzt Heidekrug 2.0. Zu DDR-Zeiten wurden hier noch wilde Feste gefeiert, jetzt steht der große Saal meist leer. Eine Initiative von Dorfbewohnern hat den Saal aufwendig renoviert, jeden Freitag finden hier jetzt Filmvorführungen statt.
Am anderen Ende des Dorfes gab es bis vor fünf Jahren noch den Dorfkrug am Grimnitzsee, den Hans Bockisch (78) führte. Auch hier gab es einen Tanzsaal, und eine Bewirtung im Garten hinter dem Haus. Aus Altersgründen schlossen er und seine Frau dann die Gaststätte, der Tanzsaal war schon lange nicht mehr in Benutzung. Gerne erzählt Bockisch die Anekdote, wie einmal in den Neunzigerjahren Erich Mielke zu Gast war, und wie die Stammgäste auf den ungewöhnlichen Besuch reagierten. In dieser Zeit, „als die Westdeutschen hier in den wilden Osten kamen, um sich umzugucken“, wie Bockisch er formuliert, hatte er eine neue Klientel.
Er musste sich aber auch an den neuen Standard anpassen und das Plumpsklo hinter dem Haus abreißen und eine neue Toilette im Haus bauen. Gleichzeitig war es aber so, dass die Einheimischen, die sonst regelmäßig kamen, ausblieben. Die neuen Getränkepreise konnten die Dorfbewohner, von denen viele arbeitslos wurden, nicht bezahlen. „Da verlagerte sich die gesellige Runde dann auf Vereine, wo man zum Bier zusammenkam. Oder auf Garagenbars, also Verkaufsstellen von Getränken, die eigentlich mehr Laden als Bar waren“, sagt Bockisch. „Früher gab es immer Mittwoch und Samstag Tanz, da war was los“, erinnert sich Bockisch.
Mediterrane Küche im historischen Ambiente
Der Dorfkrug hatte seinen festen Platz unter den rund acht Gaststätten des Dorfes. Veranstaltungen seien jedoch schon immer ein Zuschussgeschäft gewesen. „Nach dem Mauerfall öffneten ja überall in Brandenburg Diskotheken, die anfangs gut besucht waren“, erzählt Bockisch. Doch ihr Schicksal war das gleiche wie das der Dorfkrüge: fast alle geschlossen.
Einer der Dorfkrüge, die es geschafft haben, ist der Alte Dorfkrug Lübars (Gasthof und Ausspannung). Er ist nah genug an Berlin und bietet hochwertige deutsch-mediterrane Küche in einem historischen Ambiente. Sogar der Saal, einer der schönsten historischen Festsäle im Norden von Berlin, ist noch in Benutzung. Und zwar durch den Verein „Labsaal“, der hier Lesungen, Hochzeiten, Konzerte und Tanzveranstaltungen organisiert.
Beim Dehoga ist das Gaststättensterben auf dem Land lange bekannt. Und die Gründe ebenfalls. Der Hauptgrund für das Sterben der Dorfgaststätten sei die Schwierigkeit, Nachfolger für den Betrieb zu finden, wenn die Wirtsleute aus Altersgründen zurücktreten. Dann kommt meist auch noch ein Investitionsstau dazu, denn oft wird wegen geringem Umsatz auf niedriger Flamme gekocht. Und dann wäre da noch das altmodische Konzept: Mit Bier und Bauernfrühstück lockt man ein verwöhntes Klientel nicht mehr, wie man unter anderem bei Frank Rosin im Fernsehen sehen kann.
Das Ergebnis einer Masterarbeit gibt Hoffnung
Die Deutsche Vernetzungsstelle Ländliche Räume hat sich auch mit dem Problem des Sterbens der Dorfgaststätten befasst. „Mit dem Niedergang der Gaststätten stirbt eine Tradition, die ihren Anfang im 16. Jahrhundert nahm“, so die Vernetzungsstelle. Und weist auf einen Unterschied zwischen Westdeutschland und Ostdeutschland hin: Im Westen Deutschlands begann der Niedergang der Dorfgasthäuser schon in den 1960er-Jahren, während in der DDR die Dorfgaststätten auch zu Zeiten der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) ihre wichtige Funktion als gesellschaftlicher Treffpunkt behielten. Erst in den 90er-Jahren ereilte dann die Dorfkrüge im Osten das Schicksal ihrer Pendants in Westdeutschland. Als Grund für das Sterben wird die zunehmende Trennung von Arbeitsort, meist in der Stadt, und Wohnort, meist auf dem Dorf, genannt. Außerdem wurden Vereinsheime für die Dorfgasthäuser eine zunehmende Konkurrenz.
Eine Masterarbeit an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde befasste sich mit der Frage, Erfolgsfaktoren für eine zukunftsfähige Neuausrichtung der Dorfgaststätten zu identifizieren. Dabei kam heraus, dass für fast alle Dorfbewohner die Existenz der Dorfgaststätte wichtig ist, aber fast niemand dorthin geht. Die Ergebnisse der Masterarbeit aber lassen hoffen für die Zukunft des Dorfkrugs: Dorfgaststätten könnten wieder zu inspirierenden Orten werden, wenn die Dorfbewohner bereit seien, diese mitzugestalten. Dazu zählen auch langfristige Kooperationen mit lokalen Akteuren wie beispielsweise der freiwilligen Feuerwehr. Und last, but not least: Das Essen kann einfach, muss aber immer gut sein, befanden die Verfasser.
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