Für Taiwan lassen die USA Europa und auch die Ukraine fallen, meint unser Autor.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die USA ihre Ressourcen in Europa nach Asien verlagern. Da ändert Joe Bidens aufsehenerregender Besuch in Kiew nichts.

„Das ist die zweite Finanzhilfe für die Ukraine in nur zwei Monaten. Das gesamte Volumen unserer Hilfe an die Ukraine ist beinahe so hoch wie das gesamte Militärbudget Russlands. Es ist ja nicht so, dass bei uns das Geld einfach so herumliegt“, ruft der einflussreiche US-Senator Rand Paul aus Kentucky seinen Kollegen im Haus zu.
Dabei ist er nicht mehr der Einzige mit dieser Meinung. Immer mehr Politiker und Mitglieder der außenpolitischen Eliten in Washington hinterfragen ihr überaus großes Engagement im Ukraine-Krieg. Weil man von Tag zu Tag immer mehr versteht, dass selbst die USA derzeit nicht die militärischen Mittel haben, einen Zweifrontenkrieg zu führen.

In einem Bericht des Washington Journal geht hervor, dass in einem Konflikt um Taiwan weniger als in einer Woche alle Hochpräzisionsmunitionen verschossen wären, während man dieselben Waffen, die man in Asien im Zweifelsfall mehr bräuchte, den Ukrainern liefert. Der amerikanische Sicherheitskomplex erfuhr über Nacht, dass er im Ernstfall nicht genug Munition hätte, um Taiwan vollumfänglich verteidigen zu können.
Zwar wird die Waffenproduktion wieder hochgefahren, aber das braucht Zeit, weil hochtechnologische Waffen sich nicht so schnell wie Lebkuchenkekse produzieren lassen. Diese Zeit läuft den USA aber langsam davon, weil China immer deutlichere Signale einer militärischen Intervention aussendet.
Die USA wollen Asien in Zukunft priorisieren
Je lauter es um China im Pazifik wird, desto nervöser wird die amerikanische Führung im Hinblick auf ihre Rolle in Europa. Der alte Kontinent ist längst nicht mehr die wichtigste Bühne auf der Welt. Asien ist längst der bevölkerungsreichste und auch in wenigen Jahren der ökonomisch stärkste Kontinent. Laut IWF wird Asien in diesem Jahrzehnt noch mehr als 50 Prozent der globalen Wirtschaft ausmachen, während sich die restlichen 50 Prozent auf die anderen Kontinente verteilen.
In der Pro-Kopf-BIP-Verteilung wird es ähnlich. Wie der Rest der Welt soll Asien Ende 2030 auf etwa 30.000 US-Dollar Pro-Kopf-Einkommen aufholen. Heute beträgt das Pro-Kopf-Einkommen Asiens etwa ein Drittel der USA und 44 Prozent der EU. Wenn China auch nur die Hälfte des Pro-Kopf-BIP von den USA erreicht, hätte es die doppelte Wirtschaftskraft, in etwa so groß wie das BIP der USA und der EU zusammen. Und wir sprechen hier alleine von China.
Jemand, der wegen dieser Tatsachen den Rückzug aus Europa federführend vorantreibt, ist der junge Elbridge Colby, der ehemalige US-Staatssekretär im Pentagon in der Trump-Administration: „Europa ist geopolitisch und ökonomisch weniger wichtig als Asien und unsere europäischen Verbündeten sind weit mehr in der Lage, sich gegen Russland zu verteidigen, als unsere asiatischen Verbündeten in der Lage wären, sich gegen das weit stärkere China zu verteidigen. Alles sollte sich auf China fokussieren, während wir alles andere entprioritisieren“, sagt er frei heraus.
Dieser Mann ist neben anderen aufstrebenden jungen Männern die Zukunft der US-Außenpolitik, die die bisherige US-Doktrin hinterfragen. Colbys Einschätzungen finden in den amerikanischen Eliten immer mehr Unterstützung. Das zeigt sich auch daran, dass selbst das Weiße Haus gespalten ist, auch wenn das kaum nach außen dringt. Der nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan plädiert neben anderen für die schnelle Beendigung dieses Krieges, um sich auf China fokussieren zu können.

Der Verteidigungsminister Lloyd Austin und US-Außenminister Antony Blinken sind hingegen der Meinung, der Ukraine alle Unterstützung zukommen zu lassen, um der Welt ein Exempel zu statuieren, falls man es wagen sollte, die bisherige internationale Ordnung infrage zu stellen. Dieses Umdenken findet auch im Rahmen eines Generationenwechsels statt. Joe Biden gehört zur letzten Generation, die den Kalten Krieg noch aktiv miterlebt hat und eine gewisse Verbundenheit zu Europa fühlt. Die jüngere Generation, die diese Erfahrungen nicht hat, sieht Europa deutlich realistischer und ordnet ihre Prioritäten neu. Das heißt Asien vor Europa zu stellen, was alle EU-Regierungssitze alarmieren sollte.
Deutschland muss sich vorbereiten
Die Amerikaner werden Europa nicht umgehend fallenlassen. Zu ihren wichtigsten geostrategischen Regionen gehören Asien, Europa und dann als Letztes der Persische Golf. „Ich hoffe, ich liege falsch. Mein Gefühl sagt mir, wir werden 2025 kämpfen. Die US-Präsidentschaftswahlen sind 2024 und werden Xi ein abgelenktes Amerika bieten. Die Taiwan-Präsidentschaftswahlen sind 2024 und bieten Xi den Grund für einen Angriff“, schrieb der Air Force General Michael Minihan in einem Memo an die Führungsebene der amerikanischen Luftwaffe.

Sollte man in einen Konflikt in Asien verwickelt werden, was derzeit so aussieht, als wäre es nur eine Frage der Zeit, und die Umstände würden die USA vor die Wahl stellen, ob sie Taiwan, ihre asiatischen Verbündeten oder Europa unterstützen, dann werden sich die USA zweifellos für Taiwan entscheiden. Noch glauben die Amerikaner, beide Fronten bedienen zu können. Sollte die Realität dann diese Einschätzung ändern, was stark danach aussieht, sind die Amerikaner aus Europa raus.
Europa, hauptsächlich Deutschland, bleibt deshalb nichts anderes übrig, als im Eiltempo alle Maßnahmen zu treffen, die europäische Sicherheitsordnung im Zweifelsfall alleine verteidigen zu können. Niemand weiß, wie lange sich der Ukraine-Krieg noch hinziehen und wann der Krieg um Taiwan ausbrechen wird.
Ziehen sich die USA aus dem nicht hochgerüsteten Europa zurück, dann sind Katastrophen nicht mehr auszuschließen. Nicht nur, dass die Ukraine für den Westen verloren wäre, sondern dass ein Europa ohne militärische Macht keine Kontrolle darüber haben würde, wie dieser Friedensvertrag am Ende aussehen wird. Von der Sicherheitsordnung in Europa gar zu schweigen. „Amerika wird Europa nicht verteidigen“, schrieb Colby in seiner letzten Kolumne. Welche Signale braucht man hierzulande denn noch, um sich endlich vorzubereiten?
Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.
Dieser Beitrag unterliegt der Creative Commons Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nicht kommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.