Meinungsbeitrag: Ist Christian Schmidt Serbiens und Kroatiens Mann in Sarajevo?
Als Hoher Repräsentant soll Christian Schmidt in Bosnien und Herzegowina den Friedensvertrag von Dayton garantieren, doch es gibt zunehmende Kritik.

Schon vor seiner Ernennung zum Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina der internationalen Gemeinschaft im August 2021 gab es Zweifel an der Befähigung des ehemaligen Bundeslandwirtschaftsministers Christian Schmidt für dieses verantwortungsvolle Amt. In letzter Zeit mehren sich Vorwürfe und Kritik an seiner Amtsführung und seiner Nähe zu den ehemaligen Kriegsgegnern Bosniens, nämlich Serbien und Kroatien.
Schmidts Position ist die eines Aufsehers, der die Umsetzung des Friedensvertrags von Dayton garantieren soll, der 1995 den Bosnien-Krieg beendete. Leider ist dies für die Bundesregierungen schon seit Jahren keine Priorität mehr. Mit der Benennung Schmidts für dieses wichtige Amt durch Angela Merkel hat die Bundesrepublik Deutschland aber eine große Verantwortung übernommen. Die Wahrnehmung dieser Aufgaben erfordert ein hohes Maß an diplomatischem Geschick, Unparteilichkeit, Neutralität, Regionalexpertise und Fingerspitzengefühl.
Geschuldet ist dies der Natur Bosniens als hochkomplexer Vielvölkerstaat mit drei staatstragenden Ethnien und zusätzlich 17 nationalen Minderheiten. Es handelt sich bis heute um einen multiethnischen Staat, trotz der De-facto-Aufteilung in zwei Entitäten, der mehrheitlich serbischen Republika Srpska und der bosniakisch-kroatisch dominierten Föderation.

Schmidt hat viele Male demonstriert, dass er nicht über die Voraussetzungen verfügt, sein Amt neutral und verantwortungsvoll auszuüben. Dies wurde im Umgang mit Pressevertretern und friedlichen Demonstranten im Sommer letzten Jahres mehrfach öffentlich deutlich. Vorwürfe und tatsächliches Fehlverhalten Schmidts mehren sich. Sie umfassen Parteilichkeit, Vetternwirtschaft und Untauglichkeit für dieses Amt.
Schmidts Nähe zu serbischen Nationalisten
Schmidt bestätigt den Regierungen in Belgrad und Zagreb immer wieder einen angeblich „mäßigenden und beruhigenden Einfluss“ auf den Friedensprozess in Bosnien, obwohl sie sich als ehemalige Kriegsparteien immer wieder in die inneren Verhältnisse des Landes einmischen.
Am 1. Februar 2023 lobte er bei einer Unterredung mit der serbischen Ministerpräsidentin Ana Brnabić Belgrads Rolle in Bosnien als „aufrichtiger Kollege und Freund“, obwohl Brnabić am 9. Januar eine offizielle Regierungsdelegation unter Führung des serbischen Außenministers Ivica Dačić zu einer illegalen und verfassungswidrigen Paramilitärparade anlässlich des 31. Gründungstags der Republika Srpska nach Ost-Sarajevo entsandt hatte. Dačić war zu Kriegszeiten unter dem Regime Slobodan Milosevićs Informationsminister.

Organisiert wird diese staatszersetzende Parade jährlich vom bosnischen Serbenführer Milorad Dodik. Dieses Jahr fand die Parade nicht wie üblich in der Hauptstadt der Republika Srpska, in Banja Luka statt, sondern dort, von wo die über tausendtägige Belagerung und Bombardierung Sarajevos durch serbisches Militär stattfand. Dies war eine bewusste Provokation der vielen nach wie vor traumatisierten Bewohner Sarajevos.
Serbiens Regierung propagiert ganz offen die Schaffung einer „Serbischen Welt“ – analog zur „Russischen Welt“ –, einen „politischen und staatlichen Raum, innerhalb dessen Grenzen alle Serben leben müssen“. Wie letztes Jahr übte Schmidt weder Kritik an dem staatsverachtenden Verhalten Dodiks noch an der Teilnahme der serbischen Regierung. Folglich gab es auch keinerlei Sanktionen. Im Jahr zuvor war sogar der für den Völkermord von Srebrenica verurteilte Kriegsverbrecher Vinko Pandurević Teil der Belgrader Regierungsdelegation. Auch damals schwieg Schmidt.

Schmidts Verhältnis zu Belgrad wird von seiner Nähe zu Zagreb noch übertroffen. 2020 bekam er vom kroatischen Ministerpräsidenten Andrej Plenković den kroatischen Verdienstorden „Ante Starčević“ in der kroatischen Botschaft in Berlin verliehen. Es störte Schmidt nicht, dass auch vom Haager Kriegsverbrechertribunal Verurteilte diesen verliehen bekamen. Am 2. Oktober letzten Jahres, dem Wahltag in Bosnien, änderte Schmidt mittels seiner weitreichenden „Bonner Befugnisse“ per Dekret sowohl das Wahlgesetz als auch die Verfassung der Föderation.
Damit erfüllte Schmidt die Forderungen der kroatischen, laut Bundestagsbeschluss vom Juli 2022, „völkisch-nationalistischen“ HDZ Bosniens. Diese Oktroyierung rief zahlreiche Proteste, insbesondere der Zivilgesellschaft hervor, aber auch der OSZE und von EU-Abgeordneten. Diese Gesetze sollen teilweise im kroatischen Außenministerium verfasst worden sein. Ganz offiziell feierte die Regierung Plenković in Zagreb die Wahlrechtsänderung im Sinne der HDZ als ihren Erfolg.

Diese stärken die Position der Nationalisten und schwächen die kleinen, zumeist liberalen und multiethnischen Parteien. Vorausgegangen war die zweitgrößte Nachkriegsdemonstration gegen Schmidts Pläne vor dessen Amtssitz in Sarajevo. Gegen keinen seiner sieben Vorgänger seit 1996 hatte es jemals eine Demonstration gegeben. Trotz Einladung hatte es Schmidt zuvor abgelehnt, seine Pläne dem Föderationsparlament und der Wahlkommission zu erläutern. Einige Beobachter sehen Schmidt als Kroatiens Mann in Bosnien. Die Wochenzeitung Die Zeit nannte ihn im September letzten Jahres, unter Berufung auf Kritiker, einen „Agenten der HDZ“.
Verharmlosung von Wahlmanipulationen
Während der Oktober-Wahlen kam es laut der unabhängigen, von der EU finanzierten Wahlbeobachtungs-Organisation Pod Lupom („Unter der Lupe“) zu massiver Wahlfälschung – insbesondere bei der Wahl des Präsidenten der Republika Srpska. Trotz der Beschwerden der Oppositionskandidatin wurde der Ultranationalist, Sezessionist und Völkermordleugner Dodik zum Sieger erklärt. Analysen zufolge lagen in zwei Drittel der Wahllokale keine adäquaten Stimmzettel vor.

Die Nachzählung wurde nicht beendet. Auch hier setzte Schmidt neuerlich Akzente, die die Macht der Nationalisten zementierten: Öffentlich erklärte er, dass es immer Sieger und Verlierer gebe und dass die Verlierer die Resultate akzeptieren müssten. Zu der massenhaften Vernichtung von Stimmen äußerte er sich nicht. Er bagatellisierte den Betrug, indem er von „kleineren Unregelmäßigkeiten als beim letzten Mal“ sprach. Transparency International resümierte, Schmidts Intervention hätte die politische Krise im Land „vertieft“.
Trotz des Vorwurfs der Parteilichkeit für nationalistische Kroaten tritt Schmidt in radikalen Kreisen auf, was seine geforderte „unabhängige, unparteiische Rolle“ ad absurdum führt. Während der Fußball-WM in Katar wurde Schmidt bei der Übertragung des Spiels Kroatien(!)–Marokko in Kiseljak bei Sarajevo gefilmt. Man sieht ihn vor einer Flagge des illegalen, kroatischen Parastaats zu Kriegszeiten von „Herceg-Bosna“, deren sechsköpfige Führung vom Haager Kriegsverbrechertribunal zu 120 Jahren Haft verurteilt wurde.

Bei dieser Veranstaltung wurde die Musik des in der EU mit Auftrittsverbot belegten kroatischen faschistischen Sängers Marko Perković „Thompson“ gespielt. „Thompson“ verherrlicht den kroatischen Faschismus des Zweiten Weltkrieges von Hitlers Gnaden und besingt die kroatisch-dominierten Teile Bosniens („Herceg-Bosna“) als Teil Kroatiens. Eine höchst unwürdige, nicht akzeptable Umgebung für den „Hüter“ des Daytoner Friedensvertrags.
Zusammenfassend bleibt zu konstatieren, dass Schmidt sich von Zagreb und Belgrad instrumentalisieren lässt. Ob er sich dessen bewusst ist oder nicht, sei dahingestellt. Das Ergebnis ist in jedem Falle verheerend: Anstatt die Integrität und Souveränität Bosniens zu verteidigen und den Staat zu stärken, so wie es sein Amt vorschreibt, nimmt er diejenigen, die an der Aushöhlung und Zerstörung des Staates arbeiten, in Schutz und stellt Belgrad und Zagreb regelmäßig eine Carte blanche aus.
Dies sind nur einige von vielen Fällen und Skandalen, die illustrieren, dass Schmidt für sein Amt ungeeignet ist. Er konterkariert die Bundestagsresolution zu Bosnien vom Sommer 2022 und fördert direkt jene Kräfte, die nach wie vor an den Kriegsideologien der 1990er-Jahre festhalten. Dieses Vorgehen ist sicherheitspolitisch weder im Sinne Europas noch Deutschlands. Er fügt dem Amt des Hohen Repräsentanten, dem fragilen Staat Bosnien und dem Ansehen Deutschlands großen Schaden zu. Deshalb sollte die Bundesregierung Schmidt das Vertrauen entziehen und ihn von seinem Mandat entbinden.
Dr. Manfred Dauster ist ehem. Vorsitzender Richter des Bayerischen Obersten Landgerichtes, ehem. Richter am Staatsgerichtshof von Bosnien und Herzegowina und ehem. Leiter der Antikorruptionsabteilung im Büro des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina.
Marion Kraske ist Politologin, ehem. Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Sarajevo, zuständig für Bosnien und Herzegowina, Albanien und Nord-Mazedonien.
Alexander Rhotert ist Politologe und ehem. Kabinettschef und Sonderberater des Stellvertretenden Hohen Repräsentanten (SDHR) im Stab des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina (OHR).
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