Lauterbachs Lebenslauf: Warum die Wissenschaft ehrlich sein muss

Der Vorwurf steht im Raum, Karl Lauterbach hätte bei einer Bewerbung falsche Angaben gemacht. Dieser Fall muss gründlich untersucht werden. Ein Gastbeitrag.

Karl Lauterbach
Karl LauterbachWolfgang Kumm/dpa

Seit kurzem steht gegen Gesundheitsminister Karl Lauterbach der Vorwurf im Raum, er habe im Rahmen wenigstens einer Bewerbung auf eine Professur falsche und irreführende Angaben gemacht. Selbstverständlich sind diese Vorwürfe zunächst von den zuständigen Universitäten zu prüfen, und ebenso selbstverständlich muss Lauterbach dabei die Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die besonderen Umstände dieses Falles erfordern aber auch den wachsamen Blick der wissenschaftlichen Gemeinschaft und der breiten Öffentlichkeit. Die Universitäten in Köln und Tübingen und die dortigen Ombudsleute müssen sich ihrer Verantwortung vor der Gesellschaft bewusst sein.

Die Vorwürfe gegen Lauterbach sind von erheblicher Tragweite und beruhen auf soliden Anhaltspunkten, sodass zweifellos eine sachliche Grundlage für eine nähere Untersuchung vorliegt. Allein formale Gründe wie Verjährung und fehlende Zuständigkeit könnten dem entgegenstehen. Sich faktenwidrig eine leitende Rolle bei einem Drittmittelprojekt zuzuschreiben oder Publikationen unrichtig als „im Druck“ anzugeben, wäre tatsächlich ein erhebliches Fehlverhalten. Zwar mögen die beanstandeten Auffälligkeiten theoretisch auf harmlose Weise erklärbar sein, doch erscheint dies so wenig wahrscheinlich, dass an einer Untersuchung kein Weg vorbeiführt.

Auf dem Spiel steht nicht weniger als die Glaubwürdigkeit der Politik

Zum Vergleich sei erwähnt, dass beispielsweise die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Manipulation von Abbildungen in einer antragsrelevanten Publikation und unrichtige Angaben im Lebenslauf als wissenschaftliches Fehlverhalten gewertet hat. Dafür genügte es der DFG in letzterem Fall bereits, dass die Antragstellerin die Begriffe „Tenure Track“ und „Keynote Speaker“ „nicht in dieser Form“ hätte verwenden dürfen.

Verkompliziert wird der Fall Lauterbach durch seine politische und wissenschaftspolitische Bedeutung. Bei einem Gesundheitsminister, der sich immer wieder maßgeblich auf die eigene fachliche Kompetenz beruft, müssen strenge Maßstäbe angelegt werden. Guttenberg hatte einst angesichts von Plagiatsvorwürfen relativ schnell selbst die Universität Bayreuth um Rücknahme seines Doktortitels gebeten und mit seinem Rücktritt nicht bis zur Prüfung der Plagiatsvorwürfe durch die Universität gewartet.

Diese Manöver mögen durchschaubar und nicht echter Einsicht geschuldet gewesen sein. Sie erinnern uns aber daran, dass es in solchen Fällen um mehr geht (und gehen muss) als um die Verfahren an den betroffenen Universitäten. Auf dem Spiel steht nicht weniger als die Glaubwürdigkeit der Politik und die Integrität des Wissenschaftssystems. Im Fall Lauterbach gilt dies umso mehr, als er – anders als Guttenberg – sich sowohl publikumswirksam in seiner Rolle als Wissenschaftler inszeniert, als auch von der Spitze des Gesundheitsministeriums Forschungspolitik massiv mit beeinflussen kann und in wissenschaftliche Gremien wie die Stiko drängt.

Es fehlt eine Reaktion von der Spitze des Wissenschaftsbetriebs

Dass Lauterbach mit übermäßigen Zuspitzungen, schlechter Recherche und unbedachten, Angst schürenden Äußerungen in der Pandemie immer wieder die Regeln guter Wissenschaftskommunikation über medizinische Themen verletzt hat, kommt noch hinzu. Wir sehen uns der absurden Situation gegenüber, dass das ministerial-wissenschaftliche Seemannsgarn zwar sowohl von Fachleuten als auch von Medienschaffenden engagiert angesprochen wird, aber weder der Bundeskanzler noch wissenschaftliche Institutionen dezidiert gegen den Missbrauch vermeintlicher wissenschaftlicher Autorität Stellung nehmen. Es entsteht der fatale Eindruck, dass Wissenschaft ihre Selbstreinigungskräfte verloren hat, und ihre Legitimation als meritokratisches Forum der Wahrheitssuche gerät massiv in Zweifel.

Erhellend sind zum Vergleich die einstigen Reaktionen führender Wissenschaftsvertreter zum Fall Guttenberg. Der frühere DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker stellte damals klar: „Leute, die so etwas machen, sind in der Wissenschaft erledigt.“ Jörg Hacker, damaliger Präsident der Leopoldina kritisierte „[u]nredliches Vorgehen bei der Abfassung wissenschaftlicher Arbeiten“. Der Präsident des Deutschen Hochschulverbands empörte sich über „[d]ie Marginalisierung schwersten wissenschaftlichen Fehlverhaltens durch höchste Repräsentanten unseres Staates“.

In der Wissenschaft herrscht heute freilich nicht weniger Empörung ob der Erosion wissenschaftsethischer Standards, nun da es nicht nur um eine Staub fangende Qualifikationsschrift, sondern um die Vergabe von Professuren und direkten politischen Missbrauch wissenschaftlicher Autorität geht. Woran es jetzt fehlt, ist eine Reaktion von der Spitze des Wissenschaftsbetriebs – zum Fall Lauterbach, aber auch grundsätzlich zum Umgang mit Fehlverhalten von Führungskräften. Eine klare Positionierung ist dringend nötig, um Wissenschaft als Institution glaubwürdig zu halten.

Bernhard Müller wurde 2009 an der TUM mit einer am Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA) angefertigten Arbeit über Neutrino-Strahlungstransport in Sternexplosionen promoviert. Seit 2021 ist er Associate Professor an der Monash University in Australien. Seine Forschung zu Supernova-Explosionen und den Endstadien massereicher Sternen stützt sich wesentlich auf komplexe Simulationen auf Höchstleistungsrechnern. Hier fließen Strömungsmechanik, Strahlungstransport, Kernphysik, Neutrinophysik und Relativitätstheorie ein.

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