Kindererziehung: Lasst sie euch doch bitte nehmen – die Sorge um das Pausenbrot!
Bis wann sollten Eltern ihren Kindern das Pausenbrot zubereiten? Unsere Autorin, Lehrerin und Mutter, möchte Eltern ermutigen, schneller loszulassen.

Kinder lernen rasend schnell. Gerade hat man sich über das erste Lächeln gefreut, die ersten Schritte gefeiert, da fahren sie auf Klassenfahrt, machen Prüfungen, den Führerschein und schon sind sie groß. Im gleichen Takt soll man als Eltern mehr und mehr abgeben, vorübergehend wenigstens. Zuerst das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die krabbeln einfach irgendwohin; dann die Aufsichtspflicht, die fahren mit anderen weg; später die Verantwortung, die lernen viel zu wenig, zu spät, gar nicht … und dann auch schon das Auto und die Wohnung für die Party mit Freunden.
Zugegeben, das fällt nicht immer leicht. Eines aber ist scheinbar besonders schwer abzugeben – die Sorge um das Pausenbrot. Frisch, gesund und ausgewogen soll es sein und vor allem mundgerecht, damit es auch gegessen wird. Viele Eltern stellen richtige Menüs zusammen, erst für die Kita-Dose, dann für die Lunchbox für die Schule. Nicht selten wird noch in der Oberschule dem Nachwuchs das Brot geschmiert, der Apfel geschnitten, die Mandarine geschält, das Gemüse in Form geschnitzt.
Manche Eltern tun dies bis zum Abitur ihrer Sprösslinge: reif für die Hochschule mit Mamis beziehungsweise Papis Pausenbrot, je nach dem. Warum nur wollen viele Eltern gerade die Brotdosenhoheit partout nicht abgeben? Ist es denn so eine Zumutung, sich selbst eine Brotdose zu füllen? Geht es vielleicht um eine nachträgliche Wiedergutmachung für die Durchtrennung der Nabelschnur? Oder läuft da ein Pausenbrotwettkampf: Wer kümmert sich am besten? Wessen Kind isst am gesündesten? Wer ist die tollste Mutter oder der beste Vater?
Ich selber habe mir über das Pausenbrot meiner Kinder auch einmal Gedanken gemacht und eine Lösung gefunden, die mir bis heute Freude macht. Unsere Tochter war gerade in den Kindergarten und ihr großer Bruder in die erste Klasse gekommen, sodass das gemeinsame Frühstück in aller Herrgottsfrühe stattfinden musste. Alle ließen es sich schmecken, nur ich selbst kam kaum zum Essen, weil ich stattdessen diverse Brotdosen mit ausgewogener mundgerechter Kost für andere füllte – jene Brotdosen, die oft teilweise oder gar gänzlich unangerührt wieder nach Hause kamen.
„Meine Kinder belegen sich wahre Luxusbrote“
Frustriert beschloss ich kurzerhand Folgendes: Zwar würde ich morgens weiterhin ein reichhaltiges Frühstück, quasi Brotbausatz, zur Verfügung stellen, aber das Pausenbrot macht sich bitteschön jeder selbst! „Dann könnt ihr auch drauf tun, was ihr gerne esst. Es muss nur herzhaft sein und was Frisches gehört dazu.“ Seitdem habe ich keine Brotdose mehr angerührt außer meiner eigenen. Kein Grund mehr für Pausenbrotfrust, dafür Zeit zum Frühstücken für mich!

Und siehe, meine Kinder belegen sich wahre Luxusbrote, aus denen Salat, Gurken- oder Tomatenscheiben herausquellen. Neidisch könnte man werden! Natürlich kommen hin und wieder halbvolle Brotdosen zurück. Keine Zeit gehabt, keinen Appetit, vergessen. Der Inhalt wird am Abendbrottisch vertilgt oder es werden andere Abnehmer für verschmähte Obstschnitze oder Gurkenscheiben gefunden. Warum Essen wegwerfen, nur weil es ein wenig unterwegs war?
Unser jüngster Sohn fand allerdings keinen Geschmack an der Pausenbrotherstellung. Darum beschloss er, als er in die Schule kam, dass sein Schultag gar nicht lang genug sei für eine Mahlzeit. Fortan verzichtete er auf die Brotdose. Stattdessen begann er, sich etwas zu kochen, wenn er nach Hause kam. Das tut er noch heute, er geht jetzt in die sechste Klasse; und manchmal kocht er mehr, damit wir anderen etwas abhaben können. Unser ältester Sohn hat unlängst eine Lehre begonnen.
Belegte Brote reichen ihm nun nicht mehr für den deutlich längeren Arbeitstag. Seine Lösung: Er kocht sich sonntags fünf Portionen Essen vor, sodass er sich täglich eine Mahlzeit im Betrieb aufwärmen kann. Letzten Sonntag warf ich allzu begehrliche Blicke auf sein Huhn mit Reis und Brokkoli, darauf er: „Möchtest du eine Portion abhaben, die kannst du dir morgen auf der Arbeit warm machen?“ Liebe Eltern, abgeben kann wirklich sehr schön sein, für alle Beteiligten.
Franziska Klumpp ist Mutter von drei Kindern und Lehrerin an einem Gymnasium im Norden Berlins.
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