Lehrer zur Corona-Debatte: Wieso haben wir nicht protestiert? Wo ist die Aufarbeitung?
Die Kita- und Schulschließungen während der Pandemie waren ein Fehler, sagt unser Autor. Eine Diskussion gibt es darüber nicht. Das ist fatal. Ein Gastbeitrag.

Pünktlich zum Weihnachtsfest verkündete „Deutschlands Topvirologe“ Christian Drosten in einem Interview mit der Zeitung Der Tagesspiegel am 26.12.2022, dass seiner Einschätzung nach die Corona-Pandemie beendet sei. Seine Einschätzung begründete Drosten damit, dass „die Immunität in der Bevölkerung (…) nach diesem Winter so breit und belastbar sein (werde), dass das Virus im Sommer kaum noch durchkommen könne“. Maßgeblich dafür sei seiner Meinung nach die hohe Impfquote in der Bevölkerung. Die getroffenen Maßnahmen, die der Eindämmung der Pandemie dienen sollten, verteidigte der Virologe damit, dass ohne die Einschränkungen eine Million oder sogar noch mehr Corona-Tote in Deutschland zu beklagen gewesen wären.
Prüfen lassen sich alle drei Aussagen freilich nicht – auch aufgrund der miserablen Datenlage, an der sich bis zum heutigen Zeitpunkt nichts wesentlich geändert hat. Allerdings steht nach fast drei Jahren Corona-Pandemie – bzw. besser gesagt: nach drei Jahren staatlich verordneter Anti-Corona-Maßnahmen – aber auch fest, dass diese Maßnahmen massive Schäden in vielen Bereichen des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebens hinterlassen haben. Ihre Auswirkungen werden noch viele Jahre lang spürbar sein.
Es könnte wieder passieren
Als Lehrer gilt mein besonderes Interesse den Folgen der Maßnahmen für Kinder und Jugendliche. Schon im März 2020 stand ich den massiven Einschränkungen im Bildungsbereich wie beispielsweise Schulschließungen, Distanz- oder Wechselunterricht sowie dem Tragen von Masken sehr kritisch gegenüber. Ich befürchtete, dass die negativen Folgen dieser Maßnahmen größer sein könnten als ihr Nutzen in Bezug auf ein mögliches Eindämmen der Pandemie. Inzwischen ist es nahezu unstrittig: Kinder und Jugendliche hatten mit am meisten unter den negativen Folgen der Anti-Corona-Maßnahmen zu leiden. Selbst Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat inzwischen zugegeben, dass Kita- und Schulschließungen nicht notwendig waren. Mittlerweile ist zwar weitgehend der Alltag in den Schulen wieder eingetreten. Aber die negativen Auswirkungen der Anti-Corona-Maßnahmen halten immer noch an.
Und obwohl dies inzwischen so deutlich sichtbar ist, nehme ich im Schulbereich so gut wie keine Diskussion über die (ausgebliebene) Wirksamkeit der Maßnahmen und damit über ihre Verhältnismäßigkeit wahr. Ich frage mich deshalb, wie uns das alles als Pädagog:innen nur passieren konnte. Warum waren offenbar die meisten von uns über eine sehr lange Zeit absolut überzeugt davon, dass die Maßnahmen absolut erforderlich, bezüglich ihrer Wirkung uneingeschränkt geeignet und damit in Abwägung ihrer möglichen negativen Folgen vollkommen angemessen wären? Die Verhältnismäßigkeit der Anti-Corona-Maßnahmen im Schul- und Bildungsbereich wurde viel zu lange öffentlich gar nicht kritisch hinterfragt. Auch jetzt – fast drei Jahre nach ihrer erstmaligen Verhängung – wird m. E. immer noch viel zu wenig in einer breiten Öffentlichkeit darüber diskutiert. Und gerade deshalb mache ich mir Sorgen, dass es wieder geschehen kann.

Wo waren die kritischen Stimmen?
So ist es mir bis heute in Bezug auf die Erforderlichkeit der Maßnahmen im Schulbereich unerklärlich, dass beispielsweise die vielen Mathematik-Lehrer:innen unter uns „die Zahlen“, anhand derer die pandemische Situation nahezu stündlich beschrieben werden sollte, nicht kritisch hinterfragt haben. Ich frage mich: Wie konnte es passieren, dass Mathematik-Lehrer:innen nicht aufgeschrien haben, als man einzig und allein anhand der täglichen Zahl an positiven PCR-Testergebnissen Inzidenzen, R-Werte usw. berechnet hat, womit dann die Anti-Corona-Maßnahmen auch im Bildungsbereich begründet wurden, die sich insbesondere auf jene Kinder und Jugendlichen negativ auswirkten, die eh schon benachteiligt waren?
Wieso hat niemand widersprochen, wenn mithilfe von Zahlen der „im Zusammenhang mit Corona“ Verstorbenen regelmäßig beängstigende Szenarien entworfen wurden („Jeden Tag ein abgestürzter Jumbo-Jet!“), obwohl hinter der täglich verkündeten Zahl tatsächlich zunächst jene Verstorbenen steckten, die bis zu 30 Tage vor ihrem Tod ein positives PCR-Testergebnis erhalten hatten? Wo waren die kritischen Stimmen, als von einer angeblich 95-prozentigen Schutzwirkung der Impfstoffe gesprochen und die Vorstellung auch im Schul- und Bildungsbereich verbreitet wurde, dass sich „vollständig Geimpfte“ mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr mit Sars-CoV-2 anstecken könnten?
Die Impfung schützt vor Ansteckung nicht
Nach der Zulassung der Corona-Impfstoffe Ende 2020 und mit ihrer zunehmenden Verfügbarkeit im Frühjahr 2021 habe ich erlebt, wie auf Beschäftigte in Bildungseinrichtungen, aber auch auf Kinder und Jugendliche – genau wie auf alle anderen Menschen in der Bevölkerung – ein massiver Druck ausgeübt wurde, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen.
Begründet wurde diese Empfehlung, die jedoch de facto eine Aufforderung war, mit einem angeblichen Fremd- und Eigenschutz, den die Impfung bieten würde: Geimpfte würden sich deutlich seltener mit Sars-CoV-2 anstecken und das Virus seltener an andere Menschen weitergeben. Außerdem wären sie vor einem schweren Krankheitsverlauf geschützt. Es wurde auch gefordert, dass der (Biologie-)Unterricht über die Corona-Impfung aufklären solle. Wobei damit gemeint war, den Schüler:innen zu erklären, dass und wie die Impfung vor einer Ansteckung schützt.
Selbst eine Herdenimmunität wäre erreichbar, so hieß es von namhaften Wissenschaftsjournalist:innen, wenn sich nur genug Menschen impfen ließen. Ich frage mich heute, wie es passieren konnte, dass Biologie-Lehrkräfte die Behauptungen bzw. Prophezeiungen über die Wirkung der Impfung gegen Covid-19 nicht kritisch hinterfragt haben.
Impf-Moralismus: Hier die Guten, da die Bösen
Ähnliche Fragen stelle ich mir auch in Bezug auf den Umgang mit möglichen Nebenwirkungen der Impfung: Warum haben Biologie-Lehrer:innen nicht widersprochen, als es hieß, dass der Impfstoff „praktisch nebenwirkungsfrei“ sei? Ihr biochemisches Grundwissen allein hätte ausgereicht, um aufzuhorchen, als erklärt wurde, dass der Impfstoff an der Einstichstelle verbleiben würde. Warum war ihnen nicht klar, dass sich die Nanolipidpartikel mit der mRNA aus dem Impfstoff grundsätzlich überall im Körper verbreiten und prinzipiell von jeder Zelle aufgenommen werden können, die dann Spike-Proteine produziert und von Immunzellen angegriffen wird, wodurch es zu Entzündungen kommen kann?
Mit Einführung der sogenannten 2G-Regeln wurde die Gesellschaft durch politische Entscheidungsträger:innen in geimpfte und ungeimpfte Menschen eingeteilt. Befeuert durch weite Teile der Medien. Insbesondere durch die Öffentlich-Rechtlichen mit ihren „Faktencheckern“ und namhaften Wissenschaftsjournalist:innen wurden Geimpften und Ungeimpften bestimmte Eigenschaften zugeschrieben: hier die angeblich solidarischen, vernünftigen, informierten Menschen, dort die egoistischen, unvernünftigen, desinformierten Leute.
Kurzum: Hier die Guten, dort die Bösen. Ich frage mich: Wie konnte es passieren, dass Deutsch-Lehrkräfte den damit verbundenen verbalen Entgleisungen wie „Tyrannei der Ungeimpften“ (Frank-Ulrich Montgomery), der Forderung, dass „die ganze Republik mit dem Finger auf sie zeigen (solle)“ (Nikolaus Blome), oder dem Vergleich von Kindern mit den Ratten während der Pest (Jan Böhmermann) nicht entschieden widersprochen haben?
Ungeimpfte wurden diskriminiert
Die sogenannten 2G-Regeln wurden mit ihrem angeblichen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie begründet. De facto waren sie allerdings eine der wichtigsten Maßnahmen dafür, den Druck auf die sogenannten Ungeimpften zu erhöhen, sich doch noch impfen zu lassen. Bestimmte Ethiker:innen haben in diesem Zusammenhang öffentlich behauptet, dass es ethisch zulässig sei, die sogenannten Ungeimpften zu diskriminieren (Alena Buyx). Ich frage mich: Wie konnte es passieren, dass Ethik-Lehrkräfte dies unwidersprochen hingenommen und keine saubere ethische Analyse für dieses ethische Problem eingefordert haben?
Die Corona-Politik, insbesondere die Maßnahmen im Bildungsbereich, allem voran die Schulschließungen, der Wechsel- bzw. Hybridunterricht sowie die Test- und Maskenpflicht wurden als alternativlos dargestellt. Beschlossen wurden sie regelmäßig von den Ministerpräsident:innen der Bundesländer und Vertreter:innen der Bundesregierung in der „Ministerpräsidentenkonferenz“ unter Umgehung der Parlamente. Kritik am Inhalt und am Zustandekommen dieser politischen Entscheidungen wurde schnell öffentlich als Schwurbelei, Querdenkertum oder gar rechte bzw. rechtsradikale Meinung betitelt. Ich frage mich: Wie konnte es passieren, dass Politik-Lehrkräfte dem nicht widersprochen, nicht auf die Interessengeleitetheit politischer Entscheidungen hingewiesen und die konstitutive Bedeutung des Meinungspluralismus für die Demokratie nicht unterstrichen haben?
Schulen haben einen gesetzlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag
Selbst die Verbände und Gewerkschaften, die die Interessen von Lehrkräften und Pädagog:innen vertreten, haben diese Fragen bisher meiner Wahrnehmung nach nicht gestellt. Ich frage mich: Wie konnte es passieren, dass Gewerkschaften und Verbände, die sonst immer kritisch gegenüber der Übermacht des Staates waren, auf einmal nicht nur völlig uneingeschränkt die von Bund und Ländern beschlossenen Einschränkungen unterstützten, sondern sogar noch weitere Verschärfungen forderten? Sie müssen doch geahnt haben, dass sich dadurch die Bildungschancen vieler Kinder und Jugendlicher gerade aus benachteiligten Verhältnissen noch weiter verschlechtern würden! Wie konnte es dann passieren, dass diese wichtigen Akteur:innen im Bildungsbereich in einer Zeit, als Kinder und Jugendliche ihre Stimme besonders gebraucht hätten, die Bedürfnisse dieser Menschen gerade nicht mehr im Blick hatten?
Kitas und Schulen sind Bildungseinrichtungen. Schulen haben einen gesetzlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag. Ihre Aufgabe besteht unter anderem darin, bei Kindern und Jugendlichen kritisches Denken zu fördern. Nach allem, was passiert ist, frage ich mich inzwischen: Wie können Schulen diesem Auftrag gerecht werden, wenn die Menschen, die dort arbeiten, gerade dieses kritische Denken im Hinblick auf den Umgang mit den staatlich verordneten Anti-Corona-Maßnahmen nicht vorleben (konnten)? Und ich frage mich: Wie kann sich das ändern? Sodass Einschränkungen im Schulbetrieb und damit Bildungschancen nicht erneut davon abhängen, ob ein Virologe den Beginn oder das Ende einer Pandemie verkündet.
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