„Mehr als ein Auto“: Das Auto steht für Freiheit – das sollte auch so bleiben!

Als Kind kam unser Autor nach Deutschland. Für ihn sind Autos ein Symbol der Freiheit. Er denkt: Das sollte auch in Zukunft so sein. 

Mit dem Auto lassen sich ferne Orte entdecken. Stausee Sylvenstein, Bayern.
Mit dem Auto lassen sich ferne Orte entdecken. Stausee Sylvenstein, Bayern.Christian Vorhofer/imago

Meine Eltern kommen aus der Ukraine. Bevor wir 1998 nach Deutschland auswanderten, sagten sie zu mir: „Mischa, Deutschland, wo wir hinfahren werden, ist das Land mit den besten Autos der Welt: Mercedes, BMW, Audi, Opel, Porsche.“ Für einen kleinen Jungen, der diese Automarken nur von Spielzeugautos kannte, war das unglaublich. Ich werde in ein Land ziehen, in dem diese Autos allgegenwärtig sind? Meine erste Vorstellung von Deutschland war also die von einem Autoland.

In Deutschland angekommen, haben wir anfangs auf den Straßen die in der Ukraine der 90er-Jahre berühmt-berüchtigten Mercedes S500 gezählt. Zu unserer Überraschung gab es davon unzählige. Hier, im Herkunftsland dieses Autos, fuhren darin keine Oligarchen, Kriminelle oder Neureiche wie in der Ukraine der Kutschma-Ära, sondern gewöhnliche Ärzte, Anwälte und vernünftige Geschäftsleute.

Als ich in die erste Klasse kam, fragten mich meine Mitschüler nach meinem Namen. Ich verkündete ihnen in meinem noch gebrochenen Deutsch ganz stolz, dass ich Michael heiße, wie Michael Schumacher. Dieser war in den 1990er-Jahren international bekannt und sein Ruf reichte auch bis in meine Heimat Donbass.

Michael Schuhmacher in der Boxengasse bei der Formel 1 in Melbourne, Australien 1998
Michael Schuhmacher in der Boxengasse bei der Formel 1 in Melbourne, Australien 1998Hans-Jürgen Schmidt/imago

Schumacher war für meine Familie und mich der Prototyp des perfekten Deutschen: technologieaffin, effizient und schnell. Die Realität sah aber ganz anders aus. Die Ausländerbehörde und das Arbeitsamt waren erste Begegnungen mit der deutschen Bürokratie. Am Ende der 90er-Jahre waren diese zwar deutlich weiter als staatliche Stellen in der Ukraine und korruptionsfrei, jedoch gab es keine herausragende Technik, von der fehlenden Effizienz der Mitarbeiter und der langsamen Geschwindigkeit der Bearbeitung ganz zu schweigen.

Wenn ein Narrativ erst einmal sitzt, ist es sehr schwer, es aus dem Kopf zu bekommen, sodass für mich auch in den Folgejahren Autos und Deutsche genauso im Zusammenhang standen wie Franzosen und gutes Essen oder Italiener und schöne Mode. Auch in Gesprächen mit Freunden und Verwandten aus aller Welt wurde ich stets auf deutsche Autos und erstklassige Autobahnen angesprochen. Das war deutscher Exportschlager, Popkultur auf Reifen eben.

Das Auto ist flexibler und sicherer

Ich komme aus einem autofernen Haushalt. Weder meine Eltern noch meine Großeltern besaßen ein Auto oder haben eines gefahren. Ich war der Erste in meiner Familie, der einen Führerschein machte und sich in die große Welt der Automobilität wagte. Meine Mutter trichterte mir früh ein, dass man in Deutschland ohne Führerschein nicht ganz vollwertig sei. Offensichtlich saß das Schumacher-Narrativ ganz tief.

Mercedes-Stern
Mercedes-SternMarijan Murat/dpa

Ein typischer Auto-Freak bin ich trotzdem nicht geworden. Ich lese keine Männerjournale oder gehe auf Automessen, um die neuesten Ausstellungsstücke von unten zu fotografieren. Ich schaue mir weder die Formel 1 an noch habe ich genug Kenntnisse, um an meinem Auto zu tüfteln. Wegen meines Hintergrunds war aber ein Auto immer mehr als ein Auto. Es war ein automobiler Aufstieg, ein Symbol der Anerkennung und ein gewisses Stück Freiheit, welches sich meine Eltern nie leisten konnten. In Deutschland eröffneten sich für mich neue Perspektiven.

Meine Eltern haben sich immer bemüht, mich als Kind überallhin mitzunehmen, ob ins Museum, zu Konzerten oder Spaziergängen. Sie wollten meine neue Heimat für mich möglichst komfortabel gestalten. Neue Freunde findet man nicht von heute auf morgen, sodass ich ihnen immer sehr dankbar war, wenn sie mich mitnahmen.

Jedoch haben mich diese mühseligen U-Bahn-Fahrten und das ständige Umsteigen unheimlich genervt. Im Winter war es zu kalt und im Sommer zu heiß. Ich wollte irgendwann nicht mehr wissen, wie weit ein Ort von der Bahn entfernt ist, sondern direkt davor parken und reingehen. Rechtzeitig am Ende des Monats die richtigen Tickets zu kaufen, empfand ich ebenso als belastend.

Auch ist man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln durchaus eingeschränkt, da die U-Bahn irgendwann nicht mehr fährt und man auf Nachtbusse angewiesen ist. All das ist bei einem Auto nicht relevant. Wetter ist auch kein Thema. Ich fühle mich im eigenen Auto deshalb deutlich sicherer und flexibler.

Natürlich hat diese bunte romantisierte deutsche Autowelt einen Preis und eine negative Seite. Der Verkehr ist einer der größten Verursacher von CO₂ in Deutschland. Die Emissionen stecken auf dem Niveau von 1990 fest, also einer Zeit, als Männer noch längere Haare trugen und Opel angesagt war. Damals waren der Klimawandel und seine Folgen im allgemeinen Bewusstsein noch viel weniger präsent als heute.

Verkehr mit hoher Geschwindigkeit auf Autobahn
Verkehr mit hoher Geschwindigkeit auf AutobahnWolfgang Filser/imago

Deutschland muss Verantwortung zeigen

Ein praktisch über hundert Jahre unveränderter Dieselmotor hat im Deutschland des 21. Jahrhunderts auf lange Sicht keinen Platz. Ich glaube, dass ausgerechnet das führende Autoland Deutschland nun dringend Technologien schaffen muss, um emissionsfrei in die Zukunft zu schreiten. Dabei muss nicht auf individuelle Mobilität verzichtet werden. Im Gegenteil: Technologischer Fortschritt und Automobilität können Hand in Hand gehen.

Ich stelle mich vehement gegen den Trend, Autos als das größte Übel der Welt anzusehen und Autofahrer zu verurteilen. Der fortlaufende Diskurs um Klimaschutz und Individualverkehr zeigt: Große Zustimmung für die Mobilitätswende erreicht man nur, wenn alle Verkehrsteilnehmer ausreichend beachtet werden. Das Freiheitsgefühl meiner Kindheit, das ich noch immer mit Autos verbinde, darf nicht verloren gehen. Noch heute kann ich mit dem Auto Verwandten neue Ecken unserer Hauptstadt zeigen, in die sie sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht gewagt hätten.

Individuelle Mobilität ist eine große, positive Errungenschaft der Menschheit. Mit seiner Technik und seinem Wissen sehe ich also besonders Deutschland in der Pflicht, vor dem Hintergrund der eigenen herausragenden Automobilgeschichte einen ökologisch gerechten Motor zu kreieren, das Gefühl der Freiheit zu erhalten und so wieder Geschichte zu schreiben.

Im 19. Jahrhundert gab Kaiser Wilhelm II. eine grobe Fehleinschätzung über die Zukunft des Autos ab: „Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube an das Pferd.“ Lasst uns, als Gesellschaft, alles dafür tun, dass er nicht recht bekommt und die kommenden Generationen die Faszination Auto genauso teilen können, wie es damals für mich als junger Migrant in Deutschland möglich war.

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