Heute habe ich mein erstes Sofa gekauft. Ich bin mittlerweile 58 Jahre, in der letzten Woche hatte ich Geburtstag, aber bis zum heutigen Tag habe ich nur Sofas besessen, die ich geschenkt bekommen habe, und habe nie selbst eins erworben.
Bis zu meinem 34. Lebensjahr habe ich überhaupt kein Sofa gehabt. In meiner Ost-Berliner Studentenwohnung gab es nur eine Matratze, die auf dem rostroten alten Dielenboden lag, den ich vergeblich versucht hatte, weiß zu streichen und der nun rosa-fleckig geworden war, und diese Matratze war in der Wohnung die einzige Sitzgelegenheit.
Es war eine Federkernmatratze und sie ist schuld daran, dass ich bis heute gegenüber Federkernen misstrauisch bin. Sie war bereits lange in Benutzung gewesen, bevor sie mit mir in meine erste Wohnung zog, eine Matratze mit einem blau-weiß gemusterten Bezug, durch den sich an einigen Stellen die Federn bereits durchzudrücken begannen, und man brauchte eine Weile, bis man eine schmerzfreie Schlafposition auf ihr fand.
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Heimlicher Deal mit einem Freund
Meine Wohnung befand sich im zweiten Hinterhof eines maroden Altbaus in Friedrichshain. Ich hatte die Wohnung einem Freund abgeluchst, sie war eigentlich an eine bekannte Schauspielerin vermietet, die in Dresden wohnte und eine Freundin der Eltern meines Freundes war und die Wohnung nicht benutzte, ich zahlte eine Ablöse von 500 DM-Mark, um in ihr wohnen und die monatliche Miete in Höhe von 34 Ostmark bezahlen zu dürfen, bis die Schauspielerin eines Tages von dem heimlichen Deal erfuhr, ihn wutentbrannt rückgängig machte und unsere Freundschaft ein jähes Ende fand.
Außer einem großen Zimmer gab es in der Wohnung eine Küche, in der eine Spüle stand, an die ein Duschschlauch und Duschkopf anmontiert waren, mit dessen Hilfe man sich in einer kleinen Wanne im Stehen duschen konnte, was ein kompliziertes Unterfangen war, wenn man nicht die gesamte Küche unter Wasser setzen wollte. Außerdem gehörte zur Wohnung ein winziger Balkon und ein noch winzigeres Innenklo.
Das Innenklo und der Balkon waren absoluter Luxus in der damaligen Zeit, überhaupt war eine eigene Wohnung ein Luxus, nicht wegen der Miethöhe, sondern weil man Jahre warten musste, bis man auf offiziellem Wege überhaupt eine bekam.
Später, als meine Tochter geboren wurde, war ich privilegiert und bekam eine offizielle Wohnung zugeteilt, eine Zwei-Raum-Altbauwohnung in Prenzlauer Berg mit einem Außenklo auf halber Treppe, in der es ebenso wenig eine Dusche, geschweige denn ein Badezimmer gab, aber immerhin eine Gasheizung in der Küche, die einen fast noch größeren Luxus darstellte als ein Balkon.
Modell Ahlbeck mit Plastiktasse und einer Pumpe
Die beiden Zimmer wurden mit einem Ofen geheizt. Meine Tochter badete ich in der Geschirrspüle in der Küche, und erst nach drei Jahren, in denen ich jeden Dienstag pünktlich beim öffentlichen Sprechtag der Kommunalen Wohnungsverwaltung vorgesprochen hatte, wurde uns endlich eine Dusche bewilligt, Modell Ahlbeck mit Plastiktasse, Plastikvorhängen und einer Pumpe, die man nach dem Duschen betätigen musste, wobei sie einen ohrenbetäubenden Lärm von sich gab.
Mit der komfortableren Wohnung wurde auch unsere Einrichtung gediegener. Ich erbte von meiner Großmutter eine große gepolsterte Doppelliege, die angeblich aus den Dreißigerjahren stammte und ein frühes Bauhaus-Modell war. Die Liege war mit einem orange-braunen kratzenden Wollbezug bezogen und hatte im Inneren ebenfalls Federn aus Stahl, die später erneuert worden sein mussten, denn im Krieg war eine Bombe mitten durch das Bett gefallen und im Stockwerk darunter stecken geblieben, zumindest hatte mir meine Großmutter das erzählt.
Das Bett hatte den Krieg nicht überlebt
Als Kind hatte ich ihr nicht glauben wollen, ich stellte mir vor, dass eine Bombe tausendmal größer sein müsse als ein Bett und niemals einfach so durch ein Möbelstück hindurchfallen könne, ohne Spuren zu hinterlassen. Aber nachdem die Mauer offen war, habe ich das Haus meiner Großmutter in Wilmersdorf gesucht, und tatsächlich existierte es nicht mehr. Wahrscheinlich war es nach dem Bombenangriff abgerissen worden, nur das Bett hatte den Krieg offenbar überlebt.
Wo sich die Spur dieser Liege verlor, daran erinnere ich mich nicht mehr. Wahrscheinlich habe ich sie bei späteren Umzügen nicht mitnehmen können. Einige Jahre später lernte ich den Vater meiner Söhne kennen und zog mit meiner Tochter zu ihm nach Schleswig-Holstein aufs Land.
Wir lebten in einem Dorf in einem Reihenhaus direkt hinterm Deich, und in dieser Zeit stand in unserem Wohnzimmer das hässlichste Sofa, das man sich vorstellen kann. Es passte zur spießigen Umgebung, zu den akkurat geschnittenen Rasenflächen der Nachbarn, ihren sorgsam geharkten Vorgärten und den bis zur Leblosigkeit gestutzten Bäumen, die die stille Straße säumten. Es war ein scheußliches Siebzigerjahre-Ungetüm aus schwarzem Leder, das eine entfernte Verwandte meines Mannes ausrangiert hatte, und ich nehme an, er war der Einzige aus ihrem Bekanntenkreis, der sich nicht hatte wehren können gegen ihr großzügiges Geschenk.
Als ich später mit meinen Kindern nach Berlin zurückkehrte, weil ich das Leben in der Reglosigkeit nicht ausgehalten hatte, musste ich das Sofa mitnehmen, da ich so gut wie kein Geld für neue Möbel besaß. Das sollte sich auch in den kommenden Jahren als alleinerziehende Mutter nicht ändern, bis uns Freunde von Freunden ihr gebrauchtes Ikea-Sofa schenkten, in das wir uns sofort verliebten.
Wochenlanges Stöbern im Internet
Es hatte einen Lattenrost, verstellbare Armlehnen und konnte zum Schlafsofa ausgeklappt werden, es war schlicht und funktional, sein roter Wollbezug ließ sich abziehen und waschen und dank seiner Armlehnen konnte man wunderbar darauf liegen, sitzen, herumlümmeln oder was noch sonst. Als meine Söhne klein waren, sprangen sie gerne darauf herum, wobei des Öfteren die Latten im Unterbau brachen, aber das war kein größeres Problem.
Ich hatte herausgefunden, dass man sich im Baumarkt neue zusägen lassen konnte, und ich hatte immer einen Vorrat an Ersatzlatten parat. Das Sofa hielt lange, mindestens noch 15 Jahre, wobei ich nicht weiß, wie lange es vorher schon in Benutzung gewesen war. Allerdings war die Schaumstoffauflage irgendwann durchgelegen, die Motten begannen, den Wollbezug anzufressen, und die erneuerten Latten gaben mit der Zeit nach, ich musste einsehen, dass die Zeit des Sofas abgelaufen war und ich ein neues kaufen müsste, und ich hätte gar nicht gedacht, dass das so schwierig ist.
Eigentlich wollte ich genau das gleiche Sofa wie das alte, aber dieses Modell war inzwischen nicht mehr auf dem Markt. Wochenlang verbrachte ich meine Zeit in überdimensionierten Möbelhäusern und beim Stöbern im Internet, aber nie war das richtige Sofa dabei. Entweder hatte es keine verstellbaren Armlehnen oder es war hässlich oder viel zu teuer oder hatte nicht den richtigen Bezug, bis mich heute eine Freundin in ein kleines Möbelgeschäft schleppte, in das ich nie freiwillig gegangen wäre, weil ich die Möbel dort für überteuert und überkandidelt hielt, aber siehe da, im hintersten der Räume stand mein neues Sofa, als hätte es bereits auf mich gewartet.
Vom Glücksgefühl durchströmt
Ich überlegte nicht lange und erklärte der Verkäuferin, dass ich dieses Sofa nehmen würde, ich musste mir nur noch den passenden Bezug aus den Stoffproben heraussuchen. Aber als ich die Verkäuferin nach der Lieferzeit fragte, wurde sie plötzlich ganz still. Es würde eine Weile dauern, sagte sie entschuldigend, die Lieferzeiten betrügen zurzeit zwischen zehn und 20 Wochen und einige Modelle wären momentan überhaupt nicht lieferbar. Ob ich denn schon in der Liste nachgesehen hätte, die neben dem Sofa läge, fragte sie mich, da wären die nicht lieferbaren Modelle aufgeführt. Ich sah die Verkäuferin verständnislos an, woraufhin sie mir erklärte, dass der dänische Hersteller einen Teil seiner Sofas in der Ukraine produzieren lasse, wobei sie eilig die Liste durchblätterte. Aber ich hatte Glück.
Mein Sofa war nicht dabei, es würde aus China kommen. Und nachdem ich eine Anzahlung gemacht und das Geschäft verlassen hatte, durchströmte mich ein warmes Glücksgefühl. Doch gleichzeitig war da noch ein anderer Gedanke in meinem Hinterkopf. Ich musste an die Häuser in der Ukraine denken, die von Raketen getroffen und wie Papphäuser zusammengebrochen waren, die verrußten Betonskelette, die klaffenden Löcher, wo sich einst Wohnungen befunden hatten, wo Schränke und Tische und Sofas gestanden und Menschen gelebt hatten, diese schrecklichen Bilder, die man kaum loswerden kann. Und ich fragte mich, ob es richtig sei, ein Sofa zu kaufen in dieser Zeit.
Aber gleichzeitig war diese Frage kokett. Das Leben ist in der Schwebe momentan, man hält angesichts des Krieges den Atem an. Es stimmt, man sieht das nur aus der Ferne und ist selbst nicht betroffen, man kann einfach weitermachen. Aber wem nützt es, wenn man sich dafür schämt?
Nachdem meine Großmutter 1942 ausgebombt wurde, ist sie mit ihren Kindern und ihrer alten Mutter vor den Bomben aus Berlin geflohen, nach Bad Polzin im damaligen Pommern, Połczyn-Zdrój, das heute in Polen liegt. Meine Großmutter war Schneiderin, nach dem Ende des Krieges plante sie, eine Schneiderwerkstatt zu eröffnen, gemeinsam mit einem der Rotarmisten, die in Polzin stationiert waren, einem jüdischen Schneider, aber als Deutsche durfte sie dort nicht bleiben und kehrte schließlich nach Berlin zurück.
Das Gestell meines neuen Sofas ist blau. Wie der Himmel, wie die Hoffnung, und weil es so gut zu meiner Einrichtung passt.
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