Wie man mit einem E-Auto in Berlin leben und Spritpreise ignorieren kann
Debatten um Spritpreise interessieren unseren Autor nicht: Er fährt seit zwei Jahren mit einem E-Auto durch Berlin. Hier schildert er seine Erfahrungen.

Selten war Solidarität jeglicher Couleur so wichtig wie in den letzten zwei Jahren und speziell in den letzten Wochen. Da vielen Berlinern momentan das Geld an den Zapfsäulen der Stadt abhandenkommt, möchte ich allen eine mittelfristige und eigentlich offensichtliche Lösung ihres Problems schmackhaft machen: das Elektroauto.
Als Besitzer eines Elektrosmarts laufen die vielen Berichte, Memes und Internetdiskussionen zum Thema „Spritpreisexplosion“ völlig unbeachtet an meiner Frau und mir vorüber. Denn schluckte unser VW-Eos vor zwei Jahren noch zwölf Liter im Stadtverkehr und würde mit einer Tankfüllung heute die 100 Euro knacken, so zahlen wir bei unserem Smart auf dieselbe Reichweite hochgerechnet schmale 20 Euro. Und da wir privat und auch in den Medien ständig auf merkwürdige, verdrehte oder gänzlich falsche Darstellungen zum Thema E-Mobilität stoßen, möchte ich an dieser Stelle allen Skeptikern, Zweiflern und Unwissenden einen kleinen Erfahrungsbericht und eine Starthilfe zum Mysterium E-Auto an die Hand geben.
Der ursprüngliche Anlass für diesen Beitrag liegt schon ein paar Monate zurück. Im Oktober 2021 erschien in der Berliner Zeitung ein Fahrtbericht eines Mannes, der das erste Mal mit einem Elektroauto einen Ausflug an die Müritz machen wollte und auf den 180 Kilometern kläglich an der Technik, den Apps und an diversen anderen Hindernissen scheiterte. Ich persönlich hatte mich über den Unterton geärgert, der das Elektroauto, das immerhin weltweit als die zukünftige Fortbewegungsmethode installiert wird, als eine Art verunglückte und unausgereifte Nischentechnik für Liebhaber präsentierte. Denn fast zeitgleich testete ein Automagazin den neuen ID.4 von VW. Der Testfahrer lud ebenfalls seine Familie in den Neuwagen und fuhr anschließend problemlos die fast 1000 Kilometer von Stuttgart nach Sylt und brauchte hierfür die gleichen zehn Stunden, die er sonst mit dem Verbrenner benötigte.
Wie kann es also sein, dass dieselbe Technik zu so unterschiedlichen Ergebnissen führt? Wie viel Spaß macht ein E-Auto und was kostet dieser Spaß? Und wie steht es um die vielen Gerüchte, die überall durchs Netz schwirren?
Die Kaufentscheidung
Nachdem ich mich bereits ausführlich mit dem Thema E-Auto auseinandergesetzt und die merkwürdigen Gerüchte eben als diese aussortiert hatte (z. B. Kinderarbeit, Explosionsgefahr, großer CO2-Rucksack, Stromausfälle), schauten wir uns nach Lademöglichkeiten in Wilmersdorf um, denn eine schlechte Ladeinfrastruktur bleibt für uns bis heute das einzige nachvollziehbare Argument gegen den Kauf eines E-Autos. Keine hundert Meter von unserer Haustür entfernt fanden wir die einzigen beiden Ladesäulen am Rüdesheimer Platz, allerdings waren diese auch immer frei und haben sich inzwischen verdoppelt.
Also wagten wir den Schritt, verkauften den Eos und kauften uns einen Elektro-Smart, was weitaus günstiger war, als wir erwartet hatten. Unser Smart-EQ Cabrio kostete 2020 in der Grundausstattung 22.000 Euro. Bis heute erhält man eine Händler- und Förderprämie von insgesamt 9000 Euro, die auch prompt ausgezahlt wird. Ob Opel-Corsa, AUDI e-Tron oder Golf – bei gleicher Ausstattung machen die 9000 Euro meistens genau den Unterschied zwischen Stromer und Verbrenner aus. Hinzu kommen zehn Jahre Steuerbefreiung und die geringen Tankkosten, mit denen man auf Dauer viele Tausend Euro spart.
Wie lädt man überhaupt?
Vor dem Kauf haben wir uns erst einmal auf dem Sofa mit den Lade-Apps und Modalitäten auseinandergesetzt. Mit bis drei Apps (z. B. Smoov und Plugsurfing) findet man fast alle Ladesäulen der Stadt oder in Deutschland. Die Apps verraten Verfügbarkeit, Ladetempo, Preis, den genauen Standort und viele andere wichtige Details. Bezahlt wird auf Knopfdruck per Lastschrift, Paypal oder Kreditkarte. Mit etwas Routine steht man vielleicht eine Minute an der Säule. Die Säule betankt den Wagen so lange, wie man möchte oder bis er voll ist, und natürlich stoppt an der Stelle auch der Zähler für die Abrechnung. Wie lange das Auto laden muss, hängt davon ab, wie viel Strom das Auto pro Stunde aufnehmen und die Säule abgeben kann.
Das Elektroauto funktioniert über Kilowattstunden (kWh). Die kann man sich zur Veranschaulichung grob als Liter vorstellen. Unser Smart hat zum Beispiel eine Batterie (einen Tank) von 18 kWh und kann mit maximal 22 kWh pro Stunde geladen werden. 80 Prozent der Säulen in Berlin werden von „Allego“ betrieben und geben pro Stunde 11 kWh aus. Um meine 18-kWh-Batterie mit 11 kWh pro Stunde zu befüllen, benötige ich also etwa 90 Minuten. Einige Säulen in Berlin bieten auch 22 kWh oder 50 kWh Ladegeschwindigkeit, damit wäre der Smart in einer Stunde wieder voll.
Schnellladesäulen auf Autobahnen schaffen bereits bis zu 350 kWh, was bei einem Smart, der nicht mehr als 22 kWh aufnehmen kann und somit das Nadelöhr ist, keinen Unterschied macht. Anders sieht es bei einem Porsche Taycan aus. Dessen Batterie fasst 80 kWh und er kann mit 300 kWh betankt werden. Bei einer Schnellladesäule auf der Autobahn reicht dann die obligatorische Brötchenpause und die Fahrt kann mit vollem Tank weitergehen. So bewältigt man die 1000 Kilometer Strecke zwischen Stuttgart und Sylt in der gleichen Zeit wie mit einem Verbrenner. Daher ist die Ladeinfrastruktur so wichtig. Zurzeit sollte man bei längeren Strecken vorausplanen, wann man wo tankt, eine spontane Langstreckentour ist hier noch nicht zu empfehlen – sonst rückt die Müritz plötzlich in weite Ferne.
Wie steht es um die Reichweite?
Die Reichweite ist in Berlin kein Problem. Diesen zweiten wichtigen Faktor beim E-Auto kann der Käufer selbst steuern. Wir haben uns mit dem Smart für die mit Abstand kleinste Batterie der bekannten Autohersteller entschieden und scheitern trotz Dauernutzung, sieben Tage pro Woche, nie an der Reichweite. Dabei schafft der Smart im Winter und mit Klimaanlage nur etwa 80 Kilometer. Im Sommer eher 140. Selbst Kleinwagen wie der Nissan Leaf oder Renault Zoe schaffen über das Doppelte an realistischer Reichweite und die größte Batterie im VW ID.3 kommt im Stadtverkehr auf 500 Kilometer. Wer nicht täglich mehrmals zwischen Köpenick und Spandau pendelt, muss je nach Modell zwei- bis viermal pro Monat an die Ladesäule. Und sollte unser Wagen wirklich leer und unsere Säulen besetzt sein, fahren wir zehn Minuten früher los und laden an der Schnellladesäule an unserem Lieblingscafé noch einmal nach.
Das wäre das Pendant zu: „Ich schmeiß noch schnell nen Zehner in den Tank.“ Sollte man innerhalb des S-Bahn-Rings arbeiten, findet man wie wir mit Sicherheit auch eine Säule in der Nähe der Arbeitsstelle. Zum guten Ton gehört es, das Auto maximal über Nacht und nicht tagelang an der Säule stehen zu lassen, denn die Nachbarn benötigen auch Strom und der Bedarf wächst merklich, was ja ein gutes Zeichen ist. Ein absolutes No-Go sind Verbrenner, die Ladesäulen zuparken und auch Elektroautos (besonders vom Carsharing), die dort abgestellt wurden, aber nicht laden. Elektroautobesitzer haben keine Alternative – wenn die Batterie sich langsam leert und die App eine Lademöglichkeit anzeigt, verlässt man sich auf den freien Platz.
Und wie fährt es sich?
Ich bin viele Autos in meinem Leben gefahren, aber ich hatte nie so ein Gokart-Gefühl auf der Straße. Selbst biedere Elektromodelle machen schlichtweg einfach nur Spaß. Grund hierfür ist das Drehmoment, das bei E-Autos fast vom Start weg komplett zur Verfügung steht. Somit lässt selbst der Smart jeden hochgezüchteten AMG-Mercedes an der Ampel stehen. Wer schon immer einmal einen Lamborghini fahren wollte, aber nicht das nötige Kleingeld hat, findet im Tesla Model 3 eine günstige Alternative. Dieser beschleunigt ebenfalls von null auf 100 in 3,3 Sekunden und kostet nur ein Zehntel des Italieners. Zudem ist das E-Auto völlig still und gleitet elegant, da es natürlich keinen Motor und somit auch keine Gänge gibt. Der Summton wird übrigens künstlich erzeugt, dient der Sicherheit für andere Verkehrsteilnehmer und ist gesetzlich vorgeschrieben.
Wer einmal Bekannte auf dem Beifahrersitz erschrecken möchte, die instinktiv auf ein Motorgeräusch zum Fahrtbeginn warten, fährt mitten im Satz mit Vollgas aus der Parklücke. Seit einige Carsharing-Anbieter in Berlin E-Autos im Programm haben, kann jede:r Autofahrer:in selbst dieses Fahrgefühl erleben. So wurden auch wir angefixt.
Nachteile und Vorurteile
Meine Schwiegereltern wohnen in Lichtenrade. Dort bietet sich für die Eigenheimbesitzer die optimale Lösung der privaten Wallbox. Man lädt sein Auto in der Garage für noch weniger Geld und hat keinerlei Sorgen und Nöte. Für alle anderen Lichtenrader:innen sieht es dagegen schlecht aus, denn auf der App findet man für 50.000 Einwohner nur eine einzige Ladestation – wie in vielen anderen Gegenden am Stadtrand. Hier ist der Kauf eines E-Autos nicht möglich und es besteht viel Nachholbedarf, sonst schließt man ganze Wohnbezirke von der E-Mobilität aus.
Die Liste der Vorurteile ist noch viel länger. Dass Deutschland sich als große Autonation mit Händen und Füßen gegen sämtlich EU-Beschlüsse und Richtwerte stemmt, lesen wir jeden Tag in den Nachrichten und das sollte uns eigentlich stutzig machen, denn die Autofirmen betreiben sehr viel Greenwashing und nutzen die Medien nicht so plump wie andere Interessengruppen.
Um auf häufige Vorurteile einzugehen: E-Autos fangen nicht schneller Feuer und man kann sie normal abschleppen. Der Reparaturbedarf und die Kosten sind minimal, weil es schlichtweg keinen Motor mit 1000 Einzelteilen gibt. Ein Handy und ein Radio saugen auch nicht die Batterie leer, wenn man im Winter im Stau steht. Eine Teslabatterie wiegt 750 kg, eine Handybatterie 30 Gramm. Der einzige Batteriefaktor ist die Klimaanlage, genau wie bei einem Verbrenner. Der Lithiumabbau in Südamerika ist tatsächlich problematisch, die gleichen Batterien stören uns aber nicht im Handy. Und wir können gerne streiten, ob der Strom in Deutschland ausgeht, wenn alle Deutschen ein E-Auto fahren. Momentan erreichen wir aber nicht mal unser Ziel, bis 2030 15 Millionen E-Autos (also 3o Prozent) zu verkaufen.
Der weltweite CO2-Countdown für das 1,5-Grad-Ziel ist bei inzwischen bei sieben Jahren angelangt. Wer meint, er möchte mit dem Kauf warten, bis irgendwann Wunderkraftstoffe oder Wasserstoffautos auf dem Markt sind, belügt sich selbst oder sucht eine Ausrede. Der angebliche Kompromiss mit einer CO2-Schleuder namens Plug-in-Hybrid ist in vielerlei Hinsicht noch schlimmer. Ein klein wenig Mut ist in diesen Zeiten wichtig. Meine Frau und ich haben den Kauf unseres Elektroautos nie bereut.
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