Türkisch, Englisch, Kiezdeutsch: Sprachenvielfalt macht Berlin zur Weltstadt

Seit Jahrhunderten wird Berlin von verschiedenen Sprachen geprägt. Unsere Autorin denkt: Auch die heutige Sprachenvielfalt ist eine kulturelle Bereicherung.

Wie viele Sprachen spricht Berlin? In der Hauptstadt sind viele Sprachen zu Hause, insgesamt etwa 120.
Wie viele Sprachen spricht Berlin? In der Hauptstadt sind viele Sprachen zu Hause, insgesamt etwa 120.Maskot/imago

„Dann sah ich weiße Auto“, quasselt zwei Reihen vor mir ein Jugendlicher aufgeregt in sein Telefon hinein. „Kommt von Seite, so. Macht bumm. Ischwör, das war so krass!“ Danach redet er vollständig auf Türkisch weiter und wechselt anschließend problemlos wieder ins Kiezdeutsche.

Ich stehe in der Schlange für eine Berliner Currywurst beim berühmt berüchtigten Curry 36 am Mehringdamm. Auf dem Fußgängerweg hat sich vor den aneinandergereihten Imbissbuden eine kunterbunte Menschenmasse versammelt. In der Abendluft liegen die verschiedensten Gerüche, ein Gemisch aus Curry, Frittierfett und Gegrilltem sowie scharfer Kimchisauce und Koriander.

Bierflaschen klimpern unweit von mir entfernt aneinander, danach ruft sich eine Gruppe junger Partymenschen abwechselnd „Cheers!“ und „Salud!“ zu. „Sascha Braemer is playing at Ritter Butzke tonight. Venga, vámonos!“ (Sascha Braemer spielt heute Abend im Ritter Butzke. Los, kommt, wir gehen da hin!) Hinter mir unterhalten sich drei Mädels auf Denglisch, einem Sprachmix aus Deutsch und Englisch. „Das war total strange (seltsam)! Really, it was all gone! (Wirklich, es war alles weg!) Ich kann es immer noch nicht glauben!“

„Nun passen se doch ma’ uff und träum’ se nich!“, beschwert sich ein Berliner Passant, den ich versehentlich mit meinem Rucksack gerammt habe, als er versucht, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Ich rufe ihm entschuldigende Worte hinterher, die den flüchtigen Adressaten gar nicht mehr erreichen, und lausche dem türkischen Jungen unweit von mir, der nun an der Reihe war. Er sagt den Verkäufern irgendetwas auf Türkisch, was wohl sehr lustig zu sein scheint, denn das gesamte Team kann sich vor Lachen kaum noch halten. Zu gern hätte ich verstanden, was er gesagt hat.

Schließlich bestellt die Person vor mir, eine sportlich gekleidete, hochgewachsene Frau um die 30: „I’d like to order one Bratwurst, one Currywurst and two cokes with ice, please.“ (Ich würde gern eine Bratwurst, eine Currywurst und zwei Cola mit Eis bestellen, bitte), sagt sie, mit amerikanischem Akzent, so laut, dass es auch die Leute in der hintersten Reihe noch hören können. „I can pay by card here, right?“ (Ich kann hier mit Karte bezahlen, richtig?) Sie bekommt ein einsilbiges „No“ als Antwort.

In Berlin hat sprachliche Vielfalt Tradition: Hier prallen bereits sehr lange viele Sprachen aufeinander.
In Berlin hat sprachliche Vielfalt Tradition: Hier prallen bereits sehr lange viele Sprachen aufeinander.Maskot/imago

Berliner Sprachenvielfalt hat Tradition

Als gebürtige Berlinerin auf Durchreise finde ich diese Vielfalt an Kulturen, Dialekten und Sprachen immer wieder erfreulich und erfrischend. In meiner Heimatstadt sind zahlreiche Sprachen zu Hause, insgesamt wohl etwa 120! Berlin hat sich nach dem Mauerfall erneut in eine pulsierende Metropole verwandelt, in der Einwanderer, Geflüchtete, Reisende, Studierende, Geschäftsleute und kreative Köpfe aus aller Welt zusammentreffen.

Diese Vielfalt hat Tradition. Die Hohenzollern, die mit ihren Kurfürsten, Königen und Kaisern jahrhundertelang in Berlin residierten, kamen eigentlich aus Schwaben, in dem damals Hochdeutsch und nicht das noch in Berlin weit verbreitete Plattdeutsch gesprochen wurde. Der Gendarmenmarkt, das Hugenottenviertel und die Cités in Reinickendorf erinnern an den immensen französischen Einfluss im 17. und 18. Jahrhundert, und das Umtaufen des Stadtbezirks Charlottenburg in Charlottengrad in den 1920ern zeigt, wie wichtig dieser Bezirk damals für die große Anzahl von russischen Einwanderern war.

In den 50er- bis 70er-Jahren strömten sowohl eine beträchtliche Menge türkischer Gastarbeiter als auch zahlreiche Spanier, Italiener und Griechen ohne geregelte Integrationspolitik nach Berlin. Tausende von Vietnamesen wurden in den 50er-Jahren bis kurz vor dem Mauerfall aus Nordvietnam als Vertragsarbeiter nach Ost-Berlin geholt, um die fehlenden Arbeitskräfte zu ersetzen. Nicht wenige von ihnen blieben. In der Hauptstadt prallen also bereits sehr lange viele Sprachen aufeinander.

Der Reichtum an Kulturen und ihren dazugehörenden Sprachen ist heute ganz unterschiedlich im Berliner Stadtbild hör- und sichtbar. Manche Sprachen nimmt man im öffentlichen Berliner Raum weniger stark wahr, andere hingegen aus diversen Gründen sehr deutlich. Statistisch werden die tatsächlich gesprochenen Sprachen in den Berliner Haushalten im Übrigen noch immer nicht erfasst.

Die amerikanische Sprachforscherin Barbara Johnstone stellt Metropolen als widersprüchliche Orte dar. Während in der Großstadt einerseits Kommunikation und Interaktion zwischen den unterschiedlichen Sprechergruppen entsteht, ist andererseits auch Isolierung und Exklusion zu beobachten. Man bewegt sich in unterschiedlichen Sprachwelten, die nicht oder nur wenig miteinander in Berührung treten.

Für die Bezirke Wedding, Kreuzberg und Neukölln, die bekanntlich stark türkisch und arabisch geprägt sind, ist diese Beschreibung sehr treffend. Kreuzberg, auch Klein-Istanbul genannt, sei „türkischer als die Türkei“, sagen Türken auf Durchreise und staunen darüber, dass man sich fast an jeder X-Berger Ecke auf Türkisch verständigen kann.

In Berlin ist neuer deutscher Dialekt entstanden: „Kiezdeutsch“- eine Mischung aus dem Deutschen und den Einwanderersprachen aus dem Kiez.
In Berlin ist neuer deutscher Dialekt entstanden: „Kiezdeutsch“- eine Mischung aus dem Deutschen und den Einwanderersprachen aus dem Kiez.

Denglisch: Verdrängung von lokaler kultureller Identität

Neben den zahlreichen türkischen und arabischen Bewohnern leben in diesen Bezirken mittlerweile auch viele andere Kulturen, die sich zum einen untereinander vermischen und in die deutsche Gesellschaft integrieren, zum anderen aber vielerorts auch ihre eigenen Sprachuniversen bilden. Unter den Jugendlichen ist dort im Laufe der letzten Jahrzehnte ein neuer deutscher Dialekt entstanden: das Kiezdeutsche, eine Mischung aus dem Deutschen und den Einwanderersprachen aus dem Kiez.

Eine weitere Migrationsgruppe stellt die vietnamesische Gemeinde dar, die noch heute zum größten Teil in den Ost-Berliner Bezirken Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf ansässig ist. Sowohl die in der Stadt verteilten bunten Blumenläden und die zahlreichen vietnamesischen Restaurants als auch das Lichtenberger Dong-Xuan-Center, ein wichtiger wirtschaftlicher Mittelpunkt vieler Berliner Vietnamesen, tragen positiv zur Berliner Vielfalt bei. Die vietnamesische Community ist im Stadtgeschehen eher unauffällig. Genau wie die nord- oder südkoreanischen Einwanderer werden Vietnamesen in Berlin als still und gut integriert wahrgenommen.

Ganz anders verhält es sich mit dem Englischen. Das anfänglich im Zentrum liegende englische Sprachnetz dehnt sich immer weiter aus und hat inzwischen weite Teile Berlins überspannt. Denglisch und Anglizismen sind im Berliner Sprachgebrauch nicht mehr wegzudenken. In Cafés, an der Krummen Lanke oder in Uni-Hörsälen hört man Sätze wie: „Es war so crazy, einfach so strange!“

Haben „Denglisch“ und „Globish“ den Berliner Dialekt verdrängt?
Haben „Denglisch“ und „Globish“ den Berliner Dialekt verdrängt?Maskot/imago

Stark präsente Sprachen, wie zum Beispiel Türkisch und Arabisch, werden noch immer wenig in der Berliner Gesellschaft wertgeschätzt. Die gesprochenen Dialekte, das Kiezdeutsche und das Berlinerische, werden ebenfalls nur belächelt. Doch verhielt es sich mit dem Letzteren nicht immer so. In den 80er-Jahren galt Berlinern unter ostdeutschen Studierenden als Prestige, heute ist dieser Dialekt allerdings fast nur noch in den Randbezirken zu hören.

Die englische Sprache dagegen hat vor allem im Wirtschafts- und Wissenschaftssektor einen exzellenten Ruf. Berlin hat ein Interesse an Start-ups, an Künstlern und Freischaffenden, die in die Stadt kommen und der Stadt ein wirtschaftsfreundliches Image geben. Das bringt Kapital in die Stadt und erhöht Berlins Investitionsbudget.

Natürlich geht dabei ein Stück lokale kulturelle Identität verloren, wenn Denglisch beziehungsweise Globish (zusammengesetztes Wort aus global und English) zunehmend an Einfluss gewinnt. Als Ur-Berlinerin fühle ich mich so manches Mal überrumpelt von dieser starken englischen Präsenz, obwohl ich es gleichzeitig gutheiße, dass Berlin inzwischen wieder zu einer Weltstadt geworden ist. Ich hoffe für meine Heimatstadt, dass sie es trotzdem irgendwie schafft, ihren eigenen Charme, ihre eigene Berliner Identität zu bewahren und sich auf Dauer nicht zu sehr dem Englischen beugt.

Juliane Pons wurde in Ost-Berlin geboren. Sie ist Sprachlehrerin, Übersetzerin und Autorin an verschiedenen Orten der Welt.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.