Twerking: Diese Frau zeigt Berlin, wie man selbstbestimmt mit dem Po wackelt
Maïmouna Coulibaly gibt Kurse in Booty Therapy und lehrt das Twerking. Heute zum Frauentag finden um 13 und 15 Uhr dazu Flashmobs statt. Ein Interview.

Maïmouna Coulibaly ist Tanzlehrerin, Choreografin, Performerin, Autorin und Aktivistin. Sie wuchs in den Vororten von Paris auf und war mit rassistischer und sexueller Gewalt konfrontiert, was sie im Alter von vier Jahren zum Tanzen als eine Form der Selbsttherapie führte. Was als intuitive Privatpraxis begann, entwickelte sich zu einem Konzept, bei dem sie verschiedene Twerking-Methoden und afrikanische Tänze einsetzt. Es ist ein Gesamtkonzept mit dem Namen Booty Therapy. Heute unterrichtet Maïmouna diese Art von Tanz in Berlin, wo sie auch lebt.
Maïmouna Coulibaly, was ist Booty Therapy?
Es besteht aus drei Dingen: Tanz, Sport und persönlicher Entwicklung. Ich habe das Konzept vor 27 Jahren ins Leben gerufen und gebe seitdem Kurse, bilde andere zu Booty-Therapy-Tanzlehrer:innen aus, mache Performances, Flashmobs und vieles mehr. Seit meinem vierten Lebensjahr nutze ich Tanz, um mich auszudrücken, mit Traumata umzugehen und Emotionen loszulassen. Wann immer ich etwas Gewalttätiges erlebte, sexuelle, rassistische oder andere Arten von Gewalt, wandte ich mich dem Tanz zu, wackelte meinen Booty und bewegte das Trauma durch Twerking aus meinem Körper heraus. Es hat mich aufgemuntert, es hat mir erlaubt, meine Weiblichkeit zu zelebrieren, Kontrolle über meinen Körper zu erlangen und meine Traumata zu heilen. Ich sehe Twerking, das Wackeln mit dem Hintern, das Kreisen der Hüften, nicht unbedingt als etwas, das mit Sexysein zu tun hat, obwohl ich die Leute in meinen Tanzkursen und auch mich selbst für sexy halte, wenn wir tanzen, sondern mit der Wiederverbindung mit einem ganz natürlichen Impuls, den wir haben, um uns auf diese Weise zu bewegen, vor allem, um Traumata zu lösen.
Du hast gesagt, dass auch Babys mit den Hüften wackeln und ihren Hintern twerkingmässig bewegen.
Wenn du Babys und kleine Kinder beobachtest, machen sie all die twerkingartigen Bewegungen, die ich unterrichte. Es ist etwas in uns, aber wir haben vergessen, wie wir uns auf diese Weise bewegen können, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der wir uns schämen und in der uns gesagt wird, dass wir uns auf eine bestimmte Weise verhalten sollen. Ich sehe Booty Therapy auch als ein Werkzeug, um uns mit unserem inneren Kind zu verbinden.

Ich habe an deinen Kursen teilgenommen, und obwohl du Choreografien unterrichtest, habe ich nicht das Gefühl, dass es einen Druck gibt, sich synchron zu bewegen und die Schritte perfekt zu beherrschen. Es ist spielerischer als bei anderen Tanzkursen.
Wir haben nicht denselben Körper, wir haben nicht dieselben Geschichten erlebt oder dieselben Emotionen empfunden. Wir können uns nicht auf dieselbe Art und Weise bewegen, weil wir anders sind, und das müssen wir akzeptieren. Wir können nicht auf dieselbe Weise tanzen. Ich ermutige die Menschen in meinen Kursen, sich so zu bewegen, wie sie wollen. Ich glaube, dass jede Art, den Körper zu bewegen, schön ist, weil es deine Art ist, es zu tun. Jede:r von uns hat seine/ihre eigene Stimme, und so wie ich nicht über die Stimme von jemandem urteilen kann, kann ich auch nicht über die Art urteilen, wie jemand seinen Booty bewegt.
Jeder hat eine andere Geschichte zu erzählen, und der Körper ist in diesem Fall das Werkzeug, um sie zu erzählen.
Ganz genau. Für mich würde es keinen Sinn machen, wenn jede:r die gleiche Geschichte erzählt. Meiner Meinung nach ist das nicht das, worum es beim Tanz geht, aber gleichzeitig respektiere ich alle Arten von Tanz.
Du kommst aus einem Vorort von Paris und hast dort das Konzept von Booty Therapy entwickelt und angefangen, Kurse zu geben. Du bist erst kürzlich nach Berlin gezogen. Wie ist es, in Berlin zu unterrichten, im Vergleich zu Paris?
Deutsche Menschen sind präziser und verstehen die Schritte schneller als Franzosen (lacht). Die Deutschen lernen sehr schnell, aber sie sind sehr diszipliniert. Es ist im Laufe der Jahre besser geworden, aber im ersten Jahr, in dem ich hier unterrichtete, waren die Leute verwirrt, schüchtern und irritiert, wenn ich sie bat, zu schreien, denn in meinen Klassen wird viel geschrien. Jetzt ist das kein Problem mehr. Vielleicht bin ich besser darin geworden, auszudrücken, warum wir schreien, vielleicht habe ich gelernt, mit den Teilnehmer*innen hier in Kontakt zu treten, aber im Allgemeinen scheint es für die Menschen in Paris einfacher zu sein, ihre Emotionen loszulassen als für die Menschen hier.

Du veranstaltest schon seit einigen Jahren Twerking-Flashmobs. Kannst du mehr darüber erzählen?
Den ersten Flashmob habe ich 2011 organisiert. Das war das Jahr, in dem ich meinen Vater verloren habe. Ich war als Besucherin auf dem Festival d’Avignon, einem Kunstfestival, und ich war so beeindruckt, wie die Leute auf der Straße Musik machen und tanzen. Dadurch wurde mir klar, dass wir Booty Therapy auch auf der Straße machen können. Das erste Mal haben wir an dem Eiffelturm getanzt, und wir waren nur drei Frauen. Wir hatten Angst, aber die Leute liebten es. Ich fand es großartig, das Recht der Frauen einzufordern, den öffentlichen Raum zu besetzen, ihren Körper zu feiern und gleichzeitig den männlichen Blick im öffentlichen Raum herauszufordern. Ich sah, dass es ein Interesse daran gab, also plante ich immer mehr Flashmobs. In den letzten Jahren gab es auch Booty-Therapy-Flashmobs während des Frauentags am 8. März in Berlin. Für mich ist es wichtig, Politik und Tanz zu vermischen. Es ist wichtig, dass Frauen den öffentlichen Raum zurückerobern. Männer können sich halbnackt in der Öffentlichkeit bewegen, ihre Oberkörper zeigen, draußen Sport treiben, während Frauen sich verstecken müssen, ihre Brüste bedecken müssen. Der Flashmob will eine momentane Situation schaffen, in der wir Raum einnehmen, mit unseren Booties und Brüsten wackeln und uns frei fühlen können.
Der Booty-Therapy-Flashmob in Paris im Jahr 2021 hat eine sehr starke Reaktion hervorgeholt.
Wir haben das bei einer Demonstration am International Day for the Elimination of Violence Against Women gemacht. Die erste Reaktion war großartig, es gab viele Leute, die klatschten und jubelten, wie es immer der Fall ist. Danach schrieb ein Journalist von Le Monde einen Tweet, in dem es hieß, dass das, was wir tun, antifeministisch sei. Die französische Öffentlichkeit antwortete mit vielen beleidigenden Kommentaren, in denen sie uns Schlampen nannte und so weiter. Es gab auch ein Video von unserem Flashmob auf Social Media, das innerhalb von 48 Stunden über eine Million Aufrufe hatte.
Wie habt ihr darauf reagiert?
Ich und die Tänzerinnen haben uns organisiert und miteinander diskutiert. Viele große Zeitungen, sogar in England und in Italien, haben uns interviewt, um zu verstehen, worum es bei Booty Therapy geht, sodass wir die Gelegenheit hatten, selbst zu Wort zu kommen.
Am Ende hast du also die Situation für dich zu etwas Positiven gemacht?
Ganz genau. Es war eine Menge Arbeit für die Tänzerinnen und andere Ausbilder:innen, aber am Ende war es großartig. Es geschah zur gleichen Zeit wie die Veröffentlichung meines Buches, sodass Journalisten:innen, die mehr über Booty Therapy wissen wollten, mein Buch lesen konnten. Letztendlich war es also ein perfektes Timing, das dazu führte, dass viele Menschen von unserer Arbeit erfuhren.
Du hast also inzwischen mehrere Flashmobs in Berlin gemacht?
Ja. Wir machen immer Flashmobs zum Frauentag am 8. März, aber wir haben auch zu anderen Zeiten im Jahr Flashmobs an Orten wie dem Alexanderplatz oder in der U-Bahn gemacht. Die Leute, die live zuschauen, sind immer sehr unterstützend, aber die Leute neigen dazu, online auszuflippen, wo sie sich verstecken und ihre Frustrationen kanalisieren können. Sie sind über andere Dinge verärgert und lassen es an uns aus.
Was sind einige der Dinge, die die Leute sagen?
Sie sagen oft, es sei schrecklich, dass wir das vor Kindern machen. Ich nehme mir die Zeit, auf die Kommentare zu antworten und meinen Standpunkt zu erläutern und zu erklären, warum ich nicht glaube, dass das, was wir tun, schrecklich und schädlich ist.
Viele der Tänze, die du unterrichtest, stammen aus Afrika, wie zum Beispiel der Mapouka, der aus dem Dabou-Gebiet stammt. Du unterrichtest diese Kurse in einer europäischen Stadt, deren Bevölkerung überwiegend weiß ist. Was kannst du zu dem Problem der kulturellen Aneignung sagen, wenn es um die Tänze geht, die bei Booty Therapy unterrichtet werden?
Wenn man unsere Tänze tanzen will, sollte man sie respektieren, man sollte wissen, woher sie kommen, und man sollte seine eigene Recherche machen. Ich gebe in meinen Kursen Informationen zu den Hintergründen der Tänze und bin immer offen für Fragen während oder nach dem Unterricht. Es reicht nicht aus, nur zu diesen Kursen zu kommen und von der therapeutischen Kraft der Tänze zu profitieren. Jede:r Teilnehmer:in muss auch seine/ihre eigene:n Hausaufgaben machen. Ich bilde auch Leute zu Booty-Therapy-Lehrern aus. Es ist also nicht in Ordnung, zu meinen Kursen zu kommen, die Tanzschritte zu übernehmen und sie zu unterrichten, ohne sich auf mich zu beziehen oder die Tänze tatsächlich eingehend zu studieren. Wenn jemand mit diesen Tänzen Geld verdient, ist es meiner Meinung nach sehr wichtig, dass ein Teil des Gewinns an BIPoC-Projekte gespendet wird oder dass BIPoC-Personen weniger für die Teilnahme am Unterricht bezahlen. Es ist für eine:n weiße:n Tanzlehrer:in viel einfacher, mit diesem Kurs Erfolg zu haben, als für mich. Außerdem sind diese Tänze für mich mit viel Gewalt und Schmerz verbunden. Sie waren für mich ein Weg, mein Trauma zu überwinden, und deshalb ist es für mich nicht in Ordnung und nicht fair, wenn jemand die Tänze einfach in einen lustigen Kontext stellt. Ich bin so froh, dass die Leute angefangen haben, über kulturelle Aneignung zu sprechen, sodass wir jetzt anfangen können zu diskutieren und einen Weg finden können, uns in der Mitte zu treffen. Ich möchte, dass sich die Leute informieren, aber das ist nicht meine Aufgabe, die Leute müssen es selbst tun. Demnächst findet in Berlin ein Twerk-Workshop statt. Die Organisatoren haben mich auf Instagram angeschrieben, um dafür zu werben, aber sie haben nicht daran gedacht, mich einzuladen – eine schwarze Frau, die in Berlin Twerking unterrichtet! Soweit ich weiss, werden nur weiße Lehrer:innen an dieser Veranstaltung teilnehmen. Ich habe ihnen das geschrieben, aber nie eine Antwort bekommen. Das ist für mich respektlos.
Du bildest Menschen zu Booty-Therapy-Tanzlehrer:innen aus. Wie funktioniert das?
Ich unterrichte die verschiedenen Tänze, die Philosophie des Konzepts, ich spreche über die Tanzgeister, das Konzept der Schwesternschaft, Body Positivity, die Geschichte der Tänze und der Musik, die wir verwenden, und wir befassen uns mit der Business-Seite der Dinge, wie man sich selbständig macht und so weiter. Sobald sie Lehrer sind, schicke ich ihnen jeden Monat neue Informationen: neue Schritte, Choreografien, Musik, Informationen über die Geschichte, über Selbstfürsorge … Bei Booty Therapy geht es um so viel mehr als nur um Twerking.
Entwickelst du weiterhin neue Choreografien?
In den 27 Jahren, in denen ich unterrichte, habe ich etwa 150 Choreografien kreiert. Wenn ich inspiriert werde oder wenn ich starke Emotionen spüre, die ich loslassen möchte, kreiere ich neue Tänze.

Dürfen die neuen Lehrer:innen auch neue Choreografien kreieren?
Ja, es ist wichtig, einen Teil von sich selbst zu zeigen, wenn man unterrichtet. Du kannst nicht nur das unterrichten, was ich kreiert habe, denn du musst deine eigenen Geschichten ausdrücken und teilen und deine eigenen Emotionen einbringen.
Die Lehrer:innen erzählen ihre eigenen Geschichten, aber du gibst ihnen die Tools dafür?
Ganz genau. Meine nächste Lehrerfortbildung in Berlin findet am 19. März statt und ist offen für alle.
Du wirst auch Teil eines Festivals sein, das vom 10. bis 12. März in Berlin stattfindet und F Festival heißt (F für *uck the patriarchy). Kannst du mehr darüber erzählen?
Es ist das erste Mal, dass dieses Festival stattfindet, und es wird im Ballhaus Prinzenallee stattfinden. Ich werde meine One-Woman-Show „Hot Pussy Show“ aufführen, die von meinem autobiografischen Buch „Je me relève“ inspiriert ist. Darin geht es um die Gewalt, die meiner Pussy angetan wurde, angefangen von der Genitalverstümmelung im Alter von drei Jahren bis hin zu mehreren Vergewaltigungen im Laufe meines Lebens. Ich spreche auch darüber, wie die Gesellschaft unsere Pussys kontrolliert, wie uns beigebracht wird, uns für sie zu schämen, damit andere sie in Besitz nehmen können. Diese Show ist lustig, traurig, es wird getanzt und gesungen. Die Vorstellung findet am 12. März um 15 Uhr statt und um 18 Uhr gibt es einen Booty-Therapy-Workshop, einen Talk mit dem Kollektiv Woman*LifeFreedom Berlin und wir werden das Festival mit einer Party mit Auftritten und der unglaublichen DJ Estefanía beenden. Es wird eine Gelegenheit sein, sich selbst auf viele Wege zu entdecken, während wir uns in einer spielerischen und sicheren Umgebung befinden. Der Flashmob am 8. März wird um 13 Uhr im Invalidenpark und um 15 Uhr am Brandenburger Tor stattfinden.
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grashina gabelmann wählt bewusst eine gendergerechte Sprache und das Duzen.
Flash Mob am Weltfrauentag: Am 8. März wird um 13 Uhr im Invalidenpark und um 15 Uhr am Brandenburger Tor ein Flash Mob veranstaltet. Das F Festival (F für *uck the Patriarchy) läuft vom 10. bis 12. März 2023. Maimouna's One Woman Hot Pussy Show findet am 12. März um 15 Uhr statt und um 18 Uhr der Booty-Therapy-Workshop, ein Talk mit dem Kollektiv Woman*LifeFreedom.
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