Um die Hölle zu verhindern, brauchen wir eine Ökodiktatur

Kompletter Systemwechsel jetzt! Unser Autor wirft alle vermeintlichen Zwänge über Bord und legt dar, was klimapolitisch not täte und andernfalls bevorsteht. 

Ein Blick auf das ausgetrocknete Wasserbett des San-Gabriel-Stausees in der Nähe von Azusa, Los Angeles County, Juni 2021
Ein Blick auf das ausgetrocknete Wasserbett des San-Gabriel-Stausees in der Nähe von Azusa, Los Angeles County, Juni 2021dpa/XinHua

 „2016 wurde die Erwärmung um höchstens zwei Grad im Pariser Klimaabkommen als globales Ziel festgeschrieben … Doch ein paar Jahre danach macht kein Industrieland Anstalten, seine Zusagen einzuhalten, und das Zwei-Grad-Ziel wirkt nun eher wie ein Best-Case-Szenario, dessen Erreichen im Augenblick schwer vorstellbar scheint. Jenseits davon erstreckt sich eine ganze Glockenkurve schlimmerer Möglichkeiten, die aber sorgsam vor der Öffentlichkeit verborgen werden …Vielleicht haben wir aus Anstandsgründen beschlossen, nicht über eine Welt zu reden, die sich um mehr als zwei Grad erwärmt, oder aus schlichter Angst, oder aus Angst, der Panikmache bezichtigt zu werden.“

Das schrieb der New Yorker Jornalist David Wallace-Wells in seinem im Original bereits 2017 erschienenen Buch „Die unbewohnbare Erde“ (auf Deutsch München 2019). Corona beweist es: Nur globales Handeln kann eine weltweit grassierende Pandemie eindämmen oder sogar aufhalten. Noch dringender besteht die Notwendigkeit des weltumspannenden Handelns in Fragen des Klimas und der Umwelt, denn auch Luft, Hitze, Kälte und Wasser kennen keine Grenzen. Sagen wir es ruhig offen: Die Klimakatastrophe mit schrecklichen, noch gar nicht überschaubaren Folgen für alle Lebewesen, wird nicht mehr zu vermeiden sein.

Ein Weltklimarat mit globalen Vollmachten

Durch seine künstliche Überzivilisation hat sich der Mensch immer mehr von der Natur, deren Bestandteil er ist, entfernt. Die Menschheit müsste ab sofort einheitlich im Sinne des Klimaschutzes handeln. Das ist so unwahrscheinlich wie die Quadratur des Kreises. Denn es würde bedeuten, alle weltweit herrschenden Interessengegensätze und Konflikte ab morgen beizulegen und das Leben aller Menschen einschneidend zu ändern. Für einen solchen umfassenden Systemwandel wäre ein Weltklimarat mit globalen Vollmachten erforderlich, der allen Regierungen gegenüber weisungsberechtigt und sanktionsfähig sein müsste: eine Ökodiktatur.

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Dieser Weltklimarat müsste vorwiegend aus Klimaexperten, nicht aus Politikern, bestehen. Wachstum und Profit wären zu minimieren. Nur eine solche, fast unvorstellbare „Weltregierung“ könnte angemessen auf das reagieren, was uns schon so gut wie sicher bevorsteht. Jegliche Kriege und bewaffneten Auseinandersetzungen müssten noch heute eingestellt und die Rüstungsindustrie in eine Klimaschutzindustrie transformiert werden (seltsamerweise spielen Kriege, Rüstung und Militär in der Umweltdebatte bisher nur eine unwesentliche Rolle, obwohl sie ein Hauptfaktor der Klimazerstörung sind).

Die kriegerischen Auseinandersetzungen weltweit um Wasser, bewohnbares Land, Lebensmittel, Erdöl usw. werden signifikant zunehmen und gewaltige Flüchtlingsströme auslösen. Es besteht die Gefahr, dass wir nicht am Klima sterben werden, sondern zuvor in einem nuklearen Inferno. Die Menschheit wird zunehmend irrationaler handeln.

Ab sofort müsste die weltweite Produktion auf das Überlebenswichtige reduziert werden bei gleichzeitigem Verzicht auf jeglichen Profit. Das Mantra des Kapitalismus – ewiges Wachstum –, das von Finanzinstituten, Konzernen und Politikern immer beschworen wird, jetzt sogar unter dem Euphemismus „nachhaltiges Wachstum“, ist ja lebensgefährdend. Die reichsten Menschen unseres Planeten tragen dazu bei, den Klimawandel zu beschleunigen, wenn sie die Ausbeutung von Menschen und Rohstoffen  mit dem Begriff „grün“ tarnen. Solang die Wirtschaft das Primat gegenüber der Politik hat, ist mit globalen klimafreundlichen Maßnahmen nicht zu rechnen.

Wer hat den Mut, die Menschheit zum Überleben zu zwingen?

Wer hat den Mut und die Macht, die Menschen zu einem klimagerechten Handeln zu zwingen? Es geht nur sofort und es geht wohl nur mit Zwang. Vor über 50 Jahren hat der „Club of Rome“ die Grenzen des Wachstums ausgerufen. Aber danach ging es erst richtig los mit der Ausbeutung aller Ressourcen, mit Umweltverseuchung und klimaschädlicher Überproduktion. Wir wollen die wissenschaftlich begründeten Voraussagen nicht verstehen. Daher geht es nicht anders: Wasser, Land, Lebensmittelproduktion, Wohnungswesen, Infrastruktur und medizinische Versorgung gehören in staatliche Hand. Kosten sollten durch eine Gewinnsteuer gedeckt werden. Tatsächlich passiert genau das Gegenteil: Die Gewinne werden privatisiert, die Verluste sozialisiert. Erforderlich ist ein gigantischer Strukturwandel, dessen höchstes Ziel die Vermeidung von Klimaschäden sein sollte.

Ein paar Fragen: Weshalb sagt man uns nicht die Wahrheit über die Umstellung der Fahrzeugantriebe auf Batteriestrom? Der ökologische Fußabdruck der E-Automobile und der Batterien ist schon durch ihre Produktion riesig, bevor sie überhaupt auf die Straße kommen. Woher kommt die dafür erforderliche Energie? Doch nicht nur aus sogenanntem Ökostrom. Wie und wo werden die hochgiftigen Batterien später entsorgt? Der Automobilindustrie, die auch am E-Auto prächtig verdienen wird, wird es egal sein.

Weshalb brauchen wir von technischen Produkten die jeweils neueste und größte Variante, wenn die vorhandenen noch Jahre funktionieren würden? Wozu brauchen wir ein 5G-Funknetz, wenn noch nicht einmal der bisherige Standard überall gegeben ist? Warum werfen wir gut erhaltene Kleidung in den Müll? Warum müssen jährlich Millionen Liter an Spülmitteln und Weichspülern dem Wasserkreislauf zugeführt werden? Wie können wir den Energieverbrauch drastisch reduzieren? Warum landen Lebensmittel täglich tonnenweise im Müll? Sind Kreuzfahrt- und Flugreisen wichtiger als Klimaschutz?

Wir haben keine Zeit mehr

Ja, Klimaveränderungen (Eis- und Heißzeiten) gab es schon immer. Aber sie zogen sich über Jahrtausende hin. Heute finden sie innerhalb weniger Jahrzehnte statt. Diese enorme Verkürzung macht sie so gefährlich. Wir haben im Wortsinn keine Zeit mehr. Ein Leben, wie wir es kennen, wird in wenigen Jahren nicht mehr möglich sein. Die Bevölkerung wird weiter wachsen, die Ströme der Klimaflüchtlinge in gemäßigte Gebiete wie Europa und Kanada werden zunehmen, der menschliche Organismus wird sich nicht mit der erforderlichen Geschwindigkeit auf die klimatischen Extrembedingungen einstellen können; eine ausreichende Produktion von lebenserhaltenden Gütern und eine flächendeckende medizinische Betreuung werden nicht mehr möglich sein, Regierungen werden dem Druck der Milliarden nicht mehr standhalten, und das absolute Chaos bricht aus.

Deshalb ist es dringend geboten, neue Wege in die persönliche Bescheidenheit, weg vom steigenden Konsum, zu gehen. Sonst wird die Erde wieder ein unbewohnbarer Planet werden und ihre letzten Bewohner werden in die Hölle blicken.

Jürgen Schiebert ist Journalist und Betonbauer i. R. und war jahrzehntelang in der Öffentlichkeitsarbeit in Ost und West tätig (Automobilindustrie, Theater, Tourismus).

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