Müllwerker aus Berlin: „Ohne uns hätten wir hier neapolitanische Verhältnisse“

Hat Berlin ein Müllproblem? Was sagt der Umgang mit Ressourcen über die Gesellschaft aus? Unsere Autorin hat ein Gespräch mit einem Berliner Müllwerker geführt.

Ein Stadtreiniger unterwegs in Berlin
Ein Stadtreiniger unterwegs in BerlinMarkus Wächter/Berliner Zeitung

Es gibt Berufe, die rücken oft erst ins Bewusstsein, wenn die Verantwortlichen ihre Ausführung verweigern. So verwandelte ein Müllstreik in New York im Jahr 1968 den Big Apple in einen Komposthaufen verrotteter Äpfel. Damals legten Mitarbeiter der Müllabfuhr für neun Tage ihre Arbeit nieder und die Stadt verschwand unter Tonnen von Abfall. Damit Berlin nicht im Müll untergeht, sind täglich viele Menschen im Einsatz. Einer von ihnen ist Klaus Blume. Seit 2011 steht er am Ostbahnhof an der Müllpresse und sortiert, komprimiert und entsorgt Abfälle, die in und um den Bahnhof anfallen.

Es ist 10 Uhr am drittgrößten Bahnhof Berlins. Wir treffen uns in einer US-Kaffeekette, die dafür bekannt ist, die Namen der Kunden handschriftlich auf den Bechern zu vermerken. Klaus Blume wird nicht nach seinem Namen gefragt. Man kennt ihn hier - als Klaus. Statt einer Bezahlung wechseln eine vertraute Begrüßung und ein Lächeln die Theke. Auch außerhalb der Filiale ist der 62-Jährige kein unbekanntes Gesicht. Während wir uns durch die Halle bewegen, fühlt es sich ein bisschen so an wie das Eskortieren des Dalai Lama.

Dabei gibt es nicht nur gewisse Ähnlichkeit bei der Farbgebung der Arbeitskleidung, auch Klaus Blumes zufriedene Ausstrahlung erinnert stark an buddhistische Gelassenheit. Darauf angesprochen, ob er immer so positiv sei, verrät er mir: „Man kann einfach grinsend durch die Straßen laufen, das funktioniert auch. Dann grinsen die Leute irgendwann zurück.“ Das werte ich als Ja.

In und um den Ostbahnhof kommt täglich bis zu eine halbe Tonne Müll zusammen.
In und um den Ostbahnhof kommt täglich bis zu eine halbe Tonne Müll zusammen.Bildgehege/imago

Viele der Menschen, die er beim Vorbeigehen grüßt – wie jeden Tag vor Schichtbeginn – wird er später wiedertreffen. Dann werden sie ihn an seinem ungewöhnlichen Arbeitsplatz besuchen. In einer Art Garage, auf der sich täglich rund 100.000 Reisende auf den darüber liegenden Gleisen bewegen, ist er von Montag bis Freitag im Dienst. Ein Ort mit einer besonderen Stimmung: Elektrisches Licht kämpft hier unten gegen die Dunkelheit, Musik gegen das Surren der Müllpresse und Klaus Blumes Optimismus gegen die Tristesse.

Dazu gibt es eine besondere Duftnote, an die man sich schnell gewöhne, versichert er mir. Alles, was in und um den Bahnhof an Müll produziert wird, landet hier. Da kommt am Tag bis zu eine halbe Tonne Müll zusammen. Den größten Teil davon machen Verpackungen aus. Das sei in der DDR ganz anders gewesen, erinnert sich der in Friedrichsfelde aufgewachsene Ost-Berliner. „Das war nachhaltig. Das ganze Zeug in Plastik gab es damals nicht. Es war alles aus Glas und auf alles gab es Pfand, selbst für Zeitungspapier.“

Weniger Müll durch Krisen

Dass ein Pfandsystem ein funktionierendes Instrument zur Vermeidung von Müll ist, zeigt sich auch daran, dass bei Klaus kaum Glas- oder PET-Flaschen in der Presse landen. Die werden zuvor meist weggesammelt. Für den Umgang mit Lebensmitteln hingegen hat sich bisher noch kein funktionierendes System etabliert. Noch genießbare Reste aus dem Einzelhandel werden nach Möglichkeit karitativen Zwecken zugeführt.

Berlin hat 0,7 Papierkörbe pro 100 Einwohner, weniger als Köln, Wien und Hamburg.
Berlin hat 0,7 Papierkörbe pro 100 Einwohner, weniger als Köln, Wien und Hamburg.Olaf Schuelke/imago

Trotzdem landet ein nicht unerheblicher Anteil von Produkten, die optisch zwar noch überzeugen, deren Aufenthaltsgenehmigung im Supermarktregal jedoch überschritten ist, in der Tonne und werden – das ist zumindest ein kleiner Trost – später zu Biogas verarbeitet. Das Problem mit den Mindesthaltbarkeitsdaten beobachtet Klaus Blume nicht nur im Einzelhandel. „Die meisten Lebensmittel werden ja von privaten Haushalten weggeworfen“, erinnert er sich an die Zeit, in der er noch mit einem Entsorgungsfahrzeug verschiedene Privathaushalte in Berlin abfuhr.

Dass in Folge von weltweiten Krisen und einer steigenden Inflation das Geld knapper wird, zeichne sich auch an einem „drastischen“ Rückgang des Müllaufkommens ab. „Es werden weniger Lebensmittel weggeschmissen. Seitens der Supermärkte fällt viel weniger Müll an“, berichtet er aus seinem Arbeitsalltag. „Die kaufen wahrscheinlich das ein, was läuft“, so seine Vermutung.

Daran, dass Berlin ein Müllproblem hat, kann das allerdings nicht viel ändern. Ein bisschen Müll hier und da ist bekanntlich in der DNA Berlins angelegt und wird als Teil des Großstadtkolorits wie so manch andere Dysfunktionalität der Hauptstadt verklärt. Doch warum ist das so? Diese Frage hat sich auch RBB24 gestellt und Daten zur Verteilung öffentlicher Papierkörbe – so werden sie offiziell betitelt – ausgewertet. Keine Überraschung ist, dass Berlin mit 0,7 Papierkörben pro 100 Einwohner zahlenmäßig nur auf Platz vier nach Köln, Wien und Hamburg landet.

Dreckiges Berlin
Dreckiges BerlinSabine Gudath

Dass Berlin damit noch vor München liegt, verwundert dann angesichts des Sauber-Images der bayrischen Landeshauptstadt doch. Auch Klaus Blume hat keine finale Antwort auf die Müllfrage: „Berlin ist dreckig und es gibt genug Arbeit.“ Dass nicht mehr Leute eingesetzt würden, um im öffentlichen Raum für Ordnung und Sauberkeit zu sorgen, versteht auch er nicht.

Nachwuchsprobleme in der Abfallwirtschaft

Wie in vielen systemrelevanten Branchen kämpft auch die Abfallwirtschaft mit einem Nachwuchsproblem. Dass sich nicht mehr junge Menschen für den Beruf entscheiden, könnte auch etwas mit der Attraktivität der Branche zu tun haben. In der Pandemie haben wir als Gesellschaft kollektiv gelernt, wie wichtig systemrelevante Berufe sind. Zum Dank gab es rhythmische Klatscheinlagen. Nachhaltig geändert hat sich zumindest an den Arbeitsbedingungen für Klaus Blume und seine Kollegen nichts. Denn auch für sie ging die Arbeit während Corona ununterbrochen weiter.

Die Abfallwirtschaft hat ein Nachwuchsproblem.
Die Abfallwirtschaft hat ein Nachwuchsproblem.Stefan Zeitz/imago

„Das war schon krass“, fasst der Vater einer Tochter diese herausfordernde Zeit zusammen. „Ohne uns hätten wir hier neapolitanische Verhältnisse.“ Mehr Anerkennung seitens der Gesellschaft und Politik habe er trotzdem nicht erlebt, dafür aber von den vielen Angestellten am Bahnhof. „Die Leute, die zu mir runterkommen, die schätzen meine Arbeit und von denen bekomme ich meine Anerkennung“, berichtet Klaus. Und dennoch räumt auch er ein, dass zumindest eine finanzielle Anerkennung „nicht schlecht gewesen“ wäre.

Daran, dass der Müllmann seinen Job liebt, ändert das nichts. Besonders auf den Kontakt mit den Menschen möchte er nicht verzichten. Mit seinen 62 Jahren zählt er keineswegs die Tage bis zur Rente. Im Gegenteil: Wenn es seine Gesundheit zulässt, möchte er auch nach dem offiziellen Rentenalter noch gerne weiter hier arbeiten. „Ihr werdet mich hier nicht los“, kündigt er mit einem Lachen an.

Dass Klaus Blume einmal hier landen würde, war nicht immer klar. Zu DDR-Zeiten machte er zunächst eine Ausbildung zum Lüftungsmonteur und später im wiedervereinigten Deutschland dann noch eine zum Berufskraftfahrer. Zwölf Jahre lang war er in Berlin und Umgebung im Auslieferungsverkehr tätig, bevor er über Umwege zur Müllabfuhr kam. Seit 2011 ist er nun für einen privaten Gebäudeservice am Ostbahnhof tätig.

Egal ob in der Fahrerkabine oder an der Müllpresse, dabei immer begleitet hat ihn die Musik. Klaus Blume zu fragen, was er am liebsten hört, ist der falsche Ansatz. Viel eher sollte man fragen, was er nicht hört, so divers ist sein musikalisches Interesse – und seine Expertise. Genresicher springt er von AC/DC zu Mozart und spricht mit der gleichen Begeisterung von Metallicas neuem Album wie von Bachs Brandenburgischen Konzerten. Seine Playlists arrangiert er tagesformabhängig.

„Ich bin zufrieden“

An schlechten Tagen hört er „Ace Of Spades“ von Motörhead. „So was holt mich dann wieder runter. Schnell. Hart. Laut“, sagt er. Bei Metal mag er es hart, bei der Klassik gerne „fluffig“. Romantische Werke findet er anstrengend. Mozart, Vivaldi oder Bach hingegen sind seine „Lieblingsdinger“. Bei Helene Fischer schaltet er auf Durchzug und im Chor zu „Layla“ mitsingend wird man ihn wohl nicht antreffen. Auch Heino als Heavy-Metal-Rocker nimmt er den musikalischen Sinneswandel nicht ab.

Verpackungen sind das größte Müllproblem.
Verpackungen sind das größte Müllproblem.Sabine Gudath

Der Genrewandel in die andere Richtung entspricht schon eher seinem Geschmack: deutsches Liedgut in der Punk-Adaption. Die Toten Hosen mit ihrem Alter Ego als Rote Rosen etwa müssen nicht um ihren Platz auf Klaus’ Playlist fürchten. Als wahrer Musikfanatiker versucht er nicht nur seine musikalischen Idole gelegentlich auch live zu sehen, sondern kauft auch noch CDs. „Ich streame nicht, ich mache kein Spotify. Denn da haben die Musiker nichts von.“

800 CDs kamen so zusammen. Darunter mischen sich auch Schallplatten und Audiotapes, die er in frühester Jugend selbst vor dem Radio sitzend aufgenommen hat. Klaus ist ein Mann des Auditiven, der Fernseher bleibt bei ihm die meiste Zeit aus. Wenn mal keine Musik läuft, dann hört, liest und sieht er gerne investigative Reportagen oder hält bei langen Spaziergängen mit der Kamera besonders schöne Motive fest. Frei nach dem Motto: „Es könnte jeder Tag der letzte sein.“

Auf die Frage, ob er glücklich sei, antwortet er: „Was ist Glück? Ich bin zufrieden.“ Und das spürt man. Klaus Blume strahlt eine Ruhe und Zufriedenheit aus, die sich unweigerlich auf seine Mitmenschen überträgt. Auch die Tatsache, dass er sich seinen Traum, eine geführte Motorradtour durch die USA, in diesem Leben wahrscheinlich nicht mehr erfüllen wird, kann daran nichts ändern. Erfüllung findet er stattdessen in seinem Job sowie mit Familie und Freunden. Zum Abschied gibt es kein Tschüss oder Auf Wiedersehen, sondern ein aufrichtiges „Pass auf dich auf“.

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