Wie die Medienvielfalt im Osten nach der Wende verschwand

Viele DDR-Medien reformierten sich 1989 von Grund auf. Trotzdem hatten sie keine Chance im neuen System. Ein Medienpolitiker blick zurück.

Der Sprecher der ehemaligen DDR-Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera", Klaus Feldmann, in einem Nachbau seines alten Arbeitsplatzes. Klaus Feldmann war fast 30 Jahre lang Sprecher der Nachrichtensendung des Ostens in Berlin-Adlershof. Das Bild ist vom Jahr 2003. 
Der Sprecher der ehemaligen DDR-Nachrichtensendung "Aktuelle Kamera", Klaus Feldmann, in einem Nachbau seines alten Arbeitsplatzes. Klaus Feldmann war fast 30 Jahre lang Sprecher der Nachrichtensendung des Ostens in Berlin-Adlershof. Das Bild ist vom Jahr 2003.

Berlin-Von außen schien es unerklärlich: Medien, denen man vor Monaten nicht getraut hatte, wurden plötzlich massenhaft gelesen, gesehen oder gehört. Dabei hatte es in den Redaktionen nur wenige Veränderungen gegeben. Doch im Herbst 1989 reformierten sich viele DDR-Medien schnell und von innen heraus.

Linientreue Chefredaktionen wurde ab- und neue Chefredakteure von den Belegschaften demokratisch an die Spitze gewählt. Man gab sich Redakteursstatute, und jüngere Redakteur kamen schnell als Seiteneinsteiger in die Redaktionen. 1990 gründeten sich über 120 neue Zeitungen in der DDR. Doch was wurde aus dieser Vielzahl und Vielfalt? Die Medienpolitik unter Helmut Kohl ließ die Marktwirtschaft wirken. Große Westverlage übernahmen die SED-Bezirkszeitungen.

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Wie neue Monopole, sogenannte Ein-Zeitungs-Kreise, entstanden und die Neugründungen aufgeben mussten, kann man in „Pressefrühling und Profit“ von Mandy Tröger nachlesen. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wurde das etablierte BRD-System durchgesetzt. Die reformierten DDR-Programme hatten keine Chance.

DT64, das Jugendradio, gewann Zeit, weil Zehntausende auf den Straßen demonstrierten, 300.000 Unterschriften sammelten und Mahnwachen initiierten. Entlang der alten Grenze gab es auch auf westdeutscher Seite mehr als 30 Freundeskreise, von Nürnberg über Kassel und Hannover bis nach Hamburg. Es war das erste ost-westdeutsche Integrationsradio. Ein Programm, das nicht nur von Ost- und Westdeutschen gemacht, sondern auch gehört wurde, das einen Hörerklub mit über 5000 Mitgliedern hatte, die mit den Macherinnen und Machern bei Hörertreffen auch über das Programm diskutierten. So hatte sich ein soziales Netzwerk gebildet – ohne dass man über die heutigen sozialen Netzwerke verfügte.

Über Telefon, Fax und persönliche Treffen wurden Kontakte geknüpft und gepflegt und Austausch gesucht. Der MDR übernahm dieses erste ostwestdeutsche Integrationsprogramm, benannte es in „Sputnik“ um und verfrachtete es auf Satellit. Der Berliner Rundfunk wurde privatisiert, der Deutschlandsender Kultur in Deutschlandradio integriert. Eine relevante ostdeutsche Stimme mit entsprechender Reichweite gab es nicht mehr.

Hätte es den Westdeutschen geschadet, Originalton Ost zu hören? Wurde in dieser Zeit der Grundstein für die heutige mediale Spaltung Deutschlands mit gesetzt, wie Lutz Mükke in einer Studie feststellt? Während man derzeit aus fast jedem Ereignis einen Jahrestag generiert, Veranstaltungen organisiert und darüber berichtet, lässt man die Reform der DDR-Medien bis heute unkommentiert.

Alle Erfahrungen jener wenigen Monate des medialen Aufbruchs und der journalistischen Selbstbestimmung, unter welchen Bedingungen Medien gesellschaftlich relevant und Journalismus in der Bevölkerung verankert sein können, was Medien in Phasen des gesellschaftlichen Wandels leisten können, fallen so durchs Raster.

Im Herbst vor 30 Jahren wurden der DDR-Rundfunk abgewickelt und ARD-Strukturen (MDR, ORB, NDR) im Osten etabliert. Mehr als 10.000 Journalistinnen und Journalisten mussten hoffen, unter westdeutschen Intendanten und Direktoren arbeiten zu dürfen. Doch wer verknöcherte Strukturen reformieren will, sollte nicht nur neue Technologien und Publikums- und Zukunftsdialoge als Heilsbringer sehen. Damit allein ist gesellschaftlich relevanter Journalismus nicht möglich.

Ein Blick zurück könnte offenbaren, unter welchen Voraussetzungen Medien der öffentlichen und individuellen Meinungs- und Willensbildung, also der Demokratie, dienen können. Nicht alles muss neu erfunden werden. Oftmals hilft es mehr, sich auf seine Wurzeln zu besinnen. 

Der Autor war  Mitbegründer des Netzwerks zum Erhalt des Jugendradios DT64 und medienpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag.

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