Seit Beginn des Krieges in der Ukraine wurden die russische Fußballnationalmannschaft und russische Fußballklubs von internationalen Wettbewerben suspendiert. Sowohl Uefa als auch Fifa haben die Russen ausgeschlossen. Dies bezog sich zunächst auf die WM-Qualifikation, die damals noch ausgespielt wurde.
Russland hätte im März in den Qualifikations-Play-offs gegen Polen und bei einem eventuellen Sieg anschließend gegen Schweden oder Tschechien antreten sollen. Alle drei Länder erklärten, dass sie ein Spiel gegen eine russische Auswahl boykottieren würden.
Am 28. Februar 2022 folgte schließlich die Suspendierung der Russen seitens Uefa und Fifa. Seither hat die russische Nationalmannschaft keine Spiele mehr bestritten. Mangels offizieller Wettbewerbsteilnahmen sucht der Russische Fußballverband verzweifelt nach Gegnern für Freundschaftsspiele. Auch das stellt sich als schwieriges Unterfangen heraus, da bei den meisten hochwertigen Kontrahenten keine Spielbereitschaft besteht.
Meistgelesene Artikel
Letztendlich sind die Russen aber doch fündig geworden. Während die vereinbarten Partien gegen den Iran und Kirgisistan aufgrund der politischen Nähe der genannten Staaten zu Russland eher als reine Information aufgefasst werden können, sorgt ein weiterer Gegner für Verwunderung. Der Fußballverband von Bosnien und Herzegowina, ein Land mitten in Europa, das sowohl die EU-Sanktionen gegen Russland mitträgt und auch in der UN-Generalversammlung die russische Aggression in der Ukraine verurteilte, hat der Einladung der Russen zu einem Freundschaftskick zugestimmt.
Das Spiel soll im November, kurz vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft in Katar (beide Teams sind nicht qualifiziert für die WM), in St. Petersburg stattfinden. Eine Entscheidung, die in Bosnien am Wochenende große Wellen geschlagen hat und heiß diskutiert wird.
Freundschaftsspiele unterliegen nicht der Uefa
Dass diese Spielaustragung überhaupt möglich ist, trotz laufender Sanktionen des europäischen Fußballdachverbandes, liegt daran, dass die Uefa auf Freundschaftsspiele keinen Einfluss nimmt. Dadurch ist es beispielsweise auch der „Nationalmannschaft“ von Katalonien möglich, obwohl sie kein anerkanntes Uefa- oder Fifa-Mitglied ist, Freundschaftsspiele gegen gewillte Gegner zu organisieren.
Trotzdem wollte sich der Bosnische Fußballverband absichern. Die Uefa wurde in die Pläne über die brisante Partie eingeweiht und zur Meinung befragt. Das bosnische Sportportal sportske.ba veröffentliche die Antwort der Uefa, die unterstrich, dass Freundschaftsspiele auf dem Territorium der Russischen Föderation nicht im Widerspruch zu den aktuellen Sanktionen der russischen Mannschaften aus den laufenden Uefa-Wettbewerben stehen. Theoretisch könnte derzeit also auch der DFB ein Freundschaftsspiel in Moskau bestreiten. Aber allein die Idee ist in Anbetracht der aktuellen Haltung der Bundesregierung, des DFB oder der deutschen Öffentlichkeit gegenüber Russland absurd.
Sind die Serben wieder schuld?
Als ähnlich absurd dürften die meisten Menschen in Bosnien und Herzegowina die Entscheidung ihres Fußballverbandes aufgenommen haben. Ein Fußballspiel gegen das vom Westen isolierte Russland, während in der Ukraine weiterhin der Krieg tobt, stieß vor allem in der Hauptstadt Sarajevo und im bosniakisch dominierten Landesteil auf harsche Kritik.
Dennoch ist die Lage in Bosnien und Herzegowina wie so vieles komplexer. Nicht alle dürften sich an diesem Fußballspiel verstören.
Milorad Dodik, der Vertreter aus dem serbischen Teil des Landes (Republika Srpska) im dreiteiligen Staatspräsidium, gilt als ein enger Vertrauter von Wladimir Putin. Ginge es nach ihm oder dem Vorsitzenden der stärksten kroatischen Partei HDZ, Dragan Covic, wäre der Gesamtstaat wahrscheinlich morgen aufgelöst. Diese separatistischen Tendenzen finden auf internationaler Bühne meistens Anklang und Unterstützung in Moskau.
Allgemein wird Bosnien und Herzegowina aufgrund seiner politischen Struktur als eines der dysfunktionalsten Länder der Welt angesehen. Das Land kämpft nicht nur mit Auflösungserscheinungen, hervorgerufen durch die serbischen und kroatischen Separationsbestrebungen, sondern vor allem gegen eine überkomplexe Bürokratie.
In den meisten Bereichen des politischen und gesellschaftlichen Lebens bedarf es auf Staatsebene stets eines Triumvirats in der Leitungsstruktur. Wie im Staatspräsidium, das zusammengesetzt ist von jeweils einem Vertreter der drei konstituierenden Bevölkerungsgruppen (einem Bosniaken, einem Kroaten und einem Serben), spiegelt sich diese Organisationsform auch bei den Sportverbänden des Landes.
Das Gremium des Nationalen Bosnischen Fußballverbandes, das die Entscheidung über die Spielzusage getroffen hat, ist ebenfalls nach dem gängigen Muster gegliedert. Ihm gehören jeweils zwei Bosniaken, Kroaten und Serben an. Um Entscheidungen zu treffen, bedarf es einer Mehrheit und mindestens einer Stimme der Repräsentanten von allen konstituierenden Völkern. Da die Abstimmung 5-1 für das Freundschaftsspiel ausfiel, hat also auch ein Bosniake zugestimmt.
Der Sündenbock ist bekannt
Trotz Dodiks offensichtlicher Nähe zu Putins Russland (das nächste Treffen der beiden ist angeblich für den 20. September geplant), können also in diesem Fall die bosnischen Serben nicht als alleiniger Sündenbock benannt werden. Dodik hat höchstwahrscheinlich nichts gegen die Entscheidung einzuwenden. Interessieren tut ihn die Bosnische Fußballnationalmannschaft sowieso nicht, wie er mehrfach schon provokativ geäußert hat, weil seine Begeisterung der Nationalmannschaft von Serbien gilt.
Eine offizielle Reaktion auf die Angelegenheit seitens Dodik blieb bisher aus. Dass dieses Süppchen sozusagen selbst eingebrockt wurde, sorgt in Sarajevo zusätzlich für Frust. Der Gegenstimme von Fuad Colpa, Abgesandter des Fußballverbandes des Kantons Sarajevo im Nationalen Fußballbund als einer der beiden bosniakischen Repräsentanten, hätte es benötigt, um die ganze Geschichte abzublasen. Colpa gehörte aber zu den fünf Befürwortern, weshalb er jetzt die meiste Kritik erntet.
Stars und Fans wollen das Spiel boykottieren
Miralem Pjanic (ehemals FC Barcelona und Juventus Turin) und der ehemalige Spieler des VFL Wolfsburg Edin Dzeko (derzeit bei Inter Mailand unter Vertrag), die beiden größten Stars des bosnischen Teams, haben ihren Missmut über die Spielansetzung bereits über ihre Social-Media-Kanäle geäußert und ihren eigenen Verband kritisiert.
Ähnlich wie die größte Fangruppierung der Nationalmannschaft, die BH Fanaticosi, haben sie einen Boykott der Partie angekündigt. Bei einer Online-Umfrage auf dem bosnischen Internetportal klix.ba haben sich 77 Prozent der Lesenden ebenfalls gegen das Russlandspiel ausgesprochen. Eine Reaktion des Ukrainischen Fußballverbandes ließ auch nicht lange auf sich warten, in der die Entscheidung erwartungsgemäß verurteilt wurde.
Kontroverse befeuert den Wahlkampf
Im Oktober finden in Bosnien und Herzegowina Wahlen auf allen Landesebenen statt. Mehrere politische Akteure haben den Fußballstreit aufgenommen und Stellung bezogen. Die Regierungspartei SDA rief den Fußballbund bereits zur Annullierung der Spielansetzung gegen Russland auf. Mehrere Politiker kündigten in ihren Wahlkämpfen zudem an, dass sie die Entscheidung selbst revidieren würden. Angesichts der Tatsache, dass die Mitglieder des Bosnischen Fußballverbandes erst letztes Jahr gewählt wurden und ihr Mandat über die Oktoberwahlen hinausgeht, sollten sich solche Vorhaben als schwierig erweisen und populistisch verhallen.
Einzig die Bürgermeisterin von Sarajevo, Benjamina Karic, die sich ebenfalls der Kritik anschloss, kündigte konkrete und realistische Maßnahmen an. Sollte der Fußballbund seine Entscheidung nicht korrigieren, würde die Stadt Sarajevo die bisher erfolgreiche Kooperation mit den Fußballvertretern aussetzen. Sie erinnerte zudem daran, dass gerade Sarajevo mit seiner Kriegsgeschichte, die vom Leid der Belagerung geprägt war, die Entscheidung des Fußballbundes verurteilen müsse.
Putins Propaganda wird scheitern, aber der Imageschaden ist da
Ob das Spiel nun stattfinden wird oder nicht, bleibt abzuwarten. Fakt ist, dass fast niemand in Bosnien und Herzegowina von der Entscheidung des eigenen Fußballverbandes sonderlich angetan ist. Die einzige positive Verlautbarung zur Ansetzung dieses Fußballspiels kam vom Russischen Fußballverband. Dort freut man sich und möchte der Bosnischen Nationalmannschaft am 19. November in der St. Petersburger Gazprom-Arena ein guter Gastgeber sein. Man hofft dadurch, einen ersten Schritt zur Überwindung der Sanktionen zu gehen. Denn auch für die EM-Qualifikation, die nächstes Jahr startet, ist Russland weiterhin suspendiert.
Wenn sich jemand weiterhin fragt, ob die westlichen Sanktionen gegen Russland wirken: Ja, im Fußball definitiv. Ein mögliches Freundschaftsspiel gegen Bosnien und Herzegowina wird daran auch nichts ändern. Sollte die vielleicht berechtigte Sorge bestehen, dass Putin dieses Spiel für seine Propaganda ausnutzt, kann ebenfalls Entwarnung gegeben werden.
Einen Tag später beginnt die Fußball-WM in Katar. Es ist stark anzunehmen, dass die Fußball-Weltöffentlichkeit sich im Vorfeld einer Weltmeisterschaftsendrunde nicht sonderlich für Nichtteilnehmer wie Russland interessieren wird. Der Imageschaden für das bosnische Nationalteam, das sowieso einen schweren Stand im eigenen Land hat – weil sowohl der serbische Bevölkerungsanteil als auch der kroatische eher die Spiele der Nachbarländer Serbien und Kroatien verfolgt – und nie eine wirkliche identitätsstiftende Bewegung das ganze Land durch den Fußball erfassen konnte, ist leider bereits entstanden.
Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de
Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.
Dieser Beitrag unterliegt der Creative Commons Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nicht kommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.