Papst in Rio: Einfach herzlich – wird nicht reichen
Der Papst auf der Copacabana. Zwei Millionen Menschen empfangen ihn. Der Papst beugt sich immer wieder aus seinem Papamobil, ergreift die sich ihm entgegenstreckenden Hände. Er beugt sich weit hinaus und herzt und küsst ein Kind, das ihm entgegen gehalten wird. Ich war nicht dabei. Kaum jemand war dabei, aber auf Youtube kann ich, kann die ganze Welt das alles sehen.
Dort ist auch ein kleiner Film eines argentinischen Fernsehsenders zu finden, der Papst Franziskus bei seinem Gang durch die Favela da Varginha im Norden von Rio de Janeiro zeigt. Sie ist geschickt ausgewählt; mit gerade einmal 1 000 Bewohnern ist sie eine der kleinsten, und also wenigstens einen Papstbesuch lang gut zu bewachen. Man stelle sich vor, er wäre in die Favela Rocinha gegangen mit ihren mehr als 100 000 Bewohnern. Aber auch hier in Varginha nannte man die Straße, die durch die Favela führte, und die er entlanggeht, den „Gazastreifen“, weil hier ständig geschossen wurde.
Der Papst schüttelt Hände, segnet Kinder und streichelt ihnen dann lachend über die Köpfe, einer seiner Wachleute reicht ihm ein Baby, das er segnet, der Wachmann reicht das Baby zurück. Jugendliche wollen ihm ein knallblaues T-Shirt schenken. Der Personenschützer sackt es ein. Der Papst lässt es sich geben, hält es sich auf die Brust, posiert mit ihm hinein in die Kameras der Jugendlichen. Die Kirche sei bisher konservativ gewesen, erklärt eine Argentinierin, die mit 40 000 anderen Argentiniern zum Papstbesuch nach Rio gefahren ist, jetzt werde die Kirche jung und fortschrittlich.
Die Herzlichkeit, die der auf den Fotografien so kühl wirkende Mann auf diesen Filmen ausstrahlt, die Entschlossenheit, mit der er zugeht auf die Menschen, mit der er sie in den Arm nimmt, die Freude, die ihm das macht, ja wie er sich von einem der jungen Männer von Varginha in den Arm nehmen lässt, das ist tatsächlich etwas Neues. Das ist mehr Samba als Tango.
Seine Reden sind sehr einfach und klar. „Gewöhnt Euch nie an das Böse“, sagt er den Jugendlichen, „bekämpft es.“ Den Staat erinnert er daran, dass es nicht genügt, der Gewalt des Drogenhandels die Gewalt des Polizeiapparates entgegenzustellen. Die Menschen brauchen Alternativen zur Armut, zur Illegalität und zur Gewalt. Er spricht davon, dass diese Alternativen nur zu haben sind, wenn man dem Gott des Geldes abschwört.
Das hat man von seinen Vorgängern auch gehört, nur hatte keiner davon zum Beispiel die Chefs der Vatikanbank in den Ruhestand geschickt. Franziskus wird mindestens so energisch und freudig, wie er die Menschen in den Favelas geherzt und gedrückt hat, die Spitzen nicht nur der römischen Kurie in die Allerwertesten treten müssen, um die Hoffnungen auf Erneuerung der katholischen Kirche nicht zu enttäuschen, die nicht nur die junge Argentinierin in ihn setzt, sondern Millionen von Katholiken.
Franziskus hat angefangen, das Papsttum zu reformieren. Das sagt auch der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff. Hoffentlich zu Recht. Das sagen nicht nur Katholiken, die sich wünschen, dass ihre Kirche wieder einmal ankommt in der Gegenwart. Auch, was die Kritik an dieser Gegenwart angeht. Das sagen auch Menschen, die nichts mit der Kirche zu tun haben. Keiner Frau auf der Welt ist mit dem Verbot der Pille geholfen. Keinem Mann ist geholfen, dem verboten ist, einen Mann zu lieben. Niemand kann eine Institution brauchen, die nicht nur glaubt, alles besser zu wissen, sondern daraus ein Anrecht ableitet, zu allem gehört und immer ernst genommen zu werden.
Es ist schön, wenn der Papst erklärt, es gebe keine ehelichen oder unehelichen Kinder, sondern nur Kinder. Jedes habe ein Recht darauf getauft zu werden. Das macht Schluss mit einer von vielen Klerikern betriebenen Diskriminierung. Eine fast 2 000 Jahre alte Institution hat schrecklich viel Gelegenheit gehabt zu diskriminieren. Sie hat auch ausgiebig Gebrauch davon gemacht. Man muss sich nur einmal vorstellen, die Kirche selbst säße einmal im Beichtstuhl und müsste bei den Menschen um Vergebung bitten, für das, was sie angestellt hat.
Wer den Papst beobachtet, wer liest, was er sagt, der wird sich freuen darüber, dass er in eine Favela gegangen ist, er wird sich freuen, dass er der Korruption im Vatikan wohl den Garaus machen möchte. Aber wie ein Katholik glauben kann, aus der Sünde herauszukommen, ohne ein Sündenbekenntnis, das versteht der glaubenslose Beobachter nicht. Wer nicht bereit ist, denkt der Laie sich, wenigstens das Kreuz auf sich zu nehmen, das er anderen auflädt, dem ist nicht zu trauen.