Peter Handke aus Griffen oder: Der Kleinhäusler als Revolutionär - eine Zerstörung: Gerechtigkeit für Kärnten

Denken Sie etwa an Peter Handke: denken Sie an das Kärntner Unterland. Denken Sie eine Stadt: Denken Sie an Griffen. Denken Sie an eine Gegend, in der nach Kriegsende noch Tausende den Siegern ausgeliefert wurden. Eine Gegend, in der nachts die Partisanen kamen und die Einwohner bestahlen, sie bedrohten, verschleppten und ermordeten, und am Tag die Soldaten kamen und die Bestohlenen bedrohten, verschleppten und ermordeten.Erinnern Sie die Fahnenaufzüge und Kranzniederlegungen: die Orden und Schärpen über der kuhbraunen Uniform, die Medaillen, wie Einschußlöcher an die Veteranenbrust geheftet. Die Blechblashymnen der Abwehrkämpfer und Bauernsoldaten. Sentimentalitätstrinker: das Hoch! Die bellenden Stimmen der Redner und Scheinstarken vor den vor Feierlichkeit strammgezogenen Kartoffelgesichtern.Denken Sie die Ergriffenheit in die öden Begeisterungsmasken einer Landjugend im wehrfähigen Alter hinein. Erinnern Sie die Jahreszeiten im Wechsel der Sparvereinssitzungen, Hochzeiten und Begräbnisse. Denken Sie an eine Gegend, wo sich, als wäre es ein Leben, die Selbstvernichtung als sozialer Akt ganz selbstverständlich vollzieht.Hier ist die Landschaft zersiedelt. Um den alten Stadtkern wuchern Einfamilienhäuser, pastellfarben, keines älter als fünfzig Jahre. Am Stadtrand Lagerhallen, dazwischen Rohbauten, wo die Überschuldung aus den leeren Fensterhöhlen gähnt. Die Bewohner: ein Volk, das sich die Sprache verbietet, steckengeblieben in allen erdenklichen Entwicklungsstufen der Hoffnung auf sozialen Aufstieg, die von Generation auf Generation als Fortschrittsmanie weitergegeben wird.Es hat seine Kinder in die Hauptstädte geschickt, wo sie ihr Herkommen verdrängen und das langsame Absterben der Alten und Abgewirtschafteten, die in dieser Gegend in ihren Rohbauten und Einfamilienhäusern vor sich hinsiechen wie in Särgen. Kleinhäusler, die sich nach dem Krieg in totaler Überforderung und mit selbstverleugnendem Fleiß in dieses Land einzuwurzeln versuchten, Parzelle für Parzelle ein Versuch der Aneignung, der diese Landschaft zerstört und in eine Kleinhäuslergegend zersplittert hat.Und der letztlich gescheitert ist. Denn diese Landschaft, und ich kenne kaum eine schönere, hat nichts von dem gehalten, was man sich in sie hineinversprochen hat. Die Existenznot ist geblieben. Desgleichen die schöne Aussicht.Und der Landschaftshaß der Keuschler, denen, aus Unfähigkeit in dieser Landschaft zu leben, bei gleichzeitiger Unfähigkeit, sie vollkommen zu zerstören, ihre Lebensenttäuschung zur Lebensgrundlage wird. Der Tourismus ist die Fortsetzung des kleinhäuslerischen Lebenstraums mit anderen Mitteln. Der Kleinhäusler in seiner Postkartenwirklichkeit begegnet dem Gast so, wie er auch immer wollte, daß ihm begegnet würde (im besonderen von dieser Landschaft). In den Häusern, die schon fertiggebaut waren, wohnte der Gast in den besten Zimmern und aß besser, als die Gastgeber übers Jahr.Erst durch den Gast den Besatzer, den Urlauber, den Sommerfrischler wurde der Kleinhäusler zu etwas, das er nie gewesen ist: zum Einheimischen, der wenigstens in den Urlaubserinnerungen anderer untrennbar mit dieser Landschaft verbunden war. So war die Eingrabung geglückt. Und der Kleinhäusler, der in der Erfahrung der unablässigen Abweisung durch diese Landschaft seine langweilige und mühsame Existenz fristet, faltet im Sommer seine Physiognomie auf wie ein zerknülltes Blatt Papier.Der Kleinhäusler hat sein Leben lang nichts anderes getan, als sich an diesem Nicht-Ort zu befestigen. Habenichtse, die nach dem Krieg ihre Chance witterten, als alle Habenichtse waren. Die Nazis waren, als alle Nazis waren. Die aus purer Lebensangst immer nur eines wollen: einen ruhigen Ort. An dem sie ihr kleines Leben führen können, in ihren kleinen Häusern, mit ihren kleinen Kindern. In ihrer kleinen Welt. Ihre Bescheidenheit wäre sympathisch, richtete sie sich nicht gegen das Leben selbst, das kanalisiert, vermessen und begradigt werden muß, damit sie sich einrichten können. Deshalb üben sie sich in der Betrachtung. Weil das Bedrohliche ins Auge gefaßt werden muß. Und da alles bedrohlich sein kann, muß alles ins Auge gefaßt werden.Jeder Stein ein Ziegelstein, denke ich, denke ich zum Beispiel an Peter Handke. Denke ich zum Beispiel an Griffen, denke ich an die Zeit, in der er seinen Anfang nahm. Denke ich an eine Wucherung von Lebensangst, aus der dann ein Bub von Häuselbauersohn, der dieser Peter Handke vielleicht war, hochgekommen ist. Musterschüler wurde. Mit einer instinktiven Intelligenz ausgestattet, die sich gegen die feindliche Landschaft entwickelt hat und sich durch unbedingtes Wahrnehmenmüssen und optimale Vernutzung des Wahrgenommenen auszeichnet. Einer Intelligenz, die das Wahrgenommene zur Existenzsicherung vernutzt, gegen die Landschaft und für die kleine Welt.So hat sich der Bub vom Häuselbauersohn, der dieser Peter Handke vielleicht war, musterschülerhaft in die Verwahrlosung der sechziger Jahre hineingeschrieben. In den drohenden Zusammenbruch eines Systems, das alle Verwüstungen des Krieges unbeschädigt überstanden hatte und dem, im Moment der Infragestellung, als Verwahrlosung und Verschlampung im Äußerlichen Rechnung getragen wurden. Während eine ganze Generation von Wiederholungszertrümmerern die Erfahrung ihrer Eltern, die Zerstörung und den kleinhäuslerischen Wiederaufbau, im Geistigen wiederholte und als Kulturanspruch etablierte.Durch die Wiederholung wurde die Erfahrung des Kleinhäuslers zum Modell. Die Verdrängung zum Modell der Verdrängung. Der Kleinhäusler, seinem Wesen nach ein Konkursit, folgt bei der Sicherung seiner Existenz den Vorgaben der Vorstellung, die er sich von dieser Existenz macht. Sie ist sein Phantomschmerz. Die Brutalität, mit der er seine Vorstellungsziele durchsetzt, ist radikal. Der Konkursit, vom Unbehausten zum Kleinhäusler, vom Habenichts zum Besitzenden geworden, mutierte in den sechziger Jahren zum Intellektuellen. Dieser Typus trat in exakt dem Moment auf, da das System zugrundezugehen drohte, wenn die Gesellschaft sich nicht änderte, und forderte die Gesellschaftsveränderung. Und tat dies im Sinne des Systems. Und tat es erfolgreich. Wir, die wir heute die Zukunft dieser Generation leben, sehen, daß sich dieses System, das nur auf Vernutzung basiert, in einem Maße ausgebreitet hat, daß wir es nur noch als totalitär bezeichnen können. Und totalitär in einem Ausmaß, wie es noch nie dagewesen ist. Eine Entwicklung, die jene ermöglichten, die damals am lautesten geschrien haben und heute vom System profitieren.Die jetzt das Sagen haben, hocken wie Larven in den Redaktionen der Feuilletons, die Zerstörer zu Vorbildern idealisierend ewiger Wiederaufbau, ewige Pubertät! , mit irgendeiner Moderne aus den Hinterhöfen des vergangenen Jahrhunderts im Kopf. Geistige Kleinhäusler, bloße Existenzsicherung. Während aus all ihren Artikeln die unartikulierte Lebensenttäuschung spricht und sich gegen nichts anderes richtet, als das Leben selbst, wo es noch nicht vernutzt ist.Sie können das bei Peter Handke nachlesen. Diese Empfindungslosigkeit, bloßes Sentiment. Peter Handke, der Schriftsteller und Häuselbauerbub, der er vielleicht war wie er vor einem Baum steht, in einer Landschaft, und, indem er vorgibt zu beschreiben, diese Landschaft abzeichnet, Strich um Strich, Wort um Wort. Eine Literarisierungsmaschine (einer Jukebox nicht unähnlich): Oben werfen Sie Welt hinein, und unten kommt Literatur heraus. Das ist Schreiben als Vernutzung von Welt. Der Dichterautomat als spezialisierter Kleinhäusler.Denken Sie etwa an Nabokov, die Wucht seiner Bilder und die Präzision, mit der er beschreibt, dann haben Sie ein genaues Gegenstück zu dem, was Handke tut. Nabokovs Bilder sind empfunden, nicht bloß ausgezeichnet, nachgefühlt und abgegriffen. Handke, der Realitätsabzeichner, bildet die Oberfläche des Gesehenen schreibend nach und erstickt das Beschriebene. Er erstickt die Gestalt. Bemerkt nur das Vorkommen der Erscheinung. Fügt sie ein in das Sprachinventar. Die Gestalt selbst bleibt stumm, in die Erscheinung verwunschen wie ein Geist. Und unerlöst.In diesem Sinn ist Handke ein Zerstörer. Und man kann von ihm lernen, wie man Welt durch Sprache zerstört, mit Ausnahme von zwei Büchern, in denen er anscheinend zu etwas wie einem Empfinden gezwungen war, der Schmerz und die Trennung offensichtlich nicht vermieden werden konnte. Handke identifiziert das Weltvorkommen und infiziert es mit sich. So ist Handke bedeutend: als Zerstörer. Als Person, die sich zur Ausübungsform verkürzt.Und um die Bedeutung dann das Bedeutungsgetue. Die Hohlheit des Sentimentalen, des Gefühlten, das an die Stelle des Empfindens tritt. Fühlen im Sinne von "Fühler": die Umwelt ständig abtasten, angreifen, abhorchen. Und damit einhergehend das "Eins-Sein-mit-der-Natur", wo man sich mit der Notdurft seines Sentiments gleich einen ganzen Hochwald anmaßt. Oder eine Landschaft. Oder die Wahrheit, will sagen: die Gerechtigkeit. Und sich mit der Wahrheit verwechselt. Und die Wahrheit mit der Realität. Und die Realität des anderen mit sich selbst.Ich habe nie verstanden, warum die Serben sich Handke so bereitwillig als Wirtskörper überlassen haben. Vielleicht weil mir alle Erklärungen zu plausibel klangen. Das Pubertierende, für das Handke zum Zeichen wurde, stellt sich gegen die Welt; die Einbildung, daß sich die ganze Welt gegen einen stellt ist sinnvoll, wenn sie das Verlassen der Welt, wie man sie kennt, ermöglicht. Will man sie nicht verlassen, wird man zum Ziegenfisch, zum Abwehrkämpfer, wie er im Kleinhäusler zum Typus wurde. Zu einer Wucherung von Lebensangst, die Befreiung nur noch über die Zerstörung erlangen kann. Vielleicht wird man aber auch zum Zerstörer, weil es die einzige Möglichkeit ist, den Bankrott der eigenen hybriden Lebensform von sich abzuwenden. Die Vernichtung von Lebensraum beruhigt die Lebensangst. Zumindest eine Zeitlang. Und wo die Vernichtung nicht möglich ist, folgt die Verdrängung als Analog zur Vertreibung.Aber natürlich geht das in "zivilisierter Form" vor sich. Der Kleinhäusler beklatscht die Schlauheit des Kleinhäuslers. Nein, wir heften uns keine Blutorden mehr an die Brust. Die Vergewaltigung geschieht stumm, und der Täter unterhält mit dem Opfer die verständnisvollste Beziehung hat er es doch als Opfer erkannt, weiß er doch wie ein Opfer "fühlt".Aber Handke hat nichts bewahrt. Und er hat nichts artikuliert. Er wurde selbst zum Zeichen, das auf die Zerstörung verweist. Der Typus des Kriegers, der sich mit Worten die Welt unterwirft. Tiefere Schichten. Der Typus des Kleinhäuslers, des Existenzbedrohten, der, wenn er schon einmal für etwas das Wort ergreift, damit nur sich selber meinen kann.Der Zerstörer paßt sich nicht der Umwelt an, sondern versucht, in seiner Beunruhigung die Umwelt sich anzupassen, wie er sich seiner Vorstellung von sich und dem, was sein Leben hätte sein können, angepaßt hat. Der jetzige Krieg stört zum einen diese Vorstellung, macht aber zum anderen die Bedrohung faßbar. Es ist das Natürlichste, daß der Kleinhäusler sich sofort mit dem Opfer verwechselt und ihm zur Hilfe eilt, um es zu vernutzen. Der "durchschnittliche" Kleinhäusler wird sich an die Opfer halten, die er leichter in seine Abhängigkeit bringen kann, um sie für die Vorstellung von sich als guten Menschen zu vernutzen. Die Entscheidung für die andere Seite ist noch revolutionärer, im Sinne der Erhaltung des Kleinhäuslers ich erinnere an 68.Der Typus des Kleinhäuslers ist vor allem durch die Technologie bedroht, die er sich geschaffen hat. Heute, wo es nur noch wenig zu zerstören gibt, besorgt er nur noch die Verwaltung der Zerstörungsmechanismen und Vernutzungsapparaturen. Die Pionierzeiten sind vorbei, und nachdem er Tabula rasa gemacht hat, muß er die Vorstellung von sich als gutem, zivilisierten Menschen aufrechterhalten, und die Tatsache, daß er dies nur zerstörend und verregelnd tun kann, seinem Bewußtsein fernhalten.Was Handke noch mühsam zusammenbuchstabierte, besorgt ein Computer effizienter. In ein paar Jahren wird man auch auf die "kulturelle Tarnkappe" verzichten können. Das Verfahren der Vernutzung von Welt richtet sich gegen den Anwender. Anpassungstechnisch gesehen eine Sackgasse, aus der es keinen Ausweg gibt, als den über das Bewußtsein der Zerstörung, die man angerichtet hat, der Selbstansicht von sich als Zerstörer, ja, dem Bekenntnis dazu. Von diesem Bewußtsein sind wir weit entfernt. Die Bedrohung aber ist eine reale.