Peter Raue holte das New Yorker MoMA nach Berlin. Er ist Anwalt und Förderer der Kunst. Und mag es sehr, das zu sein: Der Meisterwerker
BERLIN, im Februar. Nein, dies ist keine gewöhnliche Kanzlei. Es ist eher ein Privatmuseum auf vier Etagen, in dem vierzig Anwälte arbeiten. Überall hängen und stehen zeitgenössische Werke, und kaum eines von ihnen gehört zu dem Typus von Repräsentationskunst, wie man ihn heute in jedem Versicherungsgebäude antrifft. Man spürt, hier hat jemand mit eigenwilligen Vorlieben gesammelt. Wo sonst auf der Welt gibt es ein Besprechungszimmer voller Werke von Rebecca Horn? Eine mechanisch betriebene Geige treibt ein burleskes Spiel. Gegenüber schwingen langsam kostbar schimmernde Schmetterlingsflügel, daneben ein Terrarium mit einem Gewimmel aus Schläuchen, die eine Ausgabe von Thomas Bernhards "Wittgensteins Neffe" in Bewegung bringen. Die Künstlerin hat das Werk für Peter Raue geschaffen, Bernhard ist sein Lieblingsautor.Die Juristerei und die Künste - diese beiden Worte umreißen das Wirken von Raue, den wir in seinem Büro in Hans Kollhoffs neo-expressionistischem Hochhaus besuchen. Potsdamer Platz 1, das ist eine Adresse ganz nach Raues Geschmack. Seine Räume liegen in der Spitze des Gebäudes, urbaner und exponierter geht es kaum in Berlin, urban und exponiert ist auch Raues ganzes Leben. Da er sich als Schauspielschüler für nicht gut genug hielt, wählte er den Juristenberuf, in dem er sein darstellerisches Talent ausleben konnte. Um sich nicht zu weit vom Theater, von den Künstlern und Kulturmachern zu entfernen, deren Nähe er von Jugend an suchte, spezialisierte er sich auf Urheberrecht, auf alle Anliegen in der Kunst und im Kulturbetrieb.Heute ist Raue, 63 Jahre alt, einer der Großen auf diesem Gebiet, auch international. Kaum ein spektakulärer Kunst-Fall der letzten zwanzig Jahre, der ihn nicht beschäftigt hätte. Er vertrat Botho Strauß gegen die Zeitschrift Theater heute, Heiner Müller im Streit mit den Brecht-Erben, half dem Ensemble des Schiller-Theaters, die finanziellen Folgen der Schließung zu lindern. Er war an der Neuordnung des Berliner Ensembles beteiligt und an der Umwandlung der Philharmoniker in eine Stiftung. Wenn ein Dirigent, ein Regisseur, ein Schauspieler oder ein bildender Künstler im Rechtsstreit liegt, dauert es meist nicht lange, bis Raue die Bühne betritt. Der Anwalt hat nie einen Unterschied zwischen seiner Liebe zum Beruf und der Passion für die Künste gemacht. So sind die meisten seiner Künstler-Mandanten auch seine Freunde.Raue war Partner in verschiedenen Großkanzleien, vor dreieinhalb Jahren verließ er mit einem ganzen Schwarm von Gefolgsleuten Oppenhoff & Rädler, weil ihm deren Vereinigung mit einem britischen Anwaltskonzern und die Einführung aggressiver Budgetierung nicht passten. Wer Raue kennt, den wunderte es nicht, dass er sich bald darauf triumphal neu etablierte, als Mitgründer der Berlin-Dependance von Hogan & Hartson, dem ältesten, vor hundert Jahren gegründeten, Büro in Washington. Zur Eröffnung der Räume kamen tausend Gäste, zuvor gab es einen Empfang in der Nationalgalerie.Man kann Peter Raue vorwerfen, dass er sich bei glanzvollen Ereignissen stets im Mittelpunkt des Geschehens bewegt. Aber wer sich in Berlin nur einigermaßen auskennt, der weiß auch um Raues unermüdliches Engagement für Mäzenatentum, Bürgersinn und die Förderung der Künste. In so vielen Zirkeln, offiziellen und inoffiziellen, wirkt er für das Kulturleben Berlins.Raues eigentliches Lebenswerk ist der Verein der Freunde der Nationalgalerie. Er gehörte 1977 zu den Wiedererweckern des 1929 gegründeten, von den Nazis zerstörten Vereins und leitete ihn seither ununterbrochen als Vorsitzender. Unter seiner Führung nahmen die "Freunde" eine stürmische Entwicklung. Heute hat der Verein über tausend Mitglieder, die alle mindestens sechshundert Euro Jahresbeitrag zahlen. Rund hundert Kunstwerke wurden für die Nationalgalerie angekauft, mittlerweile ein Millionenwert im dreistelligen Bereich. In alleiniger Trägerschaft organisierte der Verein vierzig Ausstellungen im Museum, darunter Publikumserfolge wie Picassos Spätwerk, Max Liebermann oder Gauguin.Und nun wird Peter Raue in die Geschichte der Stadt eingehen als der Mann, der das Museum of Modern Art (MoMA) für sieben Monate aus New York nach Berlin holte. Was viele zunächst für ein Hirngespinst hielten, ist Realität geworden. Die zweihundert Meisterwerke, fast alles Ikonen der Moderne, hängen schon in der Neuen Nationalgalerie, eröffnet wird die Ausstellung in der kommenden Woche. Vor der Tür steht seit ein paar Tagen Barnett Newmans tonnenschwerer "Broken Obelisk", der Raue zum Schwärmen bringt. "Schon vor 25 Jahren träumte ich davon, diese Skulptur vor Mies van der Rohes Bau zu stellen. Damals war noch ein Guss frei, der war für uns aber unbezahlbar." Das Projekt entstand in einem arabischen Restaurant in Schöneberg. Dort erzählte MoMA-Direktor Glenn Lowry - "ein Freund seit vielen Jahren", den Raue auch schon juristisch vertreten hat - von einer geplanten Europa-Tournee der Sammlung während des Umbaus des Museums in Manhattan. "Da wurde aus dem Stegreif unsere Idee geboren: Warum nicht auf die Tournee verzichten und die kanonische Sammlung der Moderne nur hier in Berlin zeigen, im schönsten Museum des 20. Jahrhunderts?"Unternehmungen wie diese stacheln Raue erst richtig an. "Ich bin nicht ängstlich, selbst als ich schweren Krebs hatte, blieb ich gelassen. Angst macht mir nur die Vorstellung, ich könnte im Alter verblöden." Mehrfach schon hat er mit dem Verein Dinge angepackt, die andere für abenteuerlich hielten. "Als es uns erst ganz kurz gab, mit 120 Mitgliedern, kauften wir Barnett Newmans Who is Afraid of Red, Yellow and Blue für 1,2 Millionen Dollar, was 1982 unheimlich viel Geld war. Wir hatten es nicht, schafften es am Ende aber. Ebenso die 7 Millionen Mark für Dix Skatspieler , da haben uns auch alle für wahnsinnig erklärt."Das MoMA-Gastspiel kostet den Verein rund 8,5 Millionen Euro. Zwar ist die Deutsche Bank als Hauptsponsor mit dabei, und die Bundesregierung übernahm die Bürgschaft für den Schadensfall, was enorme Versicherungskosten sparte. Doch müssen 700 000 Besucher bis September Cézanne, Picasso, Matisse, Hopper, Pollock und die Pop Art sehen wollen, Kataloge und bedruckte Halstücher kaufen. Dann erst sind die Ausgaben eingespielt. Im Verein rief das Projekt einiges Murren hervor. Auf einer Mitgliederversammlung sprach der Galerist Matthias Arndt von "einer Mischung aus Größenwahn und Provinzialismus". Andere wünschen sich mehr Engagement für die junge Kunst. Zudem wird durch den langen MoMA-Auftritt die Sammlung der Nationalgalerie, die kaum noch jemand richtig kennt, weitere Monate nicht zu sehen sein.Auf Kritik reagiert Raue durchaus empfindlich, das gibt er auch zu. Steht er seinen Gegnern aber gegenüber, dann läuft er zu Hochform auf, zieht alle Register seiner rhetorischen Brillanz, richtet die Waffen scheinbar gegen sich selbst, um dann blitzschnell in höhnischer Weise auf den Kontrahenten zu zielen und die Lacher auf seine Seite zu ziehen. Wer gegen ihn im Rededuell bestehen will, muss schnell und schlagfertig und mit einem prallen Arsenal an Argumenten gewappnet sein. Kein Wunder, dass sein Studienfreund Eberhard Diepgen ihn Mitte der neunziger Jahre als Kultursenator in seinem Kabinett haben wollte.Raue liebt und braucht die öffentliche Bühne, als Akteur wie als Zuschauer. Jeden Abend - er meint wirklich jeden - geht er nach einem langem Kanzleitag direkt ins Theater oder Konzert, in die Oper, auf eine Ausstellungseröffnung, zu einem Empfang oder einem Dinner. "In Pantoffeln vor dem Fernseher, das gibt es bei mir nicht." Im Sommer geht es zu den Festspielen nach Bayreuth und Salzburg, auch die Passionsspiele in Oberammergau lässt er nicht aus. Zugleich ärgert er sich, dass die Berliner Theater und Opernhäuser nicht zeitversetzt Ferien machen. Kultur ist das Leben dieses Mannes; auch wem Raues sprühender Manierismus nicht genehm ist, darf ihm diese echte Leidenschaft und seine profunde alteuropäische Bildung nicht absprechen.Warum aber reibt er sich in der Öffentlichkeit so dafür auf? "Sicher ist es bei mir auch die lässliche Sünde der Eitelkeit. Aber in erster Linie liegt es an dieser Stadt. In München würde ich es nicht machen, dort wäre es nicht nötig." Das sagt der Bayer, der in Pullach bei München aufgewachsen ist und bis heute davon schwärmt, wie ihm die katholisch-sinnliche Art der Bayern jedes Mal das Herz öffnet. Raue liebt an Berlin - bei ihm heißt das vor allem das alte West-Berlin, als dessen Exponent er sich bekennt - die offenen Gesellschaftsstrukturen, wo zwischen Charlottenburg und Kreuzberg Geld und Prominenz wenig, Familienhintergrund gar nichts zählen.Eine wirkliche Weltstadt mit gewachsenem, nicht von den Nazis zerstörtem Bürgersinn hätte zwanzig Figuren von Raues Schlag. Dass er eine außergewöhnliche Stellung einnimmt, weist er aber kokett von sich und erinnert an "viele andere", die sich für die Berliner Kultur engagieren: etwa das Ehepaar Braun, den Biennale-Gründer Eberhard Mayntz oder Gabriele Minz, die selbstlos das young.euro.classic-Festival auf die Beine gestellt habe.Wie der Verein der Freunde der Nationalgalerie ohne Peter Raue zurecht kommt, wird sich wohl bald erweisen. Denn wenn er das MoMA-Projekt ohne große Schulden hinter sich bringt, will Raue den Vorsitz abgeben. Nach 27 Jahren.Raue liebt und braucht die öffentliche Bühne, als Akteur wie als Zuschauer. Jeden Abend - er meint wirklich jeden - geht er nach einem langen Kanzleitag direkt ins Theater oder Konzert, in die Oper, auf eine Ausstellungseröffnung, zu einem Empfang oder einem Dinner.BERLINER ZEITUNG/MIKE FRÖHLING "Schon vor 25 Jahren träumte ich davon, diese Skulptur vor Mies van der Rohes Bau zu stellen. " Peter Raue vor Barnett Newmans "Broken Obelisk".