Physiker suchen nach der Verbindung zwischen Materie- und Kraftteilchen. Die Supersymmetrie soll dabei helfen: Vereinigung erwünscht

Sie wäre ein großer Schritt in Richtung einer Universaltheorie der Materie." Wenn Peter Zerwas von "Susy" spricht, funkeln seine Augen erwartungsfroh. Die "Supersymmetrie", so hofft der Leiter der Theorieabteilung am Hamburger Teilchenbeschleuniger Desy, soll das Wissen über die elementaren Teilchen und Kräfte mehren und uns der Antwort auf Goethes sprichwörtliche Frage näher bringen, was denn nur "die Welt im Innersten zusammenhält".Mit den bisher gefundenen Erklärungen ist die Wissenschaft nur bedingt zufrieden. Derzeit teilen Physiker die Materie in zwei unterschiedliche Klassen von Partikeln ein, die Materieteilchen (Fermionen) und die Kraftteilchen, die Bosonen (siehe Kasten). Welche Verbindung es zwischen beiden Teilchensorten gibt, ist noch weitgehend unklar. Die Theorie der Supersymmetrie, kurz Susy, soll diese Verbindung schaffen. Bei der Konferenz "Susy 2002" am Deutschen Elektronensynchrotron Desy in Hamburg, die am Sonntag zu Ende ging, diskutierten Physiker aus aller Welt über den neuesten Forschungsstand. Viele von ihnen halten es für möglich, das neue Konzept schon in wenigen Jahren durch Experimente mit einer neuen Generation von Teilchenbeschleunigern zu bestätigen. Susy ist keine gänzlich neue Theorie; sie wurde auf Grundlage des "Standardmodells" der Teilchenphysik entwickelt. "Das Standardmodell geht davon aus, dass die ,Quarks und die ,Leptonen die Bausteine sämtlicher Materie sind", erläuterte Zerwas bei der Tagung. "Die Quarks bauen Protonen und Neutronen und damit alle Atomkerne auf, zur Familie der Leptonen gehören die Elektronen."Die gewöhnliche Materie um uns herum besteht aus zwei Sorten von Quarks sowie aus den Elektronen. Darüber hinaus kennen die Physiker noch weitere Elementarteilchen wie die Neutrinos, die wie unsichtbare Geister durch den Weltraum schwirren. Zusammengehalten werden all diese Teilchen durch vier Naturkräfte. Zwei davon, die Gravitation und die elektromagnetische Kraft, werden im Alltag sichtbar, die beiden anderen nur im Mikrokosmos. "Die schwache Kraft ist die Ursache dafür, dass es radioaktiven Zerfall gibt, die starke Kraft hält die Quarks im Atomkern zusammen", erläutert Zerwas. Die Physiker stellen sich vor, dass sämtliche Kräfte durch "Kraftteilchen" übertragen werden, die wie Boten hin- und herflitzen, zum Beispiel zwischen den Quarks. Zu diesen Botenteilchen zählen das Photon und das so genannte Gluon ("Leimteilchen").Zwar hat sich das Standardmodell in zahllosen Beschleunigerexperimenten bestens bewährt. Mit der Supersymmetrie hofft man, die noch fehlende Verbindung zwischen den Materieteilchen auf der einen und den Kräfteteilchen auf der anderen Seite herzustellen. Im Grundsatz gehen die Supersymmetrie-Theoretiker dabei von der Annahme aus, dass es viel mehr Teilchen gibt als bislang beobachtet. "Zusätzlich zu jedem bekannten Teilchen sollte ein weiteres Partikel existieren, eine Art Partnerteilchen", erläutert Jan Kalinowski, Physikprofessor an der Universität Warschau. Diese unterschieden sich von normalen Partikeln durch ihren Spin, ihren Eigendrall. Außerdem seien sie viel schwerer, fügte Kalinowski hinzu. Träfe all das zu, dürften Kräfte und Teilchen auf eine gemeinsame Wurzel zurückgehen. Die Natur wäre damit ein gutes Stück symmetrischer. Genau das schätzen Physiker über alle Maßen - und sprechen deshalb von Supersymmetrie. Bewiesen ist die Existenz der Susy-Teilchen noch nicht. Trotzdem haben sich Physiker vorsorglich schon mal hübsche Namen ausgedacht. "Den supersymmetrischen Partner des Elektrons bezeichnen wir als Selektron", sagt Kalinowski. Für das Myon habe man das Smyon, für das Tau das Stau, für das Quark das Squark gefunden. Der Partner des Photons heiße Photino, der des Neutrinos Neutralino. Dieses wilde Partikel-Wirrwarr macht die Physik anscheinend komplexer und undurchsichtiger. Die Fachleute würden die Teilchenverdoppelung jedoch liebend gern in Kauf nehmen. Denn mit Susys Hilfe würden die beiden Phänomene Materie und Kräfte viel dichter zusammenrücken. "Beides wird in der Supersymmetrie in einem einheitlichen mathematischen Konzept zusammengefasst", sagt Peter Zerwas. Aber nicht nur den Teilchenforschern, auch den Kosmologen kämen die Susy-Teilchen wie gerufen. Denn sie könnten einen Großteil der gesuchten dunklen Materie ausmachen."Aus astronomischen Beobachtungen wissen wir, dass es rund zehnmal mehr Materie im Universum geben muss, als in sämtlichen Sternen und Galaxien steckt", erläutert Jan Kalinowski. Da stelle sich die Frage: Wenn es keine gewöhnliche Materie ist - was ist es dann? Für dieses Rätsel liefert Susy eine Lösung: Das Neutralino, der supersymmetrische Partner des Neutrinos, könnte hinter der dunklen Materie stecken - vorausgesetzt, es wiegt etwa so viel wie ein Silberatom und geistert in beträchtlichen Mengen durchs All. Die Physiker beschreiben die notwendige Dichte anschaulich so: Nötig wären drei Neutralinos pro Liter Weltraum. Aufspüren konnte man den schwergewichtigen Vagabunden bislang jedoch nicht. Einen Durchbruch würde Susy schließlich auch einer anderen Forscherfraktion bescheren - den Verfechtern der Stringtheorie. Während das Standardmodell von punktförmigen Teilchen, den Quarks und Elektronen, ausgeht, baut die Stringtheorie auf winzige Fädchen als elementare Materiebausteine. Diese Strings (Englisch: "Saiten") sind unvorstellbar klein. Sie messen ganze 10-33 Zentimeter. Das ist nicht größer als eine Mikrobe im Vergleich zum gesamten Universum. "Ähnlich wie die Saiten einer Geige können auch Strings schwingen", sagt Edward Witten vom Institute for Advanced Study in Princeton (US-Bundesstaat New Jersey). "Ihre jeweiligen Töne entsprechen den bekannten Elementarteilchen, etwa Elektronen, Quarks oder Neutrinos." Witten und seine Kollegen versprechen sich Großes von dieser Idee: "Es könnte sein, dass sich mit Hilfe der winzigen Saiten die beiden bedeutendsten Physiktheorien dieses Jahrhunderts zu einem einheitlichen Modell zusammenbauen lassen: Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie und die Quantentheorie." Die erste beschreibt, was die Welt im Großen bewegt, auf welche Weise sich etwa Planeten um die Sonne drehen und wie sich das Universum bis heute ausdehnt. Die zweite sagt aus, was alles in der winzigen Welt der Atome und subatomaren Teilchen vor sich geht. Für sich gesehen sind beide Theorien schlüssig, ihre Vereinigung zu einer übergeordneten Universaltheorie ist bislang jedoch gescheitert. Die Stringtheorie gilt als der aussichtsreichste Kandidat für diese allumfassende Theorie. Als unabdingbare Voraussetzung benötigt sie Susy, die Supersymmetrie. "Denn die ursprüngliche Stringtheorie behandelte nur Bosonen, also Kräfteteilchen", erläutert Witten. "Aber die Welt besteht ja offensichtlich auch aus Fermionen, also Materieteilchen." Den Ausweg brachte in den 80er-Jahren die supersymmetrische Erweiterung der Stringtheorie, einfach als Superstrings bezeichnet. Sie kennt sowohl Materie- als auch Kräfteteilchen und ist deshalb ein gutes Stück realistischer als die ursprüngliche Strings-Variante. Wittens Fazit: "Sollte Susy stimmen, wäre das ein Indiz dafür, dass auch an den Superstrings etwas dran ist." Genau das ist der Haken: Bislang ist Susy graue Theorie. Zwar sind ihre Aussagen mit den bisherigen Experimenten verträglich, was die Forscher sehr optimistisch stimmt. Ein wirklich schlagkräftiger Beweis aber steht noch aus. Doch dieser Nachweis soll nun endlich folgen. Derzeit wird am Cern in Genf der größte und teuerste Beschleuniger aller Zeiten gebaut, der "Large Hadron Collider" (LHC). Später sollen andere Riesenmaschinen wie der 33 Kilometer lange Linearbeschleuniger Tesla die Eigenschaften der Susy-Teilchen unter die Lupe nehmen. Kalinowski vermutet, dass die Susy-Theoretiker nicht mehr lange auf eine Bestätigung warten müssen: "Ich hoffe, dass der LHC 2007 oder 2008 die Entdeckung des ersten Susy-Teilchens ermöglichen wird."Susy, die Supersymmetrie // Die Lehrbücher der höheren Physik kennen zwei Teilchenklassen: Fermionen und Bosonen. Die Partikel unterscheiden sich durch ihren Spin, ihren Eigendrall. Fermionen besitzen einen halbzahligen Spin, Bosonen einen ganz- zahligen - bildlich gesprochen drehen sich Bosonen doppelt so schnell um ihre Achse wie Fermionen.In der Teilchenforschung sind die Fermionen die Materieteilchen, etwa Quarks. Bosonen hingegen fungieren als "Botenteilchen". Sie übertragen die Kräfte zwischen den Quarks. Die heutige Physik behandelt Kräfte und Teilchen weitgehend getrennt, dagegen schafft Susy den Zusammenhang.In der Theorie der Supersymmetrie sind Kräfte und Teilchen auf abstrakte Weise symmetrisch zueinander - vorausgesetzt, es existiert zu jedem bekannten Teilchen ein bislang unentdeckter, extrem schwerer "Superpartner". (fgr. ).Foto: CERN Mit unterschiedlichen Detektoren wird zurzeit der "Large Hadron Collider" (LHC) am Genfer Cern ausgerüstet. Damit wollen die Physiker den winzigen Elementarteilchen auf die Spur kommen, die nach der Kollision im Beschleuniger entstehen. Dieser ringförmige Detektor ist mit dünnen, gasgefüllten Röhren umwickelt, in deren Mitte ein Draht verläuft. Durchquert ein Teilchen eine Röhre, löst es ein messbares Signal aus.Foto: CERN Dieser mit Glasfasern bespannte Detektor am LHC soll eine wichtige Kenngröße der Elementarteilchen messen: ihre Energie.