Pisa-Studie: Bildung ohne Schule

Schwierig wird es immer dann, wenn alle dasselbe wollen. Im Prinzip jedenfalls. Und wer wollte nicht mehr Bildung, bessere Bildung für die heranwachsende Generation, die immer die besten Voraussetzungen vorfinden und mit den größtmöglichen Chancen in die Zukunft starten soll. Eltern wollen das, Lehrerverbände, Politiker und Parteien. Letztere aber offenbar nur, so lange sie sich nicht zu einer großen Koalition zusammengefunden haben.

Die Arbeitsgruppe Bildung, Wissenschaft und Forschung der künftigen Regierungskoalition jedenfalls befand, dass sie für allerlei zuständig ist, nicht aber für Bildung, jedenfalls sofern damit die Schulbildung gemeint ist. Im Koalitionsvertrag äußert man sich zur kulturellen Bildung, zur politischen Bildung, zur digitalen und beruflichen Bildung, zur Weiterbildung, zur internationalen Bildungskooperation und Bildungsforschung, nur nicht zu der Institution, die Grundlage aller Bildungsbemühungen ist, der Schule.

Warum auch? Die aktuelle Pisastudie, das vornehmste Beispiel internationaler Bildungsvergleiche, weist Deutschland einen Platz im oberen Mittelfeld der 65 Vergleichsstaaten zu. Erstmals liegen die deutschen Ergebnisse noch über dem OECD-Durchschnitt, und die Kultusministerkonferenz ist darüber so beglückt, dass sie die deutschen Schülerinnen und Schüler schon auf dem Weg in die Spitzengruppe sieht. Die Anstrengungen von Bund und Ländern haben sich ausgezahlt, finden beide.

In der Bildungsrepublik Deutschland bleibt Schulbildung Ländersache und wird deshalb im Koalitionsvertrag auch mit keinem Wort erwähnt. Die Koalitionäre haben dazu wohl eine Meinung, die SPD hat gar ein Programm, nach dem jeder Schüler einen Platz in einer Ganztagsschule finden solle. Voraussetzung dafür wäre allerdings eine Verfassungsreform gewesen, die dem Bund ein Mitspracherecht in der Bildungspolitik eröffnet. Diese Abschaffung des Kooperationsverbots, das dem Bund untersagt, sich in die bildungspolitischen Belange der Ländern einzumischen, wird im Koalitionsvertrag ebenfalls mit keinem Wort mehr erwähnt.

Die große Koalition schaffte es nicht einmal, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu kommen. Über die Notwendigkeit einer Bundesbeteiligung an der Grundfinanzierung der Hochschulen sind sich Union und SPD eigentlich einig. Beide wollen ihn. Ein Formulierungsvorschlag für die Änderung des entsprechenden Artikels 91b liegt noch aus der Amtszeit von Annette Schavan vor. Nur weil die SPD das Kooperationsverbot ganz vom Tisch haben will, sperrt sie sich weiter gegen eine Aufhebung in Teilbereichen. Auch wenn zwei das Gleiche wollen, ist es noch lange nicht dasselbe.

Nun kann man argumentieren, dass eine Aufhebung des Kooperationsverbots kein Handstreich ist, mit dem sich alle Probleme der Bildungsfinanzierung und -zuständigkeiten vom Koalitionstisch wischen lassen. Aber eben doch die wesentlichen. Vor allem wäre eine Kooperation der Koalitionäre in dieser Frage ein Signal, das über die Bildungspolitik hinaus weisen würde. Sie verfügen über die notwendige Zweidrittelmehrheit, die Selbstblockade der Politik in dieser Frage zu beenden. Bundesmittel könnten in Ganztags- und Brennpunktschulen fließen, in frühkindliche Bildung und muttersprachlichen Fremdsprachenunterricht, der Kindern aus Migrantenfamilien den Schuleinstieg erleichtert. Und diese Bundesmittel wären keine immer neu auszuhandelnden Zuschüsse, mit denen die Länderbudgets geflickt werden, sondern Geld, mit dem man planen könnte.

Ganztagsschulen entlasten Familien, die auf die Gehälter beider Elternteile angewiesen sind, und das trifft in Deutschland auf immer mehr Familien zu. Es gibt noch immer deutlich weniger Ganztagsschulplätze als von den Eltern gewünscht. Das gilt vor allem für die Grundschulen, deren Unterrichtszeiten von acht Uhr morgens bis halb zwölf Uhr vormittags in der Regel die berufstätigen Mütter vor nahezu unlösbare Herausforderungen stellt. Der Ausbau von Ganztagsschulen wäre mithin auch ein frauen- und gleichstellungspolitischer Fortschritt, ganz zu schweigen von der Chancengleichheit, die vorgeblich auch allseits gewollt wird und sich am Ende noch immer den Partikularinteressen der Besitzstandswahrer unterordnen musste.

Für Deutschland ist das erfreulichste Ergebnis der aktuellen Pisastudie, dass der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und dem Bildungserfolg der Schüler geringer geworden ist. Wie lange die Freude das bildungspolitische Klein-Klein der großen Koalition überdauern wird, ist eine andere Frage.