25 Jahre Deutsche Einheit: RAF und DDR – ein passendes Paar

Am 6. Juni 1990 gegen 15 Uhr wurde das steckbrieflich gesuchte Mitglied der Terrorgruppe Rote Armee Fraktion Susanne Albrecht von der Kriminalpolizei der DDR in Berlin-Marzahn verhaftet. Der damalige Innenminister der DDR, Peter-Michael Diestel, erklärte, so berichtete die Berliner Zeitung am 8. Juni 1990, er wolle überprüfen lassen, ob sie die falsche Identität samt DDR-Pass, die sie seit 1980 besitze, von der ehemaligen Stasi erhalten habe.

Heute wissen wir mehr. Sowohl über die Geschichte der Susanne Albrecht in der DDR als auch über die anderen RAF-Mitglieder, denen die DDR Unterschlupf gewährte. Susanne Albrecht wurde gesucht, weil man davon ausging, dass sie an der Ermordung von Jürgen Ponto, Vorstandssprecher der Dresdner Bank, einem guten Freund ihrer Familie, beteiligt gewesen war und zudem – erfolglos – versucht hatte, den Wagen des damaligen Oberbefehlshabers der Nato, Alexander Haig, in die Luft zu sprengen.

Ahnungslos: Albrechts Mann

Als das ZDF 1986 über Susanne Albrecht berichtete, erkannten das Westfernsehen goutierende Kolleginnen in der Chemielaborantin „Ingrid Jäger“ die BRD-Terroristin. Sie wurde von der Staatssicherheit von Köthen nach Berlin verlegt, zog dann für die nächsten Jahre mit ihrem Mann, einem Physiker, den sie in der DDR geheiratet hatte, nach Dubna, 100 Kilometer nördlich von Moskau. Sie war nur wenige Tage zurück in Ost-Berlin, als sie verhaftet wurde. Ihr Mann hatte kurz davor von ihrer wahren Identität erfahren.

Am 25. April 1991 legte sie ein Geständnis ab. Sie wurde zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt, von denen sie knapp sechs absaß. Seit ihrer Entlassung 1996 unterrichtet sie Migrantenkinder in Deutsch an einer Bremer Grundschule.
Wie die Familien Albrecht und Ponto mit dem Mord und der Mörderin umgehen, das haben Susanne Albrechts Schwester Julia Albrecht und Corinna Ponto, die Tochter des ermordeten Jürgen Ponto, 2011 in einem eindrucksvollen Buch beschrieben. Am 27. Mai strahlte die ARD einen Dokumentarfilm aus, in dem erstmals auch Christa Albrecht öffentlich über ihre Tochter Susanne spricht.

Die Frage nach der Stasi-Unterstützung der RAF ist inzwischen beantwortet. Man kennt Harry Dahl, geboren 1929, den damaligen Chef der DDR-Terrorabwehr. Er hatte zwischen 1980 und 1982 den Umzug von zehn BRD-Terroristen in die DDR eingefädelt. Die Stasi, so später die offizielle Sprachregelung, habe „Aussteigern“ der RAF Unterschlupf gewährt. Harry Dahl wurde darum zunächst wegen Strafvereitelung verurteilt. Eine höhere Instanz hob das Urteil später auf.

Die westdeutschen Terroristen stammten aus der Neuen Linken. Sie hatten zunächst nicht viel zu tun mit dem im Nachbarland gepflegten Realsozialismus. Je wichtiger aber die Tat wurde, desto mehr traten ideologische Vorbehalte zurück. Terroristen und DDR hatten die gleichen Feinde, und bald hatten sie – nicht zuletzt in Gestalt der gewalttätigen Palästinenserorganisationen – auch gemeinsame Freunde.

Dass freilich nicht erst die Friedensbewegung, sondern bereits der Sozialistische Deutsche Studentenbund SDS und andere linksradikale Organisationen durchsetzt waren von Stasi-Zuarbeitern, ist jetzt auch dank der Erinnerungen des Gründer der linken Zeitschrift Konkret, Klaus-Rainer Röhl, bekannt. Die ideologischen Gräben zwischen Stasi und Neuer Linker wurden immer wieder dank „realpolitischer“ Überlegungen übersprungen. Von einigen Aktivisten schon sehr früh. Das spätere RAF-Mitglied Till Meyer führte schon 1969 ein Gespräch mit dem Ministerium für Staatssicherheit. Die Verbindungen zu KPD und DKP wurden von beiden Seiten gepflegt. Mal ironisch, mal ernst.
Man darf bei diesen Überlegungen die Rolle des Internationalismus nicht vergessen. Der Ost-West-Konflikt prägte die Epoche. Die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde – das war für viele die Logik. Die Netzwerkkontakte liefen nicht nur über die Palästinenser, sondern ebenso über den Terroristen Carlos und den italienischen Verleger Giangiacomo Feltrinelli. Je internationaler die Terroristen sich verorteten, desto unwichtiger wurden ideologische Vorbehalte und ganz sicher auch das deutsche-deutsche Kleinklein.

Dass 1990 von RAF-Aussteigern gesprochen wurde, die in der DDR quasi resozialisiert worden seien, ist verständlich – aber noch lange nicht glaubwürdig. Welchen Vorteil sollte ein solches Umerziehungsprogramm für die DDR gehabt haben? Die Sache war – das zeigte sich zum Beispiel anlässlich der ZDF-Sendung, durch die Susanne Albrechts Tarnung aufflog – doch sehr riskant. So sentimental Erich Mielke vielleicht beim Anblick einer neuen Generation bewaffneter antikapitalistischer Terroristen wurde, so unwahrscheinlich ist es doch, dass die zehn, die in der DDR Unterschlupf fanden, keine Gegenleistung erbringen mussten.

Wir wissen heute, dass die Stasi im August 1983 beim Anschlag auf das Maison de France auf dem West-Berliner Kurfürstendamm – ein Toter, 28 Verletzte – beteiligt war. Nach unserem Kenntnisstand war keiner der damals in der DDR lebenden Terroristen oder Ex-Terroristen beteiligt. Aber die Aktion zeigt doch, dass die DDR Terrorismus praktizierte. Auch auf deutschem Boden. Man wird sich kaum gegen die Vermutung stellen können, dass die DDR oder wenigstens deren Sicherheitsbehörden sich die Option, die unter ihrer Kuratel stehenden Terroristen auch einzusetzen, offenhalten wollte. Es geht hier um die Arbeit eines Geheimdienstes. Da versteht es sich von selbst, dass wir mehr mutmaßen als wissen. Auch mehr als vierzig Jahre danach.

Der Terrorismus war international. Die DDR mischte kräftig mit. Der schon genannte Till Meyer zum Beispiel wurde in der Abteilung für internationalen Terrorismus geführt. Er kassierte zwischen August 1987 und Oktober 1989, als er bereits Mitarbeiter der damals linksradikalen Tageszeitung (taz) war, mehr als 35.000 Mark. In seinen umfangreichen Memoiren kommen diese Einnahmen nicht vor. Sein Stasi-Engagement habe rein idealistische Gründe gehabt, erklärte er.

Inge Viett im Ausbildungscamp

Dass die DDR sich als Therapie-Einrichtung für gescheiterte terroristische Berufsrevolutionäre verstand, halte ich – wie gesagt – für ganz unwahrscheinlich. Das Interesse der Terroristen an einem sicheren Rückzugsgebiet aber dürfte ausgeprägt gewesen sein. Ganz unabhängig davon, ob sie mit dem Terrorismus gebrochen hatten oder ihn – als Reisekader – weiter praktizieren wollten.

Im Frühjahr 1981 fand in Briesen, südöstlich von Berlin, vom AGM/S (Arbeitsgemeinschaft des Ministers/Sondergruppen) eine Ausbildung zur Durchführung von Terroranschlägen stattgefunden haben. Daran nahm Inge Viett teil. Im Jahr darauf übersiedelte sie in die DDR. Es sind Abrechnungen erhalten, denen zufolge das RAF-Mitglied Inge Viett, 1982 in der DDR untergetaucht, Geld erhielt – zusammen mit dem palästinensischen Terroristen Abu Nidal. Es wird sich wohl um gemeinsame Aktionen gehandelt haben.

Es wäre schön, die bundesrepublikanischen Akten wären wenigstens soweit zugänglich wie die arg gerupften Unterlagen der Stasi. Wir könnten uns vielleicht doch noch ein realistisches Bild machen.