30 Jahre Grüne im Bundestag: Als die Grünen noch anders waren

Im Herbst 1982 stürzte erstmals mitten in der Legislaturperiode ein Oppositionsführer den amtierenden Kanzler – Helmut Kohl löste Helmut Schmidt ab. Und im folgenden Frühjahr brachten die Grünen das auf ewig zementiert scheinende Dreiparteien-System zum Tanzen. Bei der Bundestagswahl am 6. März kamen sie auf 5,6 Prozent der Stimmen und zogen mit 28 Abgeordneten in den Bonner Plenarsaal, in dem seit mehr als 25 Jahren CDU/CSU, SPD und FDP die Macht untereinander aufgeteilt hatten.

Auf der einen Seite wurde die offizielle Politik mit der neuen schwarz-gelben Koalition wieder konservativer; auf der anderen Seite kamen im Bundestag plötzlich Abgeordnete zu Wort, die weit links von dem in der Republik jener Jahre gewohnten Meinungsspektrum argumentierten. Auch äußerlich brachen die Grünen das in Schlips, Kragen und Kostüm erstarrte Bild der Politik auf. Ihre Abgeordneten mit langen Haaren, wallenden Bärten, in Jeans, Strickpullover und Turnschuhen bildeten einen kunterbunten Klecks im grauen Einerlei der anderen.

Vieles, was 30 Jahre später die Piraten noch einmal als etwas ganz Neues in die politische Kultur einbringen wollten, war bei den Grünen selbstverständlich: Basisdemokratie, Öffentlichkeit, Transparenz, Rotation der Amts- und Mandatsträger. Und sie setzten ganz neue Themen auf die Tagesordnung des Parlaments: Die seit Jahren in Basisgruppen und mit Protestaktionen aktiven Umweltschutz-, Anti-Atom-Kraft- und Friedensbewegungen saßen nun im Zentrum der deutschen Politik. Allein der Einzug der Grünen in die erste Bundestagssitzung nach der Wahl war eine einzige Provokation. Sie brachten Blumen mit, aber auch vom sauren Regen zerfressene Tannenbäumchen.

Zwei Promis in der ersten Fraktion

So sehr die gerade einmal drei Jahre alte Partei auf Egalität und Basisdemokratie setzte, sie hatte doch schon ihre Stars. Immerhin saßen in der ersten Bundestagsfraktion mit Petra Kelly und Otto Schily zwei echte Prominente. Vor allem Petra Kelly verkörperte den neuen Politikstil, der mit den Grünen in das Parlament einzog: „Das Handeln in der ersten Person, in dem es keine Trennung zwischen dem subjektiv Empfundenen und der politischen Sprache gab“, beschrieb Ralf Fücks, einer der Vordenker der Grünen, dieses von Petra Kelly gelebte Prinzip. „Emotionalität und Rationalität, Moral und Politik gingen ineinander über. Die daraus entstehende Energie war groß genug, das bestehende Parteiensystem aufzumischen und die Grünen als dauerhafte Kraft zu etablieren.“

Am Beispiel Kelly und Schily lässt sich aber auch der weitere Weg der Grünen beschreiben. Auf der einen Seite die Aktivistin, die zigtausende Anhänger auf Kundgebungen fesseln konnte, der aber im nüchternen Bundestag der Resonanzboden fehlte, die an den Strukturen der Parlamentspolitik scheiterte. Und auf der anderen Seite der Politprofi, der im Parlament erst richtig aufblühte und sich dermaßen anpasste, dass er schließlich die Grünen verließ, zur SPD ging und als Law-and-Order-Innenminister endete.

Die Grünen aber überstanden existenzbedrohende Flügelkämpfe, flogen aus dem Bundestag und kehrten wieder, wurden zur Regierungspartei, die Kriegseinsätze beschloss und ähneln heute nur noch sehr entfernt jener Partei, die vor 30 Jahren das politische Establishment erschütterte. Heute gehören sie einfach dazu, auch äußerlich nicht mehr unterscheidbar.