Berlin-Die Grünen, heißt es heute oft, seien aus dem Zusammenschluss von Gruppen hervorgegangen, die sich im Lauf der Siebzigerjahre nach dem Zerfall der Studentenbewegung gebildet hatten. Das ist nur die halbe Wahrheit. Diese Gruppen in einer „Partei neuen Typs“, eine Formulierung Lenins, wieder zusammenzubringen hatte Rudi Dutschke schon Mitte der Siebzigerjahre versucht. Vergeblich.

Die meisten der Hunderttausenden, die 1976 seit zehn Jahren bei der Protestbewegung in der BRD dabei waren, hatten in dieser Zeit ihren Blick auf die Welt dreimal radikal geändert. Zunächst waren aus Wirtschaftswunderkindern Antikapitalisten geworden. Dann kam die Frauenbewegung und mit einem Mal stand nicht mehr das Kapital sondern das Patriarchat im Zentrum der Kritik. Dann stellte sich mit der ökologischen Bewegung die Frage nach den Möglichkeiten des Überlebens der Menschheit überhaupt.
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Viele kapierten damals, dass es mit einem bloßen Zusammenschluss der zersplitterten linken, alternativen Kräfte nicht getan sein würde. Man brauchte eine neue Marke. Viele linke Gruppen hatten alternative Listen gegründet, die – wie in West-Berlin – häufig von maoistischen Organisationen infiltriert oder gar gekapert wurden.
Nur wenige sahen, dass das nicht genügte, dass man vielmehr eine völlig neue Politik auf neuer Grundlage mit Leuten machen müsse, die nichts mit links und alternativ zu tun hatten. So kam es zur Zusammenarbeit mit rechtskonservativen bis rechten Ökologen in der 1979 für die Europawahl gegründeten „Sonstigen Politischen Vereinigung“.
Der erste ökologische Bestseller
Vorsitzende waren der ehemalige CDU-Abgeordnete Herbert Gruhl, dessen Buch „Ein Planet wird geplündert – Die Schreckensbilanz unserer Politik“ 1975 der erste ökologische Bestseller des bundesrepublikanischen Buchmarktes gewesen war, August Haußleiter, ein CSU-Abtrünniger, und Helmut Neddermeyer von der Grünen Liste Umweltschutz Niedersachsen.
Eine nicht zu unterschätzende Rolle, gerne übersehene Rolle bei der Entwicklung dieser das linke Spektrum sprengenden Konzeption spielten die Erfahrungen der osteuropäischen Opposition, in der sich linke und bürgerliche Kräfte längst zusammengetan hatten.
Die 3,2 Prozent Wählerstimmen bei der Europawahl 1979 langten zwar nicht für den Einzug ins Parlament, ökonomisch aber waren sie ein Erfolg. 4,5 Millionen DM Wahlkampfkostenerstattung waren ein gutes Argument zur Gründung einer Partei. Bei einem Bundeskongress der SPV-Die Grünen im November 1979 in Offenbach wurde beschlossen, die Sonstige Politische Vereinigung im Januar 1980 in eine Partei umzugründen.
Der Antrag auf Nicht-Zulassung einer Doppelmitgliedschaft in SPV-Die Grünen und anderen Organisationen wurde abgelehnt. Zwei Monate später (Wikipedia) hatte die SPV-Die Grünen nicht mehr nur 2800 sondern 12.000 Mitglieder.
Das steht im ersten Satz des grünen Bundesprogramms
Auf der Bundesversammlung der SPV-Die Grünen am 12. und 13. Januar in Karlsruhe wurde aus der Sonstigen Politischen Vereinigung die Partei „Die Grünen“. Der erste Satz des Bundesprogramms lautete: „Wir sind die Alternative zu den herkömmlichen Parteien. Hervorgegangen sind wir aus einem Zusammenschluß von grünen, bunten und alternativen Listen und Parteien.“ Dieser Satz zeigt, wer auf dem Gründungsparteitag der Grünen gesiegt hatte. Es war gerade nicht gelungen, sich breiter aufzustellen.
Wahrscheinlich hätten die Grünen mit Gruhl, Springmann, Haußleiter nicht überleben können. Manches muss schieflaufen, um überhaupt laufen zu können. Weiter hieß es damals: „Unsere Politik wird von langfristigen Zukunftsaspekten geleitet und orientiert sich an vier Grundsätzen: sie ist ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei.“ An allen diesen vier Punkten ist in den vergangenen vier Jahrzehnten heftig gerüttelt worden.
An allen Basissäulen der Grünen wurde gerüttelt
Die bisher einzige Bundesregierung, in der die Grünen saßen, war die erste nach 1945, die wieder einen Krieg führte, sie half auch im Rahmen der Hartz IV-Reform, bei der Senkung der bis dahin gültigen Sozialhilfe. Der Begriff Basisdemokratie scheint ganz verschwunden – nicht nur bei den Grünen. Wer den schnellen Aufstieg der AfD in den letzten Jahren beobachtet hat, der staunt nicht über den Erfolg sondern über den hartnäckigen Misserfolg der Grünen.

Er hatte weniger mit der bösen Umgebung als vielmehr mit ihnen selbst zu tun. Mit dem Plakat „Alle reden von Deutschland – Wir reden vom Wetter“ zogen die Grünen in den Bundestagswahlkampf 1990. Die Wähler quittierten das mit 3,8 Prozent. Die Grünen waren draußen. Im Westen hatten sie 4,8 Prozent. Zusammen mit Bündnis 90 wären sie wohl auf 5,1 Prozent gekommen. Das war ein nicht zu vernachlässigendes Motiv für die Zusammenlegung der Parteien.
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Grüne Unentschlossenheit wird signalisiert
Das Plakat wird gerne für die Auffassung zitiert, auch wer zu früh komme, werde vom Leben bestraft. Ein Blick auf das Plakat widerlegt das. Es scheint aus den Siebzigern zu stammen, Produkt einer Wimmelästhetik, die die Unübersichtlichkeit feierte.
Mit der kühlen, distanzierenden Ironie der beiden Kernsätze hat die Optik des Plakats nichts zu tun. Deutlicher als mit ihr konnte man nicht signalisieren: Wir sind von gestern. In einem Jahr mit den heftigsten Stürmen der Geschichte der BRD, hätte man mit der Konzentration aufs Wetter womöglich doch sechs, sieben Prozent einfahren können.
Blickt man auf den Rand des Plakats erkennt man auch noch nahezu alle damals geläufigen Embleme des links-alternativen Spektrums. Das signalisiert dann auch noch Unentschlossenheit. Im Herbst wollen die Grünen ein neues Programm vorlegen.
Im Augenblick der Abstimmung erscheint die Wahrheit
Inzwischen weiß jeder Bundesbürger, dass Parteiprogramme nichts mit dem zu tun haben, was die Partei machen wird. Sie sind noch nicht einmal für das Wahlvolk bestimmt. Sie versuchen, den verbalen Kompromiss verschiedener Strömungen in einer Partei zu fixieren. Gültig ist er nur im Augenblick seiner Abstimmung. Sofort danach beginnen die Kämpfe um die richtige Interpretation. Dafür interessiert sich das Wahlvolk immer weniger.
Ich würde gerne behaupten, es achte mehr auf das, was die Politiker tun. Das wäre schön. Zu schön, um wahr zu sein. Ihren derzeitigen Höhenflug verdanken die Grünen nicht ihren Taten, sondern ihrer Performance.
Niemand glaubt, dass sie die Welt, oder auch nur die Bundesrepublik, retten werden. Niemand, der auch nur über einen kleinen Restposten seines Verstandes verfügt, erwartet das von irgendjemandem. Heilsbringer haben in der Politik nichts verloren. Es ist eine Wohltat, dass die Grünen das eingesehen haben.