70-jähriges Jubliäum der Christlich Demokratischen Union: CDU beweist Stärke durch Veränderung
Berlin - Der Anfang war ein großer Schritt und der lag darin, über Grenzen hinweg zu denken. Die Grenze war die Religion. Es war das Jahr 1945. Der Zweite Weltkrieg war vorbei, das Land lag in Trümmern und deutsche Politik war verbunden mit Terror, Mord, Krieg, Schuld, Hysterie.
Die SPD besann sich auf ihre Tradition als Arbeiterpartei. Die Konservativen erfanden sich neu: Statt die katholische Zentrumspartei wiederzubeleben, war nun „christlich“ der neue, weiter gefasste Oberbegriff. Katholiken und Protestanten sollten zusammenarbeiten. Was heute banal klingt, war damals eine grundlegende Wende. Die Religion hat über Jahrhunderte viel getrennt in Deutschland.
Durch Veränderung stark geworden
CDU nannte sich die neue Partei, die mit Bedacht keine Partei im Namen trug sondern die „Union“, das Gemeinsame. Zwei Gründungsaufrufe – einer aus Berlin, einer aus Köln – waren vor 70 Jahren ihre Basis. Die Wendefähigkeit, das Überwinden von Grenzen, war – auf lange Sicht gesehen – eine der Grundlagen für den Erfolg. Sie ist es geblieben. Ausgerechnet die Konservativen, die das Sinnbild sind der Behäbigkeit, die mit „Keine Experimente“ in den Wahlkampf zogen und deren aktuelle Chefin die Ruhe zur Geschäftsidee gemacht hat, sind zumindest auf lange Sicht durch Veränderung stark geworden und geblieben.
Geholfen hat auch anderes: Schwäche oder Fehler der Konkurrenz, der wirtschaftliche Aufschwung nach dem Krieg, historische Zufälle und – nicht unwesentlich – auch Autoritätsgläubigkeit der CDU-Anhänger. Im Zweifel wird gemacht, was der Chef, oder mittlerweile die Chefin will – solange er oder sie Erfolg hat zumindest.
Auf Ewigkeitskanzlerschaft folgt Schwächephase
Der erste Ewigkeitskanzler der CDU, Konrad Adenauer, gönnte seinem Nachfolger Ludwig Erhard das Amt nicht und intrigierte gegen ihn. Die fortbestehende Autorität des Patriarchen entzog der CDU die Kraft. Die SPD mit Willy Brandt wirkte dagegen frisch. Der zweite Ewigkeitskanzler, Helmut Kohl, wurde abgewählt, weil der Eindruck von Machtverliebtheit und Bräsigkeit schon lange da war, und weil es eine energiegeladene Alternative gab. Es waren jeweils die Schwächephasen der CDU. Auch der Abgang von Angela Merkel, die zumindest die Anlage zur Ewigkeitskanzlerin hat, wird eine solche Schwächephase einleiten. Zu sehr hat sich die CDU darauf eingestellt, dass die Chefin schon ausreichend strahlen wird. Wenn sich SPD und Linkspartei nicht aufeinander zubewegt, wird der Niedergang nicht unbedingt mit Machtverlust einhergehen.
Die CDU, die sich dieser Tage als 70-jährig feiert, legt viel Wert darauf, die eigene Beständigkeit festzustellen. Wenn sie ihre Wurzeln beschwört – die christliche, die soziale, die konservative – klingt das oft mehr nach meditativem Gesang, denn nach Inhalten.
Festzustellen ist aber: Eine Konkurrenz von rechts war bislang nicht erfolgreich, auch die bislang mit am aussichtsreichste, die AfD, hat derzeit vor allem ein hohes Eskapadenpotenzial.
Griechenland-Krise kann gefährlich werden
Trotz der Losung „Keine Experimente“ hat die Union das größte Experiment mit vorangetrieben: den Abschied von der D-Mark, also den Euro. Die Griechenland-Krise, die den Bestand des Euro gefährdet, kann sich daher auch rasch zu einer Krise der CDU auswachsen.
Vor allem in den letzten 15 Jahren, unter der Chef-Stoikerin Merkel, war der Wandel rasant: Die CDU hat sich von der Atomkraft verabschiedet und von der Wehrpflicht – von wesentlichen inhaltlichen Überzeugungen also. Sie hat ihr Familienbild geändert, sich mit dem Mindestlohn und der Frauenquote abgefunden und Glück gehabt, die Phase des blühenden Neoliberalismus in der Opposition austesten zu können, wo sie gleichzeitig auch noch Wahlniederlage und Spendenaffäre verdaute. Keine dieser Wenden war eine glatte, widerspruchsfreie, keine Wende war eine selbstverständliche, einige sind nicht abgeschlossen. Aber sie haben der Partei Kraft gegeben, indem sie der Konkurrenz die Themen nahmen.
In ihrem 70. Lebensjahr geht die CDU nun eine andere Grenze an. Sie öffnet sich für Muslime. Zugrunde liegt dem Pragmatismus, der Versuch, neue Wählergruppen zu erschließen in Zeiten abnehmender Mitgliederzahlen. Einen soll nun der Glaube, nicht mehr die Art des Glaubens. Was nach einer Petitesse klingt, ist erneut ein großer Schritt für die Partei. Es ist auch eine Art Rückkehr an den Beginn ihrer Geschichte.