Abgas-Affäre: Kanzlerin Angela Merkel tritt als letzte Zeugin vor den Untersuchungsausschuss

Die Kanzlerin kommt einige Minuten zu früh. Angela Merkel stellt ihre Handtasche ab und nimmt sich die Zeit, einmal entlang des großen, runden Konferenztischs zu gehen. Sie begrüßt erst jedes Ausschuss-Mitglied einzeln mit Handschlag. Dann sind die Beobachter der Bundesministerien an der Reihe. Merkel nimmt ihre Tasche wieder und  setzt sich in aller Ruhe auf den ihr zugewiesenen Platz. Eine Wand von Fotografen baut sich vor ihr auf, die Kanzlerin schaut freundlich drein. Kein Zweifel: Hier will jemand demonstrieren, dass er ganz entspannt und mit sich im Reinen ist.

Merkel als letzte Zeugin vor dem Untersuchungsausschuss

Mittwochnachmittag im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Deutschen Bundestags: Der Abgas- Untersuchungsausschuss vernimmt seine letzte Zeugin. Die Kanzlerin soll erklären, wann sie von den Abgas-Manipulationen bei Volkswagen erfahren hat und was die Bundesregierung in der Vergangenheit unternahm, damit die Konzerne sich auch tatsächlich an geltende Emissions-Vorschriften halten. In der Branche ist seit dem Beginn des Skandals im September 2015 einiges ins Rutschen geraten. Der Diesel-Motor hat inzwischen einen schlechten Ruf, die Menschen sorgen sich um ihre Gesundheit. Und die Politik sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, bis heute Erfüllungsgehilfin der Autohersteller zu sein.

Merkel macht am Mittwoch das, was vor ihr auch schon andere Zeugen im Ausschuss taten: Sie gibt die Unwissende. Als ehemalige Umweltministerin sei sie zwar im Grundsatz seit vielen Jahren mit dem Thema Auto-Emissionen vertraut. Von den massenhaften Manipulationen bei VW habe sie aber auch erst im September 2015 „aus den Medien“ erfahren. Auch der Begriff Abschaltvorrichtung sei ihr bis dahin nicht geläufig gewesen. Im Übrigen habe sie sich als Kanzlerin in der Vergangenheit vor allem dann mit der Autoindustrie befasst, wenn es um Klimaschutz und die Minderung des Kohlendioxid-Ausstoßes gegangen sei. Da sei bis vor kurzem noch Konsens gewesen, dass der Dieselmotor einen wichtigen Beitrag leisten könne.

Anzeige | Zum Weiterlesen scrollen

Merkel nimmt Verkehrsminister Dobrindt in Schutz

Merkel beruft sich bei ihrer Vernehmung häufiger auf Erinnerungslücken. Sie weist auch den Vorwurf zurück, dass Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und sein Haus weiterhin alles tun, um den Skandal klein zu halten. „Ich fühlte mich immer gut informiert vom Verkehrsministerium“, sagt sie.

Dobrindt selbst hatte unlängst den Abgeordneten im Ausschuss Rede und Antwort gestanden. Das Gleiche gilt für seine Amtsvorgänger Peter Ramsauer (CSU) und Wolfgang Tiefensee (SPD). Auch der ehemalige VW-Chef Martin Winterkorn war da. Wenn man so will, reiht sich Merkels Aussage nahtlos in deren Einlassungen ein. Niemand will vor Bekanntwerden des VW-Skandals im September 2015 gewusst haben, dass Volkwagen und wohl auch andere Hersteller systematisch technische Vorrichtungen benutzten, um Abgas-Messungen zu manipulieren.

Unabhängige Fachleute halten das für hanebüchen: In der Branche ist seit Jahrzehnten bekannt, dass Konzerne mit allen Tricks arbeiten, um ihre Autos auf dem Papier umweltfreundlicher aussehen zu lassen, als sie tatsächlich sind. Auch das Umweltbundesamt und der ADAC hatten bereits vor vielen Jahren Alarm geschlagen. Es gab eine breite Medien-Berichterstattung und Brandbriefe an die Bundesregierung, was dort aber niemand ernst nahm.

Diesel-Motoren stoßen besonders große Mengen Giftstoffe aus

Volkswagen verbaute millionenfach eine Betrugssoftware, die erkennt, wann ein Fahrzeug auf dem Rollenprüfstand steht. Nur dann wird ein Abgas-Reinigungssystem zugeschaltet. Fährt das Auto hingegen im Normalbetrieb auf der Straße, stößt es Stickoxid-Mengen aus, die die gesetzlichen Grenzwerte um ein Vielfaches überschreiten. Es waren die amerikanischen Umweltbehörden, die den Skandal 2015 ans Licht brachten. Stickoxide (NOx) sind für Atemwegserkrankungen verantwortlich. Europaweit werden jedes Jahr mehrere zehntausend vorzeitige Todesfälle darauf zurückgeführt. Diesel-Motoren stoßen besonders große Mengen Stickoxid aus.

Abschalt-Einrichtungen, wie VW sie bis zuletzt verwendete, sind seit 2007 EU-weit verboten. Die Branche schien das nur bedingt zu beeindrucken. Und sie konnte sich grundsätzlich sicher sein, bei den zuständigen Ministern und Regierungschefs immer auf viel Verständnis für ihre Anliegen zu stoßen. Und zwar auch dann, wenn es darum ging, den Gang der Brüsseler Umwelt-Gesetzgebung zu beeinflussen.

Merkels selbst traf sich 2010 auch mit dem damaligen Gouverneur des US-Bundestaats Kalifornien, Arnold Schwarzenegger. Mit dabei war die Chefin der kalifornischen Umweltbehörde, Mary Nichols. Nach ihrer Darstellung soll Merkel bei der Unterredung die strengen Vorgaben für Dieselautos moniert haben, und zwar auch in Bezug auf Stickoxide. Merkel stellt das am Mittwoch gar nicht in Abrede. Sie erklärt das aber so, dass es ihr vor allem um Klimaschutz gegangen sei. „Es war nicht als Attacke auf die kalifornische Umweltgesetzgebung gemeint.“

Rolle der Bundesregierung im Abgas-Skandal durchleuchtet

Der Abgas-Untersuchungsausschuss hatte seine Arbeit im Sommer vergangenen Jahres auf Drängen der Opposition aufgenommen. Das Gremium soll nicht  nur das Verhalten der Industrie durchleuchten, sondern auch die Rolle der Bundesregierung und ihrer nachgeordneten Behörden. Im Laufe der Monate wurden Dutzende Zeugen und Sachverständige befragt, neben Politikern, Managern und Behördenchefs auch Wissenschaftler sowie Vertreter von Umweltverbänden.

Jetzt, wo die Beweisaufnahme abgeschlossen ist, geht es ans Redigieren des Abschlussberichts. Bis Juni soll er vorliegen. Es wird noch viel Streit geben: Grünen-Obmann Oliver Krischer spricht am Mittwoch vom „größten Industrieskandal der vergangenen Jahre“. Die deutschen Behörden hätten vollständig versagt und wissentlich weggeguckt. Der Unions-Obmann Ulrich Lange (CSU) meint hingegen, es finde sich „absolut kein Anhaltspunkt für das von der Opposition fast schon gebetsmühlenartig vorgehaltene Staatsversagen“.