Abgelehnte AfD-Anträge: Für viele eine Sternstunde des Parlamentarismus

Berlin - Manchmal kommen Sternstunden unerwartet. Es scheint ein ganz normaler Arbeitstag zu werden im Deutschen Bundestag. Die Grünen haben eine Aktuelle Stunde beantragt, es geht an diesem Freitagnachmittag um ein schwieriges, ein emotionales Thema, die Erinnerungskultur in Deutschland, um das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Es wird erneut eine Abrechnung mit der Alternative für Deutschland. Menschenverachtend seien viele Aussagen der AfD, sagt der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz. „Sie benutzen fast täglich Nazi-Vokabular, Sie plakatieren im Wahlkampf NPD-Parolen, Sie versuchen unsere Gesellschaft zu spalten und zu entsolidarisieren.“ Der Ton ist damit gesetzt.

Es ist eine Woche, in der im Bundestag so heftig debattiert wird wie lange nicht mehr. Am Donnerstagmorgen hat Angela Merkel eine Regierungserklärung zur Zukunft Europas gehalten, alles Routine, keine sehr packende Rede. Und doch ist es Merkels erste Regierungserklärung in dieser Legislaturperiode, sie ist nur noch geschäftsführende Kanzlerin. Deshalb darf ihr auch zum ersten Mal Alice Weidel antworten, die Fraktionschefin der Alternative für Deutschland. Seit die Rechtspopulisten im Herbst ins Parlament eingezogen ist, finden hier Premieren statt, die sich viele, die schon länger dabei sind, nie hätten vorstellen können.

Als „Altparteien“ schmäht die AfD die etablierten Parteien gern. In anderen europäischen Ländern haben die schon längst leidvoll erfahren müssen, was es für die politische Kultur bedeutet, wenn Rechtspopulisten ins Parlament einziehen. Im Berliner Reichstag herrscht zunächst Ratlosigkeit, wie umzugehen ist mit den Neuen. Sie ignorieren? Sie ausgrenzen? Sie stellen?

Abgeordnete laufen zu Hochform auf

Die „Altparteien“ haben bisher laviert, als es etwa um die Besetzung von wichtigen Posten in den Ausschüssen ging. Und sie haben oft hilflos auf die Provokationen der Neuen reagiert. Es ist mit ihnen ein höhnischer, ein diffamierender Ton eingezogen in den Bundestag, auf den es keine richtige Antwort zu geben scheint. Bis zu dieser 14. Sitzung des 19. Bundestags.

Schon am Nachmittag laufen mehrere Abgeordnete zu Hochform auf, nachdem die AfD einen Antrag gestellt hat, um Vollverschleierung zu verbieten. Es ist schon Abend, als ein weiterer Antrag der AfD aufgerufen wird. Geht es nach ihr, soll der Bundestag die Bundesregierung auffordern, Artikel des kürzlich freigekommenen deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel zu missbilligen, die dieser vor Jahren in der taz geschrieben hat.

Wortführer ist Gottfried Curio, ein Physiker aus dem bürgerlichen Bezirk Berlin-Zehlendorf, er gehört zum ganz rechten Flügel der AfD. Erst vor wenigen Tagen sprach er ebenfalls im Plenum vom „zur Regel entarteten Doppelpass“ und diffamierte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoguz als „Musterbeispiel misslungener Integration“. Schon da kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble aber sah keinen Grund einzugreifen. Das hat vor allem bei Grünen und Linken zu Unmut geführt. „Ich frage mich, wie lange da noch zugeschaut wird“, sagt eine Linken-Politikern.

Nun ergreift wieder Curio das Wort, er hetzt maliziös gegen Yücel und die „politische Vorzugsbehandlung“, die die Bundesregierung diesem angeblichen Deutschlandfeind und „Hassprediger“ habe angedeihen lassen. Man könnte den Antrag als grotesk abtun, aber das wäre vielleicht zu einfach. Den Ton hat Alice Weidel vorgegeben, die Yücel nach seiner Freilassung auf Facebook beschimpfte, weder „Journalist noch Deutscher“ zu sein.

Angriff auf das Grundgesetz

Die 14. Sitzung des 19. Deutschen Bundestags wird, so empfinden es viele, eine Sternstunde des Parlamentarismus. Es scheint, als habe der immer schärfere Rechtskurs der AfD den Bundestag nun wachgerüttelt. Redner aus allen Fraktionen haben nur Schärfe und Spott für den Antrag übrig, sie machen aber auch klar, worum es hier geht: um einen Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit, auf das Grundgesetz also.

„Die deutsche Staatsbürgerschaft ist keine Frage des guten Geschmacks“, ruft der CDU-Abgeordnete Alexander Throm der AfD zu und wirft ihr vor, erbärmlich zu sein. Das Wort fällt noch oft in dieser Debatte. Und mindestens ebenso oft wird der AfD vorgeworfen, ein Bruder im Geiste des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu sein.

Der Star des Abends ist einer, der der AfD kaum weniger verhasst ist als Deniz Yücel und Aydan Özoguz. Cem Özdemir, bis vor kurzem Parteichef der Grünen, holt zu einer Generalabrechnung aus. Er wird hochemotional, polemisch, aggressiv. „In unserem Land, in der Bundesrepublik Deutschland gibt es keine Gleichschaltung, von der Sie nachts träumen, bei uns gibt es Pressefreiheit.“ Die Aschermittwochsveranstaltung der AfD, bei der seine Abschiebung gefordert wurde, erinnere ihn eher eine Sportpalastrede, sagt Özdemir, der Zeigefinger geht hoch, als er fragt: „Wie kann jemand, der Deutschland, der unsere gemeinsame Heimat so verachtet, wie Sie es tun, darüber bestimmen, wer Deutscher ist?“

Özdemir wird gefeiert für diese Rede, von den Bänken der AfD kommen sehr laute, sehr abfällige Zwischenrufe. Özdemir lässt sich nicht beirren. „Wenn Sie ehrlich wären, dann würden Sie zugeben, dass Sie dieses Land verachten. Dieses Hohe Haus verachten Sie genauso, wie Sie die Werte der Aufklärung verachten.“ Eine Pointe hebt sich der grüne Politiker für den Schluss auf. „Ihr tobender Mob wollte mich am Aschermittwoch abschieben. Das geht leichter, als Sie sich das vorstellen“, sagt er sarkastisch. Er fahre bald wieder nach Bad Urach. Özdemirs Eltern kamen aus der Türkei, er wurde in dem Ort am Fuße der Schwäbischen Alb geboren. „Da ist meine schwäbische Heimat, und die lass ich mir von Ihnen nicht kaputt machen“, ruft Cem Özdemir. Vorher hat er noch einen sehr pathetischen Satz gesagt. „Dieses Deutschland ist stärker, als es Ihr Hass jemals sein wird.“ Er hat damit vielen aus dem Herzen gesprochen. Der Antrag der AfD wird am Ende mit großer Mehrheit abgelehnt, nur 77 Parlamentarier stimmen mit Ja, einer enthält sich. Zur Fraktion der AfD gehören 92 Abgeordnete.