Nach der Berlin-Wahl: Jetzt kann Kai Wegner kalt Rache üben

Zweieinhalb Wochen nach der Wiederholungswahl ist CDU-Mann Wegner fast am Ziel. Er darf jetzt nur nicht überdrehen. Doch die Wahrscheinlichkeit ist gering.

Kai Wegner
Kai WegnerBenjamin Pritzkuleit

Es hat einige Zeit gedauert, jetzt ist es so weit: Der so oft unterschätzte CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner, der überlegene Gewinner der Wiederholungswahl, ist seinem Ziel, Regierender Bürgermeister von Berlin zu werden, nahe gerückt. Sehr nahe. Seine Situation war sehr komfortabel. Er konnte sich sogar – fast – aussuchen, mit wem er den neuen Senat bilden will: mit der SPD oder den Grünen. Jetzt hat er sich offenbar für die Sozialdemokraten entschieden.

Der letzte entscheidende Anstoß kam am Dienstagnachmittag – ausgerechnet von der SPD: Franziska Giffey verzichtet auf eigene Chefinnen-Ansprüche in einer Verlängerung der rot-grün-roten Koalition und bietet sich stattdessen der CDU als Juniorpartnerin an.

Das war aber kein Angebot der Stärke. Die SPD-Spitze kann wollen, was sie will; Franziska Giffey kann Angebote machen, wie sie will. Tatsächlich ist es keineswegs ausgemacht, dass es jetzt zu Schwarz-Rot kommt, nur weil sie dafür ist. Oder Kai Wegner. Beide können ja nicht sicher wissen, ob ihre eigene Parteien mitmachen.

Allerdings dürfte das Risiko bei dem eher linken Berliner Landesverband der SPD größer sein, da gibt es wenige Fans von einem Bündnis mit der CDU. Doch das mag nur eines der Probleme Franziska Giffeys sein. Tatsächlich hat sich die Regierungschefin mit ihrem angekündigten Amtsverzicht, von dem es kein Zurück mehr geben kann, in die Hände anderer begeben.

Jetzt kann der unterschätzte Kai Wegner Rache üben an der Häme aus der Berliner SPD

Jetzt ist in erster Linie Kai Wegner am Zug. Und auch er wird wissen: Rache wird kalt genossen. Der 50-Jährige wird es nie öffentlich zugeben, doch es wird ihm ein inneres Vergnügen sein, Revanche zu üben. Revanche für forsche, ja überhebliche Sprüche vor allem aus der SPD. Noch im Januar, wenige Wochen vor der für sie später so desaströs verlaufenen Wiederholungswahl, zeichneten Berlins führende Sozialdemokraten das Bild des „einsamen Kai“.

Damals war ein Sieg der CDU schon recht sicher. Doch niemand bei der SPD und deren bisherigen Partnern von Links und Grün hätte sich in den ärgsten Albträumen ausmalen können, wie hoch dieser Sieg ausfallen würde. Wegner könne die Wahl gewinnen, hieß es reichlich gönnerhaft, doch eine Regierung würde er nie bilden können. Er bliebe ein König ohne Land. Der „einsame Kai“.

Kai Wegners Wahlergebnis war ein klassisches „in your face“ für die SPD

Was für ein Irrtum. Wegner holte 28,2 Prozent. In der Online- oder auch Sportlersprache heißt das: „in your face“, zu übersetzen mit „Nimm das!“ oder einfach: „Da hast du’s.“ Das werden keine gemütlichen Verhandlungen. Und Wegner hat ja dann immer noch die zweite, die grüne Option.

Nun ist Kai Wegner bekennender Hertha-Fan, eine Leidenschaft, die er übrigens mit einem der mächtigsten Grünen-Politiker Berlins teilt: Werner Graf, Vorsitzender der Abgeordnetenhausfraktion und selbstverständlich Mitglied des Grünen-Sondierungsteams. Das vielleicht nur am Rande.

Ehrlicherweise weiß man von Kai Wegner aber nicht genau, wie viel Aggressivität er im Sport aufbringt. Bisher ist dagegen festzustellen, dass er im politischen Geschäft überaus kontrolliert agiert. Er ist mit allen politischen Wassern gewaschen und wird es mit der Rache – sei sie kalt oder heiß – kaum übertreiben.

Im Berliner Wahlkampf wurde die SPD zwischen Grünen und CDU aufgerieben

Im Wahlkampf legten sich Wegner und seine CDU massiv mit den Grünen und deren extrem polarisierender Verkehrspolitik an. Die Grünen keilten zurück und warfen der CDU in der Silvesterdebatte Rassismus vor. Beste Feinde also? Am Ende zahlte die knallharte Auseinandersetzung ironischerweise bei den beiden vermeintlich so zerstrittenen Parteien ein. Die SPD hingegen wurde mangels eigener zündender Ideen – 29-Euro-Ticket! Euer Ernst? – zwischen den Mühlsteinen zerrieben.

Kaum war der Wahlkampf vorüber, kaum war die Koalition angeschlagen, schaltete Wegner um. Er wolle die Lager zusammenführen, Grenzen überwinden, sagte er. Damit meinte er nicht etwa alte Zuschreibungen wie rechts und links. Nein, Wegner meinte mit Blick auf das Wahlergebnis den Gegensatz zwischen (grüner) Innenstadt und (schwarzen) Außenbezirken. Den Streit zwischen Auto- und Radfahrern, zwischen Immobilienunternehmen und Enteignungsfantasten, zwischen denjenigen mit Wohnung und denen, die keine finden.

Die potenziellen Partner Kai Wegner und Bettina Jarasch verstehen sich beide als Brückenbauer

Kai Wegner spricht vom Brückenbauen. Praktischerweise hat er es bei Bettina Jarasch mit einer potenziellen Partnerin zu tun, die sich selbst als Brückenbauerin versteht. Die Grünen sind im Moment zum Zuschauen verdammt, davon abhängig, ob sich CDU und SPD finden. Vielleicht setzten sie ja auf die Hoffnung, das ein Bündnis mit ihnen auch für die Christdemokraten die Chance böte, eine politische Mehrheit jenseits der ewig regierenden SPD zu bilden.