Klempner in spe: Kai Wegner und Franziska Giffey wollen die Stadt reparieren
Die Sondierungen nach der Wiederholungswahl sind vorbei. Sicher ist: Berlin braucht dringend einen Reparaturdienst. Schwarz-Rot kann sich jetzt beweisen.

Jeder hat eine Chance verdient, die meisten sogar eine zweite. Das gilt für Kai Wegner und, ja auch, für Franziska Giffey. Nach der Einigung der Spitzen von CDU und SPD, Koalitionsverhandlungen aufzunehmen, wird das Duo wohl die politischen Geschicke Berlins in den nächsten Jahren bestimmen. Die Herausforderungen, vor denen beide stehen, sind gewaltig.
Die Themen sind die bekannten der vergangenen Jahre: Die Berlinerinnen und Berliner wollen und brauchen eine besser funktionierende Verwaltung. Sie müssen schneller Termine in Bürgerämtern bekommen. Das heißt aber auch, dass die Kompetenzen zwischen Hauptverwaltung und Bezirken klar geregelt sein müssen. Die Stadt braucht mehr und bezahlbare Wohnungen, mehr und bessere Anreize, öfter auf das Auto zu verzichten. Und sie braucht insgesamt mehr Sicherheit und Sauberkeit. Ach, die Liste ist fast unendlich lang. Und die Zeit mit dreieinhalb Jahren bis zur nächsten turnusmäßigen Wahl verdammt kurz.
Beim Umbau der Berliner Verwaltung muss die Opposition mitmachen – und das wird mühsam
Vor dem Hintergrund ist das, was aus den schwarz-roten Verhandlungen nach außen gedrungen ist, sicher nicht überambitioniert. Unter dem Stichwort „funktionierende Stadt“ hat man sich darauf geeinigt, dass die dringend benötigte Verwaltungsreform und alle weiteren Verfahren noch im Laufe der Wahlperiode abgeschlossen werden. Also bis 2026. Klingt gut, doch für eine solche Reform muss die Verfassung geändert werden – und dafür braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Das bedeutet, dass die Opposition mitmachen muss. Das wird mühsam.
Bei den Neubauzielen bleiben SPD und CDU unter denen aus ihren Wahlprogrammen. Die SPD wollte – 2021 beginnend – in zehn Jahren bis 2030 insgesamt 200.000 neue Wohnungen realisieren. Das ist quasi dasselbe wie die CDU mit ihren „mindestens 300.000 neuen Wohnungen bis 2035“. Jetzt ist von „durchschnittlich bis zu 20.000 neuen Wohnungen pro Jahr“ die Rede.
Die Wahrheit in Berlin: Mehr Neubau geht im Moment schlicht nicht
Das „bis zu“ lässt eine Menge Interpretationsspielraum. Natürlich ist Papier geduldig, dennoch wittern manche darin schon einen Wählerbetrug. Tatsächlich aber ist die wachsweiche Formulierung eher die Kapitulation vor der Wirklichkeit. Und in Zeiten von Klimakrise, Fachkräftemangel, Inflation, Unsicherheiten in der Energieversorgung und dem Widerwillen der bereits in der Stadt Wohnenden, auch nur einen Quadratmeter Licht und Luft preiszugeben, ist das vernünftig. Mehr Neubau geht im Moment schlicht nicht.
Naturgemäß kompliziert ist der Umgang mit dem erfolgreichen Enteignungs-Volksentscheid, den die SPD bekanntlich knapp mehrheitlich befürwortet, die CDU hingegen rundweg ablehnt. Mit einem künftigen „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ wollen die Koalitionären in spe vor allem Zeit gewinnen.
Enteignung in Berlin: CDU und SPD formulieren eine Scheinlösung und zocken auf die Zukunft
Das ist eine Sankt-Nimmerleins-Tag-Scheinlösung, wird dem Auftrag von mehr als 1,2 Millionen Stimmen für die Enteignung großer Immobilienkonzerne nicht gerecht. Interessant ist aber, dass auch die CDU dem weiteren Ankauf von Wohnungsbeständen für die kommunale Hand zustimmt. Über diesen Weg, der bereits im Müller-Senat massiv gewählt wurde, würden Zigtausende Wohnungen aus der Preisspirale privater Vermieter herausgelöst. Das würde automatisch die Durchschnittsmieten senken und damit den Mietspiegel entschärfen. Mal sehen, vielleicht spricht tatsächlich in einigen Jahren nur noch eine Minderheit von Enteignung.
In der Sicherheits- und auch in der Verkehrspolitik lagen Schwarz und Rot vorher schon recht nah beieinander. Wenn sie jetzt sagen, es werde ein „Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Bedürfnissen der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer gesucht“, dann kann das alles oder nichts bedeuten.
#SchwarzRot hat eine Mehrheit im Parlament. Das Problem: Sie besteht aus der Generation 45+, hat keine Vision für die Stadt und bedeutet einen Rückschritt in allen relevanten Zukunftsfragen. Letztendlich scheiterte rot-grün-rot an einer SPD-Spitze ohne Fähigkeit zur Selbstkritik.
— Vasili Franco (@VasiFranco) March 2, 2023
Dass Giffeys Ex-Partnerin und Wegners Fast-Partnerin Bettina Jarasch von den Grünen jetzt schon von einer „Rückschrittskoalition“ spricht, muss und wird die beiden jedenfalls nicht scheren. War es doch gerade der – vermeintliche – Fortschritt in Jaraschs Verkehrspolitik wie die Entwidmung von 500 Metern Friedrichstraße, die zu großem Streit in der Stadt geführt hat.
CDU und SPD haben sich vorgenommen, das Gegeneinander zwischen Innenstadt und Außenbezirken zu beenden, die aufgeheizte Atmosphäre insgesamt zu befrieden. Wenn ihnen das halbwegs gelingen sollte, hätten sie die unverhoffte Chance einer Wiederholungswahl genutzt. Zu viel mehr wird es kaum reichen.