Abtreibung: Werbung ist nicht erlaubt - Paragraph 219a soll reformiert werden
Berlin - Wenn eine schwangere Frau ihr Kind nicht will, wird sie dafür ganz persönliche Gründe haben. Eine Abtreibung darf sie in Deutschland trotzdem nicht einfach durchführen lassen.
Die Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper stößt hier an politische, ethische, religiöse, moralische, historische und medizinische Grenzen. Einem Schwangerschaftsabbruch sind im Strafgesetzbuch strenge Regeln gesetzt: Eigentlich ist die Abtreibung rechtswidrig (außer bei medizinischer oder kriminologischer Indikation zum Beispiel durch eine Vergewaltigung), aber es gibt Ausnahmen: Die Schwangere muss sich beraten lassen, zwölf Wochen nach der Befruchtung bleibt die Abtreibung dann straffrei. Ein Tabu bleibt sie.
Wie emotional aufgeladen die Debatte rund um Abtreibungen auch fast 50 Jahre nach dem Abtreibungstitel im Stern-Magazin („Wir haben abgetrieben!“) ist, zeigte nicht nur zuletzt die Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel. Sie hatte Informationen über Schwangerschaftsabbrüche auf ihrer Homepage und per Mail bereitgestellt. Werbung – entschied das Gericht. Im November 2017 wurde Hänel zu einer Geldstrafe verurteilt - der Paragraf 219a im Strafgesetzbuch verbietet Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch. Wochenlang wurde berichtet, kommentiert. Frauenverbände, Initiativen, Politiker forderten die Abschaffung des Paragrafen.
Eine parteiübergreifende Initiative will den Paragraph verändern
Seitdem die Politik mit der neuen Regierungsbildung beschäftig ist, schien es still um diese Forderungen geworden zu sein. Doch im Hintergrund arbeitete man: Eine parteiübergreifende Initiative trifft sich seit November, um über eine Abschaffung des Werbungsparagrafen zu diskutieren. „Der Dialog in der interfraktionellen Runde war erneut konstruktiv“, erklärte Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin der Grünen, nach dem letzten Treffen. Es gebe Konsens darüber, dass Änderungsbedarf zum Paragrafen 219a bestünde.
„Der Paragraf muss aufgehoben oder zumindest geändert werden, da er irreführend ist. Wir wollen gesetzliche Klarheit schaffen. Denn das Gesetz ermöglicht unter bestimmten Bedingungen straffreie Schwangerschaftsabbrüche und darum müssen Ärztinnen und Ärzte auch darauf hinweisen können, dass sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten ohne sich strafbar zu machen“, sagte Schauws dieser Zeitung. Es ginge dabei um das Informationsrecht und die Rechtsicherheit für Ärztinnen und Ärzte“, sagte sie, „und nicht um Werbung“.
Daher arbeite man gemeinsam mit SPD, FDP und Linken zu einer Lösung im Sinne der Selbstbestimmung der Frauen zu kommen, sagte die Grünen-Politikerin. Man habe sich darauf verständigt, „die jeweiligen Gesetzesentwürfe“ einzubringen.
Unionspolitiker wollen an Paragraph 219a festhalten
Die Union kämpft für den Erhalt des Paragrafens. Am Donnerstag antworteten die Unionspolitiker Elisabeth Winkelmeier-Becker und Marcus Weinberg auf einen offenen Brief der Gießener Ärztin Hänel, den sie zu Beginn des Jahres an die beiden Politiker adressiert hatte. Dort hatte Hänel sich erneut verteidigt und betont, sie „habe sachlich und seriös informiert“. Winkelmeier-Becker und Weinberg halten weiterhin an dem Paragrafen 219a fest. Das Selbstbestimmungsrecht der Mutter sehen sie gewahrt, da ein Abbruch nach der dreitägigen Frist nach einer Beratung akzeptiert werde und dadurch schlechtere Alternativen vermieden würden.
Für Schauws ist diese Haltung unverständlich. „Ich empfinde es als einen zutiefst frauenfeindlichen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht, dass ein Schwangerschaftsabbruch immer noch rechtswidrig ist – wenn auch unter bestimmten Bedingungen straffrei“, kritisierte sie. Schwangere Frauen seien mündige Bürgerinnen, man könne keine Frau dazu zwingen, eine ungewollte Schwangerschaft austragen zu müssen. „Restriktive Regelungen haben zu keiner Zeit geholfen, werdendes Leben vor einem Abbruch der Schwangerschaft zu schützen“, so die Grünen-Politikerin.
„Heute ist eine Abtreibung ein noch viel größeres Tabu als in den 70er Jahren“
Laut dem Statistischen Bundesamt haben 2016 knapp 99.000 Frauen ein Kind abgetrieben. In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres waren es knapp 77.000. Davon wurden 96 Prozent nach der Beratungsregelung vorgenommen.
Auf der Beratungsstellen-Datenbank finden sich rund 1600 staatlich anerkannte Adressen, die einen Beratungsschein ausstellen, damit man straffrei eine Abtreibung innerhalb der vorgeschriebenen Frist vornehmen kann. Die Beratungsstelle Pro Familia hat im Jahr 2016 rund 55.000 solcher Gespräche geführt.
„Heute ist eine Abtreibung ein noch viel größeres Tabu als in den 70er Jahren. Die Stigmatisierung ist groß, betroffene Frauen reden kaum darüber“, erzählt Heike Pinne. Sie ist seit 18 Jahren Schwangerschaftsberaterin bei Pro Familia in Darmstadt. Der Trend ginge wieder mehr zur traditionellen Familie, die Trennung zwischen Reproduktion und Sexualität sei eine Errungenschaft der 70er Jahre und sei damals stärker öffentlich vertreten worden als heute. „Da muss man nur beispielsweise auf die Rollenbilder der AfD schauen“, sagt Pinne.
Die meisten Frauen entscheiden schon vor einem Beratungsgespräch
Die Infogespräche hält die Schwangerschaftskonfliktberaterin für einen guten Weg Frauen umfassend zu informieren. „Ich bin nicht sicher, ob ein Arzt immer die Ressourcen hat, diese Art des Gesprächs zu führen“, sagt sie. Dabei hätten sich die allermeisten Frauen ohnehin schon vorher entschieden, dass sie die Schwangerschaft nicht austragen möchten. „Wir beeinflussen niemanden“, sagt Pinne. Das sei häufig eine Befürchtung der Frauen. Den Schein bekämen die Frauen so oder so.
Einen neuen Schritt zur Enttabuisierung machte am Mittwoch ausgerechnet die Deutsche Bischofskonferenz: Nach 20 Jahren Streit in der katholischen Kirche über die Schwangerenkonfliktberatung „Donum Vitae“ haben deutsche Bischöfe erstmal die Arbeit des Vereins, der 1999 von Katholiken gegründet worden war, gewürdigt.