Acta abgelehnt Kommentar: Von wegen hysterischer Netz-Mob
Das umstrittene Anti-Piraterie-Abkommen ACTA wird in der Europäischen Union nicht in Kraft treten. Das Europaparlament in Straßburg lehnte den Handelsvertrag am Mittwoch ab. Die Konservativen im EU-Parlament versuchen die Ablehnung als abschreckendes Beispiel dafür umzudeuten, was ein hysterischer Internet-Mob mit einem komplexen Handelsabkommen anrichten kann. Von gezielter Desinformation spricht die EU-Kommission. Überwachung von Internetnutzern, Wegnahme des Internets bei Urheberrechtsverletzungen und Rechtsdurchsetzung durch Konzerne – das alles habe doch gar nicht explizit im Vertragstext gestanden. Das stimmt: Die Formulierungen waren wachsweich, wie selbst Befürworter einräumen. Die Auslegung des Abkommens ist unter Juristen hoch umstritten; Rechtsicherheit: Fehlanzeige. Und frühe Leaks zeigen, dass genau solche restriktive Maßnahmen mit dem Abkommen bezweckt wurden. Dabei käme im analogen Leben auch niemand auf die Idee, die Post zu verpflichten, alle Briefe und Pakete auf Rechteverletzungen hin zu durchleuchten - oder Personen den Zugang zu Zeitungen und Büchern zu verbieten, weil sie ein Fachbuch kopiert haben. Dass sich Organisationen von Amnesty International bis zum Verband der Internetwirtschaft gegen Acta stellten, spricht für sich.
Auch das Argument der Bundesregierung, dass Acta in Deutschland sowieso nichts geändert hätte, zieht nicht: Denn es wäre katastrophal gewesen, dass bestehende Urheberrecht mit einem internationalen Vertrag zu zementieren. Acta hätte eine Anpassung des Urheberrechts an das digitale Zeitalter unmöglich gemacht. Reformgegner hätten mit dem Hinweis auf das internationale Abkommen eine ernsthafte Diskussion im Keim ersticken können. Dabei ist eine solche Reform dringend notwendig. Denn wenn Schüler horrende Abmahnungen von Anwälten bekommen, weil sie soziale Netzwerke nutzen, digital Musik tauschen oder ein Bild in ihrem Blog einstellen, wird die Lücke zwischen Recht und dem, was als gerecht empfunden wird, immer weiter aufklaffen.
Aber nicht nur deshalb ist es wichtig, dass das EU-Parlament Acta abgelehnt hat. Der Vorgang zeigt auch: Im Bereich des Internets ist es ebenso wenig wie bei der Atomkraft noch möglich, hinter verschlossenen Türen die Interessen einiger weniger Konzerne still und heimlich durchzusetzen. Wer das weiter versucht, wird schnell sein eigenes Acta-Debakel erleben.