AfD-Vize im Porträt: Alexander Gauland – Der scheinbar seriöse Herr im grünen Tweed

Potsdam - Der Mann ist müde. Alexander Gauland hat sich tief in seinem Stuhl zurückfallen lassen, das Kinn liegt auf der Brust. Die Lesebrille sitzt so tief auf der Nase, dass der Bügel kaum noch hinter dem Ohr klemmt. Der AfD-Politiker richtet sich nicht auf, er sucht keinen Blickkontakt – es sind die Tage des zermürbenden innerparteilichen Streit nach der Spaltung der AfD-Fraktion in Stuttgart.

Es ist, als spräche er nur zu sich selbst, als er sagt: „Wer sich entscheidet, eine neue Partei aufzubauen, muss dann auch die Krisen durchstehen.“ Auch wenn die vielleicht noch etwas heftiger seien, als er sich das vorgestellt hätte. Und der 75-Jährige ergänzt: „Ich kann jetzt natürlich nicht sagen: Ich bin nicht mehr der Jüngste, ich arbeite nur einen Fünf-Stunden-Tag.“

Er kennt die Fein- und Grobheiten des politischen Geschäfts

Hinter Gaulands Landtagsschreibtisch im Potsdamer Stadtschloss hängt ein Porträt des britischen Lord Melbourne. Dieser Mann half als Premierminister Königin Viktoria, sich ins politische Geschäft einzuarbeiten, als diese im Jahr 1838 mit gerade mal 18 Jahren in stürmischen Zeiten den Thron bestieg. Gauland selbst sieht mit seinem grünlichen Tweed-Sakko, der geriffelten braunen Hose und der Krawatte mit aufgedruckten Jagdhunden ein wenig so aus, als sei er aus der alten britischen Landarzt-Serie „Der Doktor und das liebe Vieh“ ausgebrochen.

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Der stellvertretende Parteivorsitzende betont zwar stets, alle in der Alternative für Deutschland müssten noch an Erfahrung gewinnen – auch er. Aber mit seinen 40 Jahren CDU-Mitgliedschaft, mit seiner früheren Tätigkeit im Frankfurter Magistrat, in der hessischen Staatskanzlei und auch im Bundesumweltministerium kennt er die Fein- und die Grobheiten des politischen Geschäfts genau.

Dass er in der Lage ist, letztere bis ins Unermessliche zu treiben, wird er nach dem Amoklauf von München und mehreren Attentaten mit dem Satz beweisen: „Vor dem Hintergrund der vielen schrecklichen Terroranschläge muss jetzt das Asylrecht für Muslime umgehend ausgesetzt werden.“ Die Verfassung? Die Grundsätze der Menschlichkeit? Offenbar egal. Hauptsache, Aufmerksamkeit! Hauptsache, es lässt sich politisches Kapital aus der Sache schlagen.

Der heimliche Vorsitzende

Alexander Gauland ist der heimliche Vorsitzende der AfD. In den vergangenen Wochen galt: Wer sich mit ihm verabredet, muss damit rechnen, eine halbe Stunde zu warten, weil Parteichef Jörg Meuthen in der Leitung ist. Während des Gesprächs klingelt dann mehrfach das Telefon, weil Vorstandsmitglieder anrufen, mit denen sich Gauland und Meuthen gegen die andere Parteichefin Frauke Petry verbündet haben.

Petry ist im Bundesvorstand weitgehend isoliert. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie und ihr Lebensgefährte, der NRW-Landesvorsitzende Marcus Pretzell, den anderen auf die Nerven gehen. Das Zerwürfnis ist mehr persönlich als politisch, es geht um tief sitzende menschliche Antipathie.

Antisemitismus-Streit als Waffe im AfD-internen Machtkampf

Aus zwei Gründen steht Gauland im Zentrum des Machtkampfes. Erstens, weil er so gegensätzliche Charaktere wie den Ökonomie-Professor Meuthen und den äußersten Rechtsausleger der Partei, Björn Höcke aus Thüringen, gegen Petry zusammenbringen kann. Zweitens, weil aufgrund seines Alters keiner glaubt, er würde selbst nach dem Vorsitz greifen. So bleibt er auch Ansprechpartner für Petry.

Es ist eine schmutzige Auseinandersetzung, in der vordergründig über den Umgang mit Antisemitismus in der Partei gestritten wird. In Wirklichkeit dient dieses ernste Thema aber nur als Waffe im Machtkampf. Dafür, dem jeweils anderen vorzuwerfen, er tue zu wenig gegen Antisemitismus und Rassismus. Oder aber, wenn er etwas tut, zu kritisieren, der Handelnde sei mindestens voreilig und habe sich nicht gut genug in der Partei abgestimmt.