Bundestag arbeitet Afghanistan-Fiasko auf – unter doppelter Leitung der SPD

Ralf Stegner und Ex-Bürgermeister Michael Müller stehen an der Spitze der neuen Untersuchungsgremien, obwohl beide neu in der Außenpolitik sind.

Evakuierungen am Flughafen in Kabul.
Evakuierungen am Flughafen in Kabul.imago/UPI Photo

Der Ukraine-Krieg hat das militärische Desaster in Afghanistan in den Hintergrund der öffentlichen Wahrnehmung treten lassen. Doch jetzt ist es so weit: Der Untersuchungsausschuss zu Afghanistan soll ebenso wie eine entsprechende Enquete-Kommission noch vor der parlamentarischen Sommerpause beginnen. Was aufhorchen lässt, sind die Chefs der beiden Organe: der ehemalige Regierende Bürgermeister Michael Müller und der ehemalige stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner.

Müller und Stegner sind neu im Bundestag, aber altgediente Genossen

Der SPD-Abgeordnete Ralf Stegner bestätigte der Berliner Zeitung, er werde den Ausschuss als Vorsitzender leiten. Das muss die Fraktion aber noch offiziell abstimmen. Der Untersuchungsausschuss soll den Zeitraum vom Beschluss, die Truppen aus Afghanistan abzuziehen, bis zum Ende der Evakuierung im August 2021 untersuchen.

Zusätzlich ist eine Enquete-Kommission geplant, die den gesamten Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr unter die Lupe nehmen soll. Diesem Gremium werden vermutlich der SPD-Abgeordnete und frühere Regierende Bürgermeister Michael Müller vorstehen. Auch hier steht die offizielle Zustimmung der Fraktion noch aus.

Kaum noch SPD-Außenexperten, die verfügbar wären

Die beiden Bundestagsneulinge Müller und Stegner sind zwar altgediente Genossen, haben beide erst mit der Wahl in den Bundestag die Außenpolitik als ihr Gebiet gewählt. Dennoch stand schon lange fest, dass sie die Positionen übernehmen werden – weil es schlicht keine verfügbaren SPD-Außenexperten gab. Durch die Wahl im September hat bei der SPD-Fraktion und damit auch im Auswärtigen Ausschuss eine erhebliche Durchmischung stattgefunden. Weniger als die Hälfte der Abgeordneten in der gesamten 206 Leute starken SPD-Fraktion war schon in der vergangenen Legislaturperiode im Parlament.

Das macht sich auch im Auswärtigen Ausschuss bemerkbar. Von den erfahrenen Mitgliedern haben alle genug andere Ämter: Aydan Özuguz soll zwar intensiv mitwirken, kam aber für keinen Vorsitz infrage, weil sie Vizepräsidentin des Bundestages ist. Nils Schmid ist bereits als Obmann der SPD-Fraktion im Ausschuss eingespannt. Dietmar Nietan hat als Polenbeauftragter der Partei genug mit diversen Mitgliedschaften und als Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft zu tun.

Michelle Müntefering fiel von vornherein aus der Wahl, weil sie als ehemalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt ja kaum dessen Arbeit überprüfen kann. Frank Schwabe ist noch Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe und außerdem ebenfalls neu im Auswärtigen Ausschuss.

Alles rechtens, aber ist es auch eine gute Idee?

Also wählte man Müller und Stegner. Die beiden seien erfahrene Politiker und durchaus in der Lage, die Gremien zu leiten, sagen auch Abgeordnete, die ihrer Haltung – gerade jetzt im Ukraine-Krieg – ablehnend gegenüberstehen. Kritischer wird bei den anderen Fraktionen gesehen, dass beide Aufklärungsgremien von der SPD besetzt sind. Rechtens ist das aber. Die größte Fraktion hat das erste Zugriffsrecht. Der nächste Untersuchungsausschuss wird von der CDU geleitet.

Geht alles glatt, ist Ende Juni eine Abstimmung im Bundestag geplant, um die beiden Afghanistan-Gremien offiziell zu etablieren. Sie könnten dann Anfang Juli eingesetzt werden, in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause.

Die Ampelkoalition hatte deren Einrichtung bereits im Koalitionsvertrag verankert. Darin heißt es, dass der Untersuchungsausschuss die Evakuierungsmission aufarbeiten soll, mit der Enquete-Kommission soll der Gesamteinsatz mit wissenschaftlicher Expertise unter die Lupe genommen und bewertet werden. Klappt es mit der Einrichtung Ende Juni, Anfang Juli, dann kann sie am Jahrestag des überstürzten Abzuges wenigstens auf den ersten Schritt der fälligen Aufarbeitung verweisen.

Am 15. August jährt sich die Eroberung der afghanischen Hauptstadt Kabul durch die Taliban zum ersten Mal. Noch im Juni 2021 hatte der damalige Außenminister Heiko Maas im Bundestag erklärt, er gehe nicht von einem derartigen Szenario aus. Entsprechend überstürzt war der Abzug der deutschen Soldaten aus dem Land. Eingeleitet hatte dies vor allem der Rückzug der Amerikaner. Die Bilder von flüchtenden Afghanen, die sich am Flughafen drängten und ebenfalls ausreise wollten, gingen tagelang um die Welt.

In Afghanistan warten 10.000 Menschen auf ihre Reise nach Deutschland

Nach der Machtübernahme durch die Taliban hatte die Bundeswehr bis Ende August eine Luftbrücke eingerichtet und auch danach weitere gefährdete Personen ausgeflogen. Nach Angaben des Innenministeriums (BMI) sind noch immer mehr als 10.000 Menschen in Afghanistan, die von Deutschland bereits eine Aufnahmezusage haben, aber noch nicht hier angekommen sind. Wie viel sich eventuell in Drittstaaten retten konnten, weiß das Ministerium nicht.

Insgesamt sind den Angaben zufolge mehr als 20.000 Flüchtlinge aus Afghanistan in den vergangenen Monaten nach Deutschland eingereist. Zu ihnen gehören auch etwa 2500 besonders Gefährdete, die auf der sogenannten Menschenrechtsliste stehen. Damit sind nach Angaben des BMI zwei Drittel der anerkannten Flüchtlinge gerettet.