Al-Bakr-Suizid in der JVA Leipzig: Justiz
Dresden - „Ich verstehe das alles nicht. Mir ist ein Rätsel, wie das passieren konnte“, sagt Alexander Hübner. Er ist Rechtsanwalt in Dresden, sein Mandant, der mutmaßliche Terrorist Dschaber al-Bakr hat sich Mittwochabend im Leipziger Gefängnis das Leben genommen.
Der 22-jährige Syrer sei suizidgefährdet gewesen und nach seiner Verhaftung in einen Hungerstreik getreten. „Wieso konnte er sich dennoch in einer Zelle mit einem T-Shirt erhängen?“, fragt sich der Anwalt im Gespräch mit dieser Zeitung. „Wie konnte das geschehen? Ich komme da nicht mehr mit.“
Keine Veranlassung für Rücktritt
Nicht nur er steht vor Rätseln. „Es ist aber leider geschehen“, sagte Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) am Donnerstagmittag in Dresden bei dem Versuch, die Geschehnisse zu erklären. Man habe alles getan, um den Selbstmord zu verhindern. Er übernehme die politische Verantwortung für die Geschehnisse, sehe aber im Moment keine Veranlassung seinen Hut zu nehmen.
In der Nacht zu Montag war Al-Bakr in einer Leipziger Wohnung festgenommen worden. Die Ermittler waren sicher, dass er bald einen Anschlag auf einen Flughafen in Berlin verüben wollte. Dennoch ging die Leitung des Leipziger Gefängnisses nach der Einlieferung des mutmaßlichen Selbstmordattentäters am Montagnachmittag nicht von einer akuten Suizidgefahr aus.
Der Häftling wurde fortan zunächst alle 15 Minuten beobachtet. Am Mittwochnachmittag entschied dann eine Expertenrunde, dass auch Kontrollen alle 30 Minuten reichen.
„Vandalismus“ statt Suizid-Gedanken
Eine erfahrene Psychologin, so Anstaltsleiter Rolf Jacob, habe nach einem Gespräch mit Al-Bakr keine akute Selbstmordgefahr festgestellt. Dass er weder essen noch trinken wollte, spielte keine Rolle. Auch eine Sitzwache vor seiner Zellentür rund um die Uhr erschien nicht notwendig.
Am Dienstag noch hatte Al-Bakr in seiner Zelle die Lampe aus der Decke gerissen und, wie später festgestellt wurde, auch an einer Steckdose herummanipuliert. Als das mit der Lampe passierte, habe man im Gefängnis den Strom für die Zelle abgestellt, so Anstaltsleiter Jacob. Man habe das Verhalten als „Vandalismus“ interpretiert, nicht als Versuche des Häftlings, sich selbst zu schaden.
Am Zwischengitter erhängt
Am Mittwochabend um 19.30 Uhr habe Al-Bakr noch gelebt und auf seinem Bett gesessen. 15 Minuten später ging eine „junge Kollegin“ nachsehen und fand den jungen Mann, der sich mit seinem Anstalts-T-Shirt am Zwischengitter hinter der Zellentür erhängt hatte.
Sie gab Alarm, Kollegen und ein Arzt kamen, man versuchte 30 Minuten lang, den Mann wiederzubeleben, aber erfolglos. Im Nachhinein sei man „vielleicht zu gutgläubig im Hinblick auf die Exponiertheit des Gefangenen“ an die Sache herangegangen, meinte Anstaltsleiter Jacob. Aber man habe alles nach Vorschrift gemacht. Jacob: „Ich stehe zu den Entscheidungen meiner Kollegen.“
Bosbach: „Ein Fiasko“
Sachsens Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann bedauerte: „Es wäre schön gewesen, wenn Al-Bakr ausgepackt hätte.“ Der Suizid sei ein Rückschlag im Anti-Terror-Kampf, meinte auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière. „Die Ermittlungen jedenfalls sind dadurch erschwert worden.“ Ein „Fiasko“, urteilte der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach. „Das hätte nie und nimmer passieren dürfen.“
In der sächsischen CDU/SPD-Regierung ist offener Streit darüber ausgebrochen, ob richtig oder falsch gehandelt wurde. „Es ist offensichtlich zu einer Reihe von Fehleinschätzungen sowohl über die Bedeutung, als auch den Zustand des Gefangenen gekommen“, sagte Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). „Der aktuell wohl brisanteste Gefangene der Bundesrepublik stand unter Verdacht, einen Sprengstoffanschlag zu planen und damit nicht nur sein eigenes, sondern das Leben vieler unschuldiger Menschen zu opfern. Schon damit hatte sich die Frage nach möglicher Suizidgefahr des Gefangenen geklärt.“
Ministerpräsident Stanislaw Tillich hielt dagegen: „Die pauschale Kritik an der sächsischen Justiz, ohne die Vorgänge genau zu kennen, weise ich entschieden zurück.“