Ideen für die belarussische Sehnsucht

Die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch wurde in den belarussischen Oppositionsrat berufen. Sie kennt die Gewalt des Regimes.

Die belarussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch am Freitag, den 11. Oktober 2013 bei einer Pressekonferenz.
Die belarussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch am Freitag, den 11. Oktober 2013 bei einer Pressekonferenz.Foto: imago stock&people

Berlin/Minsk-In Belarus hören die Proteste nicht auf. Noch nie war das Land einem Systemwechsel so nahe wie heute. Die letzte europäische Diktatur könnte bald Geschichte sein, wenn die Proteste so weitergehen wie bisher. Zugleich beginnen drängende Fragen nach dem Danach: Wie wird es weitergehen? Wer wird das Land leiten? Auf welcher Basis und mit welchen Partnern? Wie wird das Verhältnis zu Russland sein und wie zur EU?

Um die alten Fehler von 1989 nicht zu wiederholen, hat die Opposition in Belarus einen Oppositionsrat zusammengestellt, wo über die Zukunft des Landes diskutiert werden soll. Ziel soll sein, eine friedliche Machtübergabe zu organisieren. Auch die belarussische Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch wurde in den Kreis berufen, zu dem etwa 30 Personen gehören.

Die 72-Jährige ist aktuell eine gefragte Gesprächspartnerin. Schließlich weiß der Westen nur sehr wenig über das Land – und einen Teil darüber aus Alexijewitschs Büchern. Die Schriftstellerin hat den Literaturnobelpreis 2015 für ihre politischen Reportagen bekommen, für ihr Schreiben über das Ende der Sowjetunion, die als geistiges Erbe bis heute nachwirkt.

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Swetlana Alexijewitsch, die 1948 in der Westukraine geboren wurde, ist eine Kosmopolitin, die aber ihrem Land nie ganz den Rücken gekehrt hat. Sie kämpft in Belarus und engagiert sich für die Opposition. Als Strafe wurde ihr Verleger verhört, ihre Freunde wurden beschattet, ihre Auftritte verboten. Und doch weiß die Intellektuelle, dass ein gespaltenes, verletztes Land sich nur über den Dialog neu aufstellen und verständigen kann.

Dank ihrer Texte versteht man, warum Lukaschenko sich so lange an der Macht halten konnte. Die Desorientierung nach dem Zerfall des Sowjetimperiums ist in dem Land wie eine Narbe zu spüren, die Frage nach einer sinnvollen Zukunft längst noch nicht beantwortet. In ihrem Buch „Secondhand-Zeit“ schreibt die Autorin über Belarus: „Die Leute leben genau wie früher, Jahr für Jahr. Sie brennen Schnaps. Abends trifft man keinen einzigen nüchternen Mann, sie trinken jeden Tag. Sie stimmen für Lukaschenko und sehnen sich nach der Sowjetunion zurück.“ Eine Aufgabe der Opposition wird es also sein, diese Sehnsucht mit neuem Lebenssinn zu füllen.