„Amerikas Geist wird Trump besiegen“: Interview mit Historiker Heinrich August Winkler
Historiker Heinrich August Winkler über die Zeitenwende, den Kampf um Werte und die richtigen Mittel gegen Populisten in Europa.
Professor Winkler, endet mit Trumps Inauguration eine Ära?
Es endet eine Zeit, die vor 100 Jahren mit dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten 1917 begann. Seitdem ist Amerika ein europäischer Akteur gewesen. Das gilt besonders für die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die klassische Zeit der transatlantischen Zusammenarbeit. Man hat schon zur Zeit von George W. Bush darüber diskutiert, ob das transatlantische oder das amerikanische Jahrhundert nicht schon zu Ende gegangen sei.
Dann kam eine teilweise Renaissance der transatlantischen Beziehungen unter Barack Obama. Aber mit der Kampfansage von Donald Trump an die Werte, in deren Zeichen die USA gegründet worden sind, stellt er das transatlantische Verhältnis grundsätzlich in Frage.
Verabschieden sich die USA als Hüter der westlichen Werte, was sie ja zweifellos auch waren?
Wenn man die Inaugurationsrede von Donald Trump liest, fällt auch auf, wovon dort nicht die Rede ist. Kein Wort von den Menschenrechten, kein Wort von irgendwelchen weltweiten Verpflichtungen der USA, von Solidarität gegenüber den Bündnispartnern in der Atlantischen Allianz oder den Freunden der Freiheit in aller Welt. Es ist eine einzige Absage an die universalen Werte, die die frühen Menschenrechtserklärungen in den Einzelstaaten der USA und der Unabhängigkeitserklärung geprägt haben und die zur Grundlage des normativen Projekts des Westens geworden sind.
1776 ist das Jahr, in dem die allererste Menschenrechtserklärung in der Geschichte auf damals noch britischen Kolonialboden formuliert wurde, die Virginia Declaration of Rights. Man kann sagen, dass sich westliche Demokratien seit damals abgearbeitet haben an der Realisierung dieses Programms, mit vielen Rückschlägen und Verstößen gegen diese Werte, aber die damals verkündeten Prinzipien blieben doch immer so etwas wie die Richtschnur, an der man sich orientiert.
Es blieb der Wertekatalog, vor dem man sich rechtfertigen zu müssen meinte, an dem die eigenen Verstöße gemessen werden, der eine Korrektivfunktion hatte. Das alles scheint für Donald Trump keine Bedeutung mehr zu haben.
Die amerikanische Nation ist sehr gespalten. Hat dieses Auseinanderfallen der Gesellschaft eine Tradition in dem Land?
Donald Trump spricht nicht für die amerikanische Zivilgesellschaft, er spricht nicht für die Vereinigten Staaten als Ganzes. Er ist ja im Grunde nur von einem Viertel der Wahlberechtigten gewählt worden. Wenn es nach den Wählerstimmen gegangen wäre, wäre nicht er, sondern Hillary ins Weiße Haus eingezogen. Es ist eine Besonderheit der amerikanischen Verfassung, es ist die Einschaltung des Electoral college, die die Diskrepanz zwischen den Stimmen der Wahlfrauen und -männern auf der einen und denen der Wählerinnen und Wählern auf der anderen Seite ermöglicht hat.
Noch nie war die amerikanische Gesellschaft so tief gespalten wie heute. So sehr auf der Ebene der Regierungen gilt, dass wir es mit einem tiefen transatlantischen Dissens zu tun haben, so nah sind sich doch die Zivilgesellschaften in Amerika und Europa und in anderen Teilen der westlichen Welt. Sie stehen auf weiten Strecken vor denselben Herausforderungen, vor allem der Herausforderung des Populismus.
Die Freunde der Freiheit in den westlichen Gesellschaften fühlen sich gerade unter den Vorzeichen der Präsidentschaft unter Trump gemeinsam herausgefordert. So gesehen könnte man sogar sagen, die freiheitlichen Kräfte der westlichen Welt waren sich noch nie so nahe wie heute, wo sie gemeinsam durch die Präsidentschaft von Donald Trump herausgefordert werden.