Anders, aber nicht extrem: Sollte man Kleinparteien wählen?

27 Kleinparteien stehen in Berlin zur Wahl. Sie kämpfen um mehr Aufmerksamkeit. Ein schneller Blick ins breite Spektrum.

Dieter Bonitz, Die Basis, am „Abstimmungsballomat“. Die Partei protestierte am Sonntag gegen Ausgrenzung. 
Dieter Bonitz, Die Basis, am „Abstimmungsballomat“. Die Partei protestierte am Sonntag gegen Ausgrenzung. Maritta Tkalec/BLZ

„Wissen Sie schon, wie Sie wählen?“, mit dieser Frage gelingt es den Wahlkämpfern der Partei Volt am Sonntagvormittag tatsächlich, mit Passanten auf der Moabiter Brücke ins Gespräch zu kommen oder wenigstens einen Flyer mit der Aufschrift: „Wer neu will, muss neu wählen“ weiterzureichen. Tatsächlich grübeln viele Leute der Wahlwiederholung am 12. Februar entgegen. Die eine will „auf keinen Fall wie sonst immer“ wählen, der andere „vielleicht mal was Verrücktes, zum Beispiel Graue Panter“.

27 Kleinparteien stehen am 12. Februar zur Wiederwahl. Das Berliner Wahlvolk hat die Chance, nach nicht einmal eineinhalb Jahren ein Zwischenzeugnis auszustellen und das Berliner Abgeordnetenhaus wie die Bezirksverordnetenversammlung neu zu mischen. Insgesamt bekamen die Kleinen im September 2021, beim ersten Versuch, 12,5 Prozent der Zweistimmen für die Abgeordnetenhauswahl, immerhin jede achte Stimme. Die Umfragen sprechen derzeit für eine Wechselstimmung. Überraschungen nicht ausgeschlossen.

Frustrierte Berliner

Die Volt-Wahlkämpfer von Moabit sind allesamt jung. Die Partei wurde 2017 gegründet; der Name steht für neue Energie. 2021 stimmten 20.137 Berliner für die erste und einzige Partei, die für und in ganz Europa antritt. 1,1 Prozent der Zweitstimmen hat sie damals geholt und mit diesem Resultat immerhin Anspruch auf Gelder aus der staatlichen Parteienfinanzierung erworben. Etwa 20.000 Euro waren das.

Carolin Behr, Volt-Spitzenkandidatin für das Berliner Abgeordnetenhaus, beim Flyer-Verteilen an der Moabiter Brücke.
Carolin Behr, Volt-Spitzenkandidatin für das Berliner Abgeordnetenhaus, beim Flyer-Verteilen an der Moabiter Brücke.Maritta Tkalec/BLZ

Carolin Behr, Volt-Spitzenkandidatin für das Abgeordnetenhaus, sieht in der neuen Runde tatsächlich neue Chancen: „Die Berliner sind unzufrieden mit dem Bisherigen und daher offener für Neues“, hat sie im Wahlkampf beobachtet. Volt jedenfalls finde mehr Aufmerksamkeit, die Kampagne in den sozialen Medien laufe besser.

Die Berliner sind unzufrieden mit dem Bisherigen und daher offener für Neues.

Carolin Behr, Volt

Woher rührt der Frust der Leute? Tomas Cunningham vom Volt-Landesverband Berlin-Mitte berichtet aus seinen Wahlkampfgesprächen, die Berliner seien frustriert angesichts der verkrusteten Strukturen, „immer dieselben Gesichter, immer dieselben ungelösten Probleme“ – zum Beispiel die Erstarrung in den digitalisierungsfernen Ämtern. Junge Leute ärgere, dass die Verkehrswende nicht vorankomme.

Beide finden, eine Partei wie Volt zeige, dass man nicht aus Protest Extreme wählen müsse, wenn man das Immergleiche satthabe. Im Volt-Programm steckt tatsächlich nichts Extremes: Bildung, Digitalisierung, Wohnen, Mobilität. Es ist online in übersichtlicher Form nachzulesen.

Ein interessierter Herr nimmt einen Flyer und fragt: „Kommt ihr denn über fünf Prozent?“ Tja, das ist das Ziel. Tatsächlich, so Carolin Behr, fürchten viele, ihre Stimme zu verschenken, wenn sie ihr Kreuz bei einer Kleinpartei machen.

Die größte unter den Kleinen, die Tierschutzpartei, konzentrierte ihren Wahlkampf am Sonntag auf Spandau, wo die Co-Vorsitzende der Bundespartei, Aida Spiegeler Castañeda, ihren Sitz in der BVV verteidigen will. Tatsächlich erreichte die Partei Mensch Umwelt Tierschutz, so der vollständige Name, 2021 mit 40.057 Stimmen 2,2 Prozent. In vier Bezirksverordnetenversammlungen ist sie vertreten; in Spandau und Marzahn-Hellersdorf mit drei, in Lichtenberg und Treptow-Köpenick mit je zwei Verordneten. In Spandau waren die Wahlkämpfer am Sonntag in der schönen Altstadt und in Parks unterwegs.

Aida Spiegeler Castañeda, eine von drei gleichberechtigten Bundesvorsitzenden der Tierschutzpartei, hat 2021 einen Sitz in der BVV Spandau erobert.
Aida Spiegeler Castañeda, eine von drei gleichberechtigten Bundesvorsitzenden der Tierschutzpartei, hat 2021 einen Sitz in der BVV Spandau erobert.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Auch Aida Spiegeler Castañeda beobachtet eine veränderte Stimmungslage der Berliner: Sie misstrauten den bekannten politischen Parteien, seien offener nach dem Motto „Mal schauen, was es sonst noch gibt“ und „Besser was Kleines wählen als gar nicht“. Die Internetseite der Tierschutzpartei verzeichne deutlich steigende Zugriffszahlen.

Wir wollen jedes Tierleid beenden.

Aida Spiegeler Castañeda

Aber was bietet die Tierschutzpartei, was die Grünen nicht haben? „Wir sind konsequenter, auf allen Themengebieten, die wir ansprechen. Wir wollen jedes Tierleid  beenden und jenen eine Stimme geben, die selbst keine oder nur eine sehr leise haben.“ Mitgefühl, so liest man auf der Internetseite, sei die „wichtigste Basis eines neuen gesamtgesellschaftlichen Selbstverständnisses“, und „Umwelt, Menschen und andere Tiere sehen wir als untrennbare Einheit an“.

Im Wiederholungswahlkampf griff man auf alte Plakate zurück, die bewahre man aus Recyclingründen sowieso auf. Und auf Teile früherer Wahlkampferstattungen in Höhe von 39.000 Euro konnte man auch noch zurückgreifen. Schwerer wiege ein Problem, das auch andere Kleinparteien bremst: Alles läuft ehrenamtlich, und Urlaub für den Wiederholungswahlkampf war schwierig einzurichten.

Ein wahlkampfstarkes Wochenende erlebte die Partei Die Basis: Am Sonnabend zogen mehrere Hundert ihrer Anhänger, darunter Unterstützer aus Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt, vom Ernst-Thälmann-Denkmal zur Kirche Pankow. „Fast eine Großdemonstration“, wie Dr. Dieter Bonitz, Sprecher (gleichbedeutend mit Vorsitzender) des Bezirksverbands, findet. Das Motto der Demonstration: „Frieden schaffen ohne Waffen!“

Vor allem gegen Ausgrenzung

Der Krieg in der Ukraine samt Milliarden für Militärgüter ist der Basisdemokratischen Partei Deutschland, wie der vollständige Name lautet, zu einem zentralen Thema geworden. Doch selbstverständlich gehört Kritik an den „freiheitseinschränkenden Maßnahmen“ und der zu Pandemiezeiten intendierten amtlichen Impfpflicht immer noch zum politischen Kern. Man ist „gegen Ausgrenzung“. Viele Mitglieder beklagen, während der Pandemie und bis heute Ausgrenzung erfahren zu haben.

Auch die Partei als solche fühlt sich diskriminiert und als antisemitisch diffamiert. Bonitz sagt im Gespräch mit der Berliner Zeitung, man werde von der Presse diskriminiert oder ignoriert. Diese Klage bestimmte die Basis-Aktion am Sonntag – aus gegebenem Anlass. Alle Basis-Plakate, die an der Schwedter Brücke nahe dem Bahnhof Gesundbrunnen aufgehängt worden waren, sind beschädigt oder heruntergerissen worden.

Nun stellt sich eine Basis-Gruppe mit einer Reihe neuer Plakate an der Brücke auf. Zur Aktionsausstattung gehören auch ein selbstgemaltes Protestbild gegen Panzer im Ukraine-Krieg und ein „Ballomat“: drei durchsichtige Röhren mit den Aufschriften „ja“, „vielleicht“ und „nein“. Passanten können bunte Bälle zur Abstimmung einwerfen. Im Osten des Landes würde das mehrheitlich „Nein“ ergeben, im Westen „ja“.

Die alte Friedensbewegung war da

Das Kriegsthema bewegt die Leute; die Basis-Haltung ähnelt der von AfD und Teilen der Linken. Das Etikett der Putin-Freunde lehnt der Sprecher strikt ab, aber der Krieg habe eine Vorgeschichte und Obama oder Biden hätten ebenso Kriege geführt. Da werde offenkundig mit zweierlei Maß gemessen. Jedenfalls sei bei der Demo am Sonnabend „die alte Friedensbewegung präsent“ gewesen.

Ein Polizist wacht über den friedlichen Ablauf des Basis-Protests. Die Initiativen antiverschwurbelte aktion und Omas gegen Rechts, sonst häufig als Gegendemonstranten anzutreffen, waren diesmal nicht dabei.

Rechnet die Partei mit Stimmenzuwachs? Dieter Bonitz ist vorsichtig: Im Jahr 2021, mitten in der Pandemie, habe es eine große Eintrittswelle gegeben – von Tausend auf 30.000 Mitglieder. Seither halte man das Niveau. Damals, in Zeiten hoher Aufmerksamkeit, erlangte Die Basis bei der Abgeordnetenhauswahl 1,3 Prozent der Zweitimmen, lag also über der Prozenthürde für eine Parteienfinanzierung. 

Der Wahlzettel wird wieder lang sein, und man darf sich Kurt Tucholsky anschließen, der dem deutschen Volk 1930 mit auf den Weg gab: „Denn winsch ick Sie ooch ne vajniechte Wahl! Halten Sie die Fahne hoch!“

Und was auch immer gewählt wird: Hauptsache überhaupt. Bei so vielen Möglichkeiten: Man hat eine Wahl.

Webseiten der genannten Parteien: tierschutzpartei.dediebasis-berlin.de/machberlinlila.de/