Angela Merkel sucht Verbündete in Brüssel im Asyl-Streit
Berlin/Brüssel - Der Druck auf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist hoch, der Ton ist rau, doch schon vorher gab es kaum Erwartungen an den Brüsseler Mini-Gipfel am Sonntag. Eine gemeinsame Abschlusserklärung der EU-Mitgliedsstaaten, das hatte Merkel schon am Freitag betont, sollte es nicht geben.
Aber Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht offenbar Lösungsmöglichkeiten für den Asylstreit auf europäischer Ebene. „Es gab dazu heute viel guten Willen, und auch, neben einigen Unterschieden, doch ein großes Maß an Gemeinsamkeiten“, sagte Merkel am Sonntagabend in Brüssel.
Ob eine rasche Lösung oder Absprachen mit einzelnen EU-Ländern gelingen könnten, ließ die CDU-Chefin aber offen. Sie sagte, man werde „in den nächsten Tagen bis zum Europäischen Rat, aber natürlich auch danach weiter an einer Lösung“ arbeiten. Zuvor hatte sie noch von bi- oder trilateralen Vereinbarungen in den kommenden Tagen gesprochen.
Bis zum EU-Gipfel am Donnerstag werde noch keine Gesamtlösung für die europäische Asylpolitik möglich sein, sagte sie. Es gehe um die Frage, wie man fair miteinander umgehen und einen Ausgleich schaffen könne, sagte die CDU-Chefin weiter. Der Sonder-Gipfel sei dafür da, zu klären, „für wen, was wichtig ist“, sagte sie. Die Arbeit werde in den nächsten Tagen weitergehen. Merkel setzt auf Absprachen zwischen zwei oder mehreren Staaten.
Einen Entwurf für eine Abschlusserklärung gab es gleichwohl. Doch Italien drohte den Gipfel zu boykottieren, wenn Deutschland und Frankreich schon vorab eine Abmachung vorbereiten würden – und so legte Merkel den Entwurf zur Seite und betonte, der Sonder-Gipfel sei lediglich ein „Arbeits- und Beratungstreffen“, ein „erster Austausch mit Interessierten“.
Zwölf Staaten erteilen Treffen in Brüssel eine Absage
Insgesamt kamen die Staats- und Regierungschefs von 16 EU-Mitgliedstaaten in Brüssel zusammen, um über Reformen der europäischen Flüchtlingspolitik zu beraten. Zwölf Staaten nahmen gar nicht erst teil. Demonstrativ abgesagt hatten unter anderem die Visegrad-Staaten. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hatte zu dem Treffen nach Bitten von Merkel eingeladen, das als Vorbereitung für den EU-Gipfel am 28. und 29. Juni dienen soll.
„Es ist richtig, sich zu treffen und auch zu sehen, wer überhaupt teilnimmt. Das sagt ja schon viel aus über den derzeitigen Zustand in Europa“, sagte Luise Amtsberg, flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen, dieser Zeitung. Es sei aber fraglich, ob Merkel zu einem Ergebnis kommen könne, dass Seehofer zufriedenstelle. „Seehofer agiert und zündelt mit Blick auf die Landtagswahl in Bayern“, sagte Amtsberg.
Europa distanziere sich gerade in großen Schritten von dem gemeinsamen Vorhaben, das europäische Asylrecht zu reformieren. „Jetzt geht es um Abschottung, um Grenzschließungen, um Flüchtlingslager außerhalb Europas. Das ist eine klare Diskursverschiebung nach rechts. Italien und Malta statuieren ein Exempel, indem sie keine Seenotrettungsboote mehr in ihre Häfen einlaufen lassen. Es ist auch Resultat der fehlenden geteilten europäischen Verantwortung“, machte Amtsberg deutlich.
Seehofer setzt Merkel unter Druck
Beim Treffen in Brüssel sollte es unter anderem um die Rücknahme von Flüchtlingen, die schon in einem anderen EU-Mitgliedsstaat registriert worden sind, gehen. Die Kanzlerin will bilaterale Vereinbarungen treffen und am liebsten eine europäische Lösung erwirken und damit vor allem auch einen Alleingang von Innenminister Horst Seehofer (CSU) verhindern.
Dieser will ab Juli Flüchtlinge gegen Merkels Wille an den Grenzen abweisen lassen und damit die Zuwanderung begrenzen, wenn keine Lösung gefunden wird.
Käme es dazu, wäre ein Bruch zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU nicht mehr abzuwenden. Die CSU-Spitze hatte Merkel bis Ende Juni Zeit gegeben, eine Einigung zu finden. Der Sondergipfel am Sonntag stand damit auch unter dem Zeichen des Machterhalts Merkels. Xavier Bettel, luxemburgischer Ministerpräsident, sagte jedoch, dass es beim Gipfel nicht darum ginge, „ob Merkel nächste Woche noch Kanzlerin“ sei.
Vieles hängt von Italien ab
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) warnte Seehofer davor, Merkel mit einem Alleingang herauszufordern und seine Entlassung zu provozieren. „Wenn in dieser Frage ein Minister anders als die Kanzlerin entscheiden würde, hat sie aus der Würde ihres Amtes heraus keine Wahl“, sagte Schäuble im Tagesspiegel.
Von Italien hängt im eskalierenden Asylstreit viel ab. In das von Rechtspopulisten mitregierte Italien betreten viele Flüchtlinge zum ersten Mal EU-Boden. Italien will aber keine Flüchtlinge zurücknehmen und vertritt die Hard-Liner-Linie und drängt auf einen „radikalen Wandel“ der Asylpolitik. Es ist also äußerst fraglich, ob es ein Abkommen mit Italien auf dieser Grundlage überhaupt geben kann.
Die Dublin-Regelung, nach der Migranten in dem Land einen Asylantrag stellen müssen, das sie zuerst innerhalb der EU betreten hätten, müsste komplett überwunden werden, sagte Regierungschef Giuseppe Conte am Sonntag. Mit einem neuen Vorschlag namens „European Multilevel Strategy for Migration“ wolle Italien „das Problem auf strukturierte Art und Weise angehen, weil das uns die öffentliche Meinung aufträgt“.
Auch andere EU-Länder vertreten zunehmend eine Tendenz der Abschottung. (mit dpa)