Angst essen Seele auf: Das Bedrohungsszenario rund um Flüchtlinge

Eine Million Schutzsuchende: Warum mehr Abschiebungen und Rückführungsabkommen daran kaum etwas ändern, aber negative Stimmung machen werden. Ein Kommentar.

Flüchtlinge aus der Ukraine.
Flüchtlinge aus der Ukraine.Soeren Stache/dpa

Wer zurzeit die Nachrichten rund um das Thema Flüchtlinge verfolgt, sieht vor allem eins: große Zahlen. Deutlich über eine Million Menschen musste im vergangenen Jahr versorgt und untergebracht werden. Die Kommunen ächzen und verlangen mehr Unterstützung und mehr Geld aus dem Bundeshaushalt.

So weit, so berechtigt. Menschen, die nach Deutschland flüchten, müssen schließlich am Ende auf kommunaler Ebene versorgt werden. Wenn weder genug Wohnraum noch Personal zur Regelung aller Folgeerscheinungen zur Verfügung steht, kann es nicht funktionieren. Der Flüchtlingsgipfel brachte in der vergangenen Woche immerhin eine Zusage des Bundes für weitere Immobilien und Grundstücke sowie den festen Vorsatz, Bund, Länder und Kommunen bei diesem Thema besser zu vernetzen. Kommunalvertreter sind trotzdem enttäuscht. Denn mehr Geld gibt der Bund nicht ins kommunale System. Die Kommunen protestieren zu Recht.

Im Windschatten dieser Verhandlungen baut sich allerdings gerade eine zweite Debatte auf. Es geht schlicht darum, die Zahlen der Schutzsuchenden herunterzudrücken. Die Kapazitäten seien erschöpft, der Druck zu groß – so die Argumentation. Und dafür scheint jetzt vielleicht noch nicht jedes Mittel recht zu sein, es wird aber bereits alles mit allem vermischt.

So gewinnt zum Beispiel auch das Thema Abschiebungen gerade wieder einmal eine unangemessen große Bedeutung. Von verschiedenen Seiten wurden schon vor dem Gipfel mehr Abschiebungen verlangt. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Alexander Throm, forderte etwa mehr Rückführungen mit Verweis auf den Koalitionsvertrag von der Bundesregierung.

Bei der SPD klingt es ganz ähnlich. Auch die Vorsitzende Saskia Esken will mehr abschieben und verlangt neue Abkommen mit Herkunftsländern. Sie ist im Einklang mit dem Kanzler. Gerade erst stellte nämlich auch Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag noch einmal klar: „Wer hier kein Bleiberecht erhält, der muss Deutschland auch wieder verlassen.“

Sonderbevollmächtigter für Migrationsabkommen Joachim Stamp

Die Aufgabe kommt nun auf den neuen Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen zu. Das ist der FDP-Politiker Joachim Stamp. Er soll mit verschiedenen Ländern Rückführungsabkommen schließen. Welche das sind, sagt er bisher nicht.

Auf Unionsseite sind die Vorstellungen dazu allerdings sehr weitgehend. Der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) forderte zum Beispiel, freiwillige Aufnahmeprogramme, etwa für Afghanistan, auszusetzen. Wenn es nach ihm ginge, würden Tunesien, Marokko, Algerien, Armenien und Georgien zu sicheren Herkunftsländern. Straftäter will er nach Libyen, in den Irak und nach Afghanistan abschieben. Er sieht das europäische Schengen-System gefährdet und baut Drohkulissen auf. Demnächst müsse er Menschen in Zelten und Turnhallen unterbringen.

Angesichts dieser Vermischungen sollte man sich vielleicht noch mal einige Fakten vor Augen führen. Das Jahr mit den meisten Asylanträgen überhaupt war 2016. Damals baten 750.000 Menschen in Deutschland um Schutz. 2015 waren es 480.000. Nur 1992 waren schon einmal ähnlich viele Schutz suchende Menschen nach Deutschland gekommen. In allen anderen Jahren davor und danach hat es so etwas nicht gegeben. Das Bundesamt für Migration registrierte im vergangenen Jahr etwa 220.000 Erstanträge. Die Anerkennungsquote ist hoch. Sie liegt bei über 50 Prozent.

Wenn jetzt also die Rede von einer Million Menschen ist, dann geht es nicht vorrangig um Asylbewerber, sondern um Ukrainer. Acht von zehn Menschen, die aktuell von den Kommunen versorgt und untergebracht werden müssen, kommen aus jenem Land in Europa, das von Russland überfallen wurde. Wir haben diesen Menschen Unterstützung und Schutz zugesagt, wie andere europäische Länder auch. Sie müssen keinen Asylantrag stellen, sind nicht Teil der Asylstatistik und können nicht zurückgeführt werden – nicht in die Ukraine und selbstverständlich auch nicht in ein Land, mit dem jetzt Rückführungsabkommen geschlossen werden könnten. Aber das will ja auch niemand.

Umso seltsamer wirkt die Argumentationskette. Das ist allerdings nicht ungefährlich. Der außergewöhnlich hohe Flüchtlingszuzug in den Jahren 2015 und 2016 und die teils chaotischen Szenen in Metropolen wie Berlin lösen auch heute noch politische und gesellschaftliche Reflexe aus. Die Debatte über die deutsche und europäische Einwanderungspolitik fällt immer wieder zurück in Angstszenarien und verhindert pragmatische Lösungen. Dies werden sicher bald wieder rechte Kräfte nutzen, um nationalistische und fremdenfeindliche Positionen zu verbreiten.

Es wäre schön, wenn alle anderen ihnen nicht bereits das Wort reden würden. Es geht sicher auch anders.